Führungspersönlichkeit gesucht:
Wer sich mit Raketen schlafen legt…
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 27.09.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Ich frage mich, wie oft wir noch Abba Ebans unsterbliche
Beobachtung, nach der die Palästinenser niemals eine Gelegenheit versäumen,
eine Gelegenheit zu versäumen, zitieren können, ohne den Leser damit zu
langweilen. Nun, was sollen wir tun? Die Aussage passt immer noch. Die
Palästinenser haben nichts dazu gelernt. Sie haben ein morbides Talent,
jedes Mal genau dann die größten und dümmsten Fehler zu machen, wenn sich
ihnen die Tür einen Spaltbreit geöffnet hat und eine gute Gelegenheit auf
ihrem Weg daher kommt, einen Staat neben Israel zu errichten.
Was veranlasste sie dazu, nach der pompösen Unterzeichnung
des Oslo-Abkommens Selbstmordattentäter in die Herzen israelischer Städte zu
schicken? Warum haben sie in dem Moment, da der Barak-Arafat-Clinton-Gipfel
in Camp David geendet hatte, die Al-Aksa-Intifada begonnen, die 4.000
Menschen auf beiden Seiten das Leben kostete? Welchen Sinn hat es, eine
Siegesparade im Gazastreifen abzuhalten und dann eine massive Raketensalve
auf Gebiete, die Israel freiwillig verlassen hat, abzufeuern? Welches ist
die Logik hinter der Tatsache, dass eine kritische Zeit gewählt wurde –eine
Zeit, in der Sharon gegen Rebellen in seiner Partei und um sein politisches
Überleben kämpft-, um Israel mit 40 Kassam-Raketen in nur einer Nacht zu
beschießen? Was wollen sie? Einen Staat Israel, der von Benjamin Netanyahu
und Uzi Landau regiert wird?
Sharon hatte klar gemacht, dass es keinen Rückzug aus dem
Gazastreifen unter Beschuss geben würde. Und für einen Moment sah es so aus,
als bliebe die Hamas bei Abu Mazens Bitte, während der Abkopplungsphase die
Waffen schweigen zu lassen. Doch in dem Augenblick, da der letzte
israelische Soldat den Gazastreifen verlassen hatte, konnten die Hamasführer
nicht mehr an sich halten. Sie wollten die Lorbeeren einheimsen dafür, dass
sie angeblich die israelische Armee "hinausgejagt" und die Siedlungen
zerstört haben. In dem Versuch, die Herrschaft an sich zu reißen, wenn die
palästinensische Autonomiebehörde im Januar wählen gehen wird, haben die
Hamasführer die palästinensische Volksmenge auf eine Art und Weise
aufgewiegelt, die nur sie beherrschen – bis zur Raketenexplosion, die 19
Palästinenser tötete und 200 verletzte. Hamas konnte die Lüge, dass Israel
hinter der Explosion stünde, nicht einmal an Al-Jazeera verkaufen.
Die Nachricht, dass in einer Nacht 40 Kassam-Raketen auf
Israel abgeschossen worden waren, war am Vorabend des Gipfeltreffens mit
Sharon eine schlechte Nachricht für Abu Mazen. Condoleezza Rice putzte ihn
regelrecht herunter und verlangte, die Hamas zu entwaffnen. Man sagte ihm,
es stehe außer Frage, eine Demokratie mit einer bewaffneten Miliz zu
gründen. Eine Analogie hierfür wären Lehi und Itzel, Israels Milizen vor der
Staatsgründung. David Ben Gurion, der sich dieser Gefahr bewusst war,
entwaffnete nicht nur die Milizen, sondern er löste auch den Palmach auf.
Diejenigen, die zu Hause Monster dulden, sollten nicht überrascht sein, wenn
deren Appetit mit dem Essen immer größer wird.
Das Ziel der Hamas-Führung ist es, den Bereich der PA zu
regieren. Es scheint, dass Abu Mazen zu schwach ist, um die
Eine-Regierung-eine-Armee-Regel durchzusetzen. Er weiß sehr wohl, dass Mussa
Arafat, der von der Hamas umgelegt wurde, nur 200 Meter entfernt von seinem
Haus im Gazastreifen wohnte. Hamas erhält ihre Kraft von der
palästinensischen Straße. Es wäre deshalb ein strategischer Fehler, alles
nur Mögliche zu tun, um israelische Artillerie, Panzer und Flugzeuge zurück
in Reichweite des Feuers zu bringen, jetzt da die israelische Armee den
Gazastreifen verlassen hat und den früheren Bewohner der Siedlungen die
Gelegenheit gegeben wurde, ihr Leben neu aufzubauen, frei von den Fesseln
der Besatzung. Sagen wir es auf diese Weise: Derjenige, der sich mit
Kassam-Raketen schlafen legt, sollte nicht überrascht sein, wenn er mit
einem Knall aufwacht.
Sowohl Abu Mazen wie sein Innenminister kritisierten die
Hamas. Als die Hamasführer versuchten, die Schuld auf Israel zu schieben,
war es Abu Mazen, der sie damit nicht durchgehen ließ: "Diejenigen, die
leicht entzündliches Material hierher brachten, hätten die Möglichkeit in
Betracht ziehen sollen, dass ein Streichholz angezündet werden könnte."
Nette Worte. Jedoch reichen sie nicht aus.
Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde hat
genügend Armee- und Polizeieinheiten und jeden internationalen Rückhalt, den
er nur braucht, um diese Einheiten im Gazastreifen in einer Demonstration
der Stärke gegen die Hamas einzusetzen. Die Hamas wurde nicht nur von den
Ministern der europäischen Union heftig kritisiert, sondern sie wurde von
der Bush-Regierung auch als Terrororganisation deklariert.
Damit Israel um eines Abkommens Willen mehr schmerzhafte
Zugeständnisse macht, braucht es mehr als die beschämenden Auftritte während
der Versammlung des Likud-Zentralkomitees. Und es braucht mehr als die Wahl
von gestern Abend und deren Konsequenzen. Was mehr als alles andere benötigt
wird, ist eine Führungspersönlichkeit auf der anderen Seite, die nicht
weniger stark ist als Sharon – ein Mann, der bereit ist, gegen die
Extremisten und gegen die Feinde des Friedens zu kämpfen, ein Mann, der mehr
ist als nur ein Partner auf dem Papier.
hagalil.com 27-09-2005 |