MEMRI Special Dispatch - 16.
September 2005
Iranische Stimmen:
Hurrikan als Symbol für das Scheitern der
US-Gesellschaftsordnung
Die Auswirkungen des
Wirbelsturms Katrina wurden auch im Iran diskutiert. In der
reformislamistischen Zeitung Sharq konstatierte Dr. Hussein Dahshiar,
dass der dürftige Einsatz der US-Regierung gezeigt habe, dass die Idee
des Liberalismus gescheitert sei, weil dieser offenbar vor allem die
schwarzen US-Bürger nicht ausreichend sichern und versorgen würde.
Auch ein Kommentar in der
Wochenzeitung Partowe Sokhan, das dem Ayatollah Mohammad-Taqi Misbah-e
Yazdi, religiöser Mentor des neuen Präsidenten Ahmadinejad, gehört,
macht nicht nur die Bushregierung für die Folgen des Wirbelsturms
verantwortlich. Vielmehr käme hier eine Krise "der technologischen
Zivilisation der liberalen westlichen Demokratie" insgesamt zum
Ausdruck. Die Opfer würden sich nun fragen, warum die Regierung Soldaten
in die ganze Welt schicken würde, anstatt sich um die Katrina-
Überlebenden zu kümmern.
Im Folgenden dokumentieren wir
Ausschnitte aus den beiden Beiträgen vom 11. und 7. September:
Keine Rettung für die
schwarzen US-Bürger
Hussein Dahshiar beginnt seinen
Artikel in der Sharq mit einem Angriff auf Abu Masab Al-Zarqawi, der
Osama Bin Laden und Scheich Aiman Al-Zawahari dazu gratuliert habe, dass
Katrina "dem Teufel" so großen Schaden zugefügt habe. Die Position
Zarqawis, so Dahshiar, sei unmenschlich, primitiv und "ungehörig" und
ein Ausdruck "kulturellen Verfalls". Auf der anderen Seite kritisiert
der Autor die US-Regierung dafür, dass sie "in beschämender Weise" dabei
versagt habe, die durch den Sturm entstandenen sozialen Probleme zu
bewältigen.
Die seit 1776 in den USA
vorherrschende politische Philosophie des Liberalismus gehe davon aus,
so Dahshiar, dass der denkende Mensch "jedes Ereignis managen" könne.
Eine Regierung, die von der Idee des Liberalismus geleitet sei, verfolge
das Ziel "die Sicherheit aller Bürger zu gewährleisten." Weil Sicherheit
die Voraussetzung für die Entwicklung der Menschen wäre, sei jeder
traditionelle liberale Politiker verpflichtet, diese zu gewährleisten.
Während die amerikanischen Republikaner eher auf "law and order"
setzten, würden die Demokraten vorwiegend auf die Gewährleistung von
gesellschaftlichem Wohlstand abzielen.
Nach Ansicht von Dahshiar sei
nun bei der Bewältigung der Folgen des Wirbelsturmes nicht nur die
US-Regierung, sondern auch die Idee des Liberalismus insgesamt
gescheitert:
"Die Regierung von G.W. Bush
ist gescheitert, weil sie nach dem Sturm weder Sicherheit, noch ein
Mindestmaß an Wohlstand gewährleisten konnte. Der Sturm hat die Schwäche
der Regierung aufgedeckt. [...] Besonders für die schwarze Bevölkerung
gab es keine Möglichkeit, sich an einen sicheren Ort zu retten. Die
finanziell besser gestellt Weißen jedoch konnten die Küstenregion
verlassen. [...] Allein in Louisiana leben 5,1 Millionen Schwarze, ca.
70 Prozent der Bevölkerung. Und obwohl die Zentralregierung wusste, dass
viele Bürger ihren Wohnort nicht verlassen konnten, unternahm sie
nichts, um die Menschen aus den vom Sturm bedrohten Regionen zu
evakuieren."
So hätten sowohl die Regierung
des Bundesstaates als auch die Zentralregierung versagt. Ein Staat wie
die USA, der beim Wiederaufbau von zerstörten Staaten wie Deutschland
und Japan finanzielle Hilfe geleistet habe, sei bei den eigenen vom
Sturm heimgesuchten Regionen wie gelähmt. Die Bilder von hungernden
Menschen, Toten und geplünderten Häusern hätten die "Schwäche des
gesamten politischen Systems demonstriert." Der Sturm habe so gezeigt,
"wie wenig die Demokratie in den Vereinigten Staaten verankert ist". [1]
Plünderungen als Ausdruck
einer moralischen Krise
In einem Leitartikel für die Wochenzeitung Parto Sokhan betont Mohammad
Maleksadeh:
"Bis vor einigen Tagen hätten sich die wenigsten Menschen vorstellen
können, dass ein Wirbelsturm und eine Überschwemmung in den Vereinigten
Staaten eine derartige menschliche Katastrophe und solches
Missmanagement herbeiführen könnten. Niemand konnte sich vorstellen,
dass im Zentrum der kapitalistischen Welt nicht einmal ein Mindestmaß
von sozialer Absicherung gewährleistet werden kann. Die traurige
Situation in den drei ärmsten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten hat
gezeigt, wie ungeeignet die Regierung Bush ist, was für tiefe
Klassenunterschiede existieren und wie Armut, Diskriminierung und
Ungerechtigkeit im reichsten Staat der Welt vorherrschen."
Überdies sei "in der Wiege der technologischen Zivilisation der liberalen
westlichen Demokratie" ein, so Maleksadeh, "immenser Mangel an Moral,
Kultur und menschlichen Werten zutage getreten". Insbesondere die
Plünderungen hätten deutlich gemacht, wie unzivilisiert es vor Ort
zugehe. Dabei hebt der Autor hervor, dass CNN "den Schwarzen in
rassistischer Manier unterstellt hat, alleine für die Plünderungen
verantwortlich gewesen zu sein", die BBC diese Behauptung aber in Frage
gestellt habe. "Wenn wir an vergleichbare Katastrophen denken, die sich
in der islamischen Republik Iran ereignet haben, dann erinnern wir uns
an die Spendenbereitschaft und die Hilfeleistungen der muslimischen
Iraner. Erst dann wird uns auch klar, wie unmenschlich und unmoralisch
diese aus der liberaldemokratischen Kultur erwachsenden Verhaltensweisen
tatsächlich sind."
Der Wirbelsturm habe die
"Ineffektivität des Weißen Hauses bei der Lösung von Problemen"
erwiesen: "Hunderttausende hungrige, wütende und obdachlose Menschen
irren orientierungslos zwischen verstreuten Leichen umher. Sie haben die
jämmerlichsten Szenen in der US-amerikanischen Geschichte geschaffen.
[...] In New Orleans vegetieren die Überlebenden des Wirbelsturms im
Schlamm, wie Tiere unter Toten. [...] Die Hauptverantwortung für die
Obdachlosigkeit dieser unglücklichen Menschen trägt die Bushregierung.
Jetzt fordern [die Opfer], dass die Bush-Regierung nicht so viel Geld
ausgeben solle, um sich in die Angelegenheiten anderer Völker
einzumischen. Vielmehr solle sie ihre Soldaten nicht weiterhin überall
in die Welt schicken, sondern diese einsetzen, um die Überlebenden zu
retten. Die armen Menschen fragen, warum die US-Regierung den Reichtum
der Amerikaner für ihre räuberischen Ziele verschwenden muss." [2]
Anmerkungen:
[1] Sharq, 11.9.2005.
[2] Partowe Sokhan, 7.9.2005.
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