
Rechtsextremismus und Gewerkschaften:
"Das Problem nicht kleinreden"
"antifa"-Gespräch mit Andreas Köhn
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Der DGB und die IG Metall haben eine Studie der Freien Universität
Berlin mit dem Titel "Rechtsextremismus und Gewerkschaften" finanziert. Das
in den Medien zum Teil mit Häme publizierte Ergebnis lautet in der
Kürzestfassung: 19 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben eine
rechtsextreme Gesinnung, im Osten sogar 22 Prozent. Der DGB sei vom Ergebnis
nicht überrascht gewesen, war zu lesen.
Das Erschreckende an dieser Studie ist der Beleg dafür, dass in der
Gewerkschaft rechtsextreme Tendenzen größer sind als beim Durchschnitt der
Gesamtbevölkerung. Allerdings denke ich auch, dass ein Gewerkschaftsmitglied
dem Umfeld dieses Landes genau so ausgesetzt, ist wie jeder andere Bürger
auch. Das heißt, gesellschaftliche Tendenzen spiegeln sich auch bei den
Gewerkschaftsmitgliedern wider.
Nun steht die Gewerkschaft doch von der Tradition her im Ruf, eine
antifaschistische, linke Organisation zu sein, die keinen Platz lässt für
Rechtsextremismus. Das schließt das Bild ein, dass sich die Mitglieder im
politischen Denken abheben vom Durchschnitt der Bevölkerung.
Das mag allgemeines Gedankengut sein. Sehen muss man dabei allerdings, dass
sich die Gewerkschaften zunehmend auch als eine Art Ordnungsfaktor im
sozialen Gefüge erweisen und Rechtsextreme setzen ja auch auf einen gewissen
Ordnungsfaktor. Auch wenn in den Satzungen und Beschlüssen der
Gewerkschaften das antifaschistische Prinzip immer hervorgehoben wird, hat
das nicht dazu geführt, dass die Mitgliedschaft von der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung unberührt bleibt.
Haben sich die Gewerkschaften vielleicht zu sehr als sozialer
Ordnungsfaktor verstanden und zu wenig ihre gesamtgesellschaftliche
Verantwortung wahrgenommen, die eine solche Organisation auch nach der Zahl
ihrer Mitglieder hat?
Das ist genau das Problem. Man hat natürlich plakativ auf den
Gewerkschaftstagen zu Fragen des Rechtsextremismus Beschlüsse gefasst und
dies auch in den Satzungen verankert. Aber in dieser Richtung haben die
Gewerkschaften politisch kaum gewirkt - außer bei Großaktionen und auch hier
wieder mehr plakativ als politisch-inhaltlich und auch dadurch wenig zur
Bekämpfung dieser Tendenzen in der Mitgliedschaft beigetragen. Die
Entwicklung ist einfach nicht gebührend wahrgenommen worden. Als dann
Rechtsextremismus auch in unseren Reihen sichtbar wurde, ist dem zu wenig
entgegengewirkt worden.
Die Studie weist nach, dass von den 19 Prozent Gewerkschaftsmitglieder
mit rechtsextremer Gesinnung, mit einem gefestigten rechten Weltbild, 50
Prozent der "Mittelschicht" angehören. Das sind also Facharbeiter und
qualifizierte Angestellte und immerhin 43 Prozent Gewerkschaftsfunktionäre.
Wie erklärt sich, dass gerade diese Gruppe, die doch ringsum sozial
abgesichert ist, so wenig immun ist gegen rechte Gesinnung?
Anfälligkeit für Rechtextremismus ist nicht allein auf soziale Ausgrenzung,
auf Randgruppen der Gesellschaft zu beschränken. Auch andere Studien haben
belegt, dass gerade in den Bereichen des "Bildungsbürgertums" eine gewisse
Anfälligkeit besteht und dass die Ursache des ständig wachsenden
rechtsextremen Potenzials nicht unbedingt auf den wachsenden sozialen
Unterschieden basiert. Deswegen ist dieses Ergebnis der Studie geradezu
erschütternd.
Nun haben wir die Ergebnisse auf dem Tisch. Welche Schlussfolgerungen
zieht die Gewerkschaft ver.di aus der Studie, was wird an konkreten
Schritten zur Mobilisierung der Mitglieder unternommen?
Wir in Berlin-Brandenburg bereiten eine Vielzahl von
Informationsveranstaltungen über den Inhalt der Studie vor, mit denen wir
unsere Mitglieder und vor allem auch die Funktionäre mehr sensibilisieren
wollen. Wir haben ja eine aktive Arbeitsgruppe Rechtextremismus. Wir bieten
auch Beratungen für Betriebs- und Personalräte und Vertrauensleute z. B.
darüber an, wie man diesen Entwicklungen in Betrieben und Behörden begegnet.
Wir müssen auch bei uns aufhören, das Problem klein zu reden oder zu
verdrängen. Die Studie zeigt ja, dass wir uns gezielter mit dieser
Entwicklung auseinandersetzen müssen.
Kann das auch heißen, nehmen wir ein Beispiel aus der jüngsten Zeit, dass
sich die DGB-Spitze, auch die Berliner, am 8. Mai 2005 zum Großaufmarsch der
Faschos am Tag der Befreiung, nicht am Brandenburger Tor beim staatlichen
"Fest der Demokratie" hätte aufhalten sollen, sondern da hätte Gesicht
zeigen sollen, wo vor allem die jugendlichen NPD-Gegner standen und durch
ihre Präsenz letztlich den Aufmarsch verhindert haben?
Das ist völlig korrekt. Man hat sich bei den Gewerkschaftsspitzen im
Regelfall immer den Aufrufen der großen Parteien angeschlossen und sich
nicht selbst den Faschisten in den Weg gestellt. Die Gewerkschaften sollten
die Zusammenarbeit mit den antifaschistischen Gruppen und Verbänden,
darunter sind ja auch viele Gewerkschaftsmitglieder, verstärken und ihnen
offen Unterstützung gewähren. Das heißt auch, die Mitglieder aufzurufen, den
Neofaschisten den Weg zu versperren.
Das Gespräch führte Hans Canjé.
hagalil.com 22-09-2005 |