Zahlen und Statistiken:
Bilanz der Intifada
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die Intifada, wörtlich "Abschütteln", war ein "Aufstand der
Palästinenser gegen die Besatzung", ein "Freiheitskampf für Unabhängigkeit"
oder der Versuch, "mit Gewalt politische Ziele durchzusetzen". Der
"provokative" Besuch von Oppositionschef Ariel Scharon auf dem Jerusalemer
Tempelberg am 28. September 2000 gilt als "Auslöser" der gewaltsamen
Auseinandersetzung. Der amerikanische Mitchel-Report bestreitet, dass das
der Grund für den Gewaltausbruch gewesen sei. Der palästinensische Politiker
Marwan Bargoutti behauptete am ersten Jahrestag der Intifada, Scharons
umstrittene Demonstration genutzt zu haben, um den lange zuvor geplanten
Krieg auszulösen. Joschka Fischer
behauptete beim Gespräch mit Journalisten, dass die palästinensische Führung
die zweite Intifada unter dem Eindruck des israelischen Rückzugs aus
Südlibanon im Mai noch vor dem gescheiterten Friedensgipfel in Camp David im
Juli beschlossen habe. Im Juni 2000 drohte Arafat mit einer "Intifada",
falls bei dem Gipfel nicht hundert Prozent seiner Forderungen erfüllt
würden. So gesehen begann die Intifada schon vor Scharons Provokation, als
palästinensische Polizisten das Feuer auf israelische Soldaten eröffneten.
Die ersten palästinensischen Toten gab es einen Tag nach Scharons
Provokation, am Freitag nach dem Mittagsgebet in der El Aksa Moschee.
Israelische Militärkreise zählten 4862 Kassamraketen und
Mörsergranaten, 939 Panzerfäuste und 15.485 Angriffe mit Gewehren. Hinzu
kamen 126 Selbstmordattentate, 2453 Explosionen von Sprengsätzen und 2101
Granaten. 250 Attentate mit Messern und Versuche, Israelis mit Autos zu
Überfahren, wurden gezählt. Bei so genannten "gezielten Tötungen"
(Liquidierungen) wurden 74 palästinensische Terroristen getötet.
Nach Angaben der Homepage des israelischen Militärsprechers
seien 1064 Israelis getötet worden, darunter 745 Zivilisten und 319
Sicherheitsleute. Insgesamt 7434 Israelis wurden verletzt. Nach Angaben des
israelischen Außenministeriums wurden 1074 Israelis getötet, zehn mehr als
gemäß der Rechnung der Militärs. Die
Palästinenser erlitten nach israelischen Angaben 3536 Tote. Israel
bezeichnet 959 von ihnen als "Terroristen". Unter den 138
Selbstmordattentätern waren 8 Frauen. Über 600 palästinensische Tote waren
Mitglieder der Sicherheitsdienste.
Gemäß einer Statistik des Instituts für Gegen-Terror starben "nur" 126
palästinensische Frauen aber 285 israelische Frauen, obgleich die
Palästinenser vier mal mehr Tote als die Israelis erlitten. Die
Palästinenser hätten 985 tote Zivilisten zu verzeichnen, die Israelis 715.
Die übrigen Opfer werden "Kombattanten" bezeichnet. 365 Palästinenser wurden
von ihren eigenen Leuten getötet. Auf der israelischen Seite kamen 22
Menschen durch eigenes Feuer um. Kinder unter 12 Jahren, die nicht in die
Kämpfe verwickelt waren und getötet wurden: 80 auf der palästinensischen
Seite und 36 bei den Israelis. Nicht-Kämpfer, älter als 45: bei den
Palästinensern 82 und 226 Israelis.
Gemäß einer palästinensischen Statistik kamen 3336 Palästinenser ums Leben
(zweihundert weniger als in der israelischen Aufstellung). Die
Palästinensische Organisation zur Beobachtung von Menschenrechten zählt 146
"liquidierte" Palästinenser, ausnahmslos Mitglieder extremistischer
Organisationen, doppelt so viele, wie die israelischen Militärs angeben. In
den fünf Jahren Intifada wurden 23 Palästinenser von Siedlern ermordet.
Israel unterscheidet nicht zwischen Siedlern und anderen Bürgern, deshalb
liegen dazu keine israelischen Angaben vor.
Die Statistiken weichen wegen unterschiedlicher Maßstäbe
voneinander ab. Auch Ausländer sind umgekommen, darunter ein deutscher
Chiropraktiker durch israelischen Beschuss und ein griechischer Mönch, den
palästinensische Attentäter wegen seines Bartes und seines Autos mit
israelischen Kennzeichen für einen Siedler hielten. In den Statistiken
beider Seiten werden die Ausländer posthum "eingebürgert".
Die Palästinenser beklagen fast ausschließlich tote
"Zivilisten", weil die getöteten Kämpfer und Selbstmordattentäter nicht den
Streitkräften angehörten. Sie redeten von 500 bis 3000 Toten allein beim
"Massaker von Dschenin" im Frühjahr 2002, ohne jedoch die Gesamtzahl ihrer
Toten nach oben zu korrigieren. Laut UNO starben in Dschenin 52
Palästinenser, zwei Drittel von ihnen bewaffnete Kämpfer und 23 israelische
Soldaten. Als "Opfer der Intifada" zählen die Palästinenser auch alte Leute
mit, die an den Straßensperren einen Herzinfarkt erlitten. Niemand kann
jedoch beweisen, dass sie noch am Leben wären, wenn es keine Straßensperre
gäbe. Die Nachrichtenagenturen ap und
Reuters veröffentlichten mit jedem Bericht aus Nahost eigene Statistiken.
Selbstmordattentäter wurden mitgezählt, als seien sie "von den Israelis
getötet" worden, weil palästinensische Kämpfer gelegentlich in der
Gewissheit angriffen, die Attacke nicht zu überleben. Sie wurden tatsächlich
von Israelis erschossen. Sie seien deshalb mit "Selbstmordattentätern"
gleichzusetzen, die sich mit einer Sprengstoffjacke in die Luft jagen.
Israels "Roter Davidstern" zählt 967 tote Israelis, ohne
Soldaten mitzuzählen, weil die vom Militär behandelt wurden. In dessen
Statistik sind allerdings 3 amerikanische Diplomaten enthalten, die einem
Bombenanschlag im Gazastreifen zum Opfer fielen. Ebenso werden da 18
Israelis mitgezählt, die während der Intifada bei Terroranschlägen im
Ausland getötet wurden, darunter am 11.9. in New York.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
Fünf Jahre:
Die Intifada - ein Krieg in Phasen
Die seit fünf Jahren tobende Intifada wird oft nur mit Begriffen wie
"Kreislauf der Gewalt" oder "Eskalation" beschrieben. Tatsächlich bestand
sie aus sehr unterschiedlichen Phasen...
hagalil.com 27-09-2005 |