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Genau so wie auf die antisemitische Rede des CDU-MdB Hohmann erst reagiert wurde, nachdem haGalil darauf hingewiesen hatte, musste haGalil auch auf die Übergriffe auf das koschere Lebensmittelgeschäft Tamm in Berlin immer wieder hinweisen.

Nach mehreren Artikeln interessierte man sich, nicht etwa bei in einer der in Berlin erscheinenden Zeitungen, sondern bei der "Frankfurter Rundschau" und beim Nachrichtenmagazin "Kontraste". Dieter Tamm war inzwischen ruiniert. Die Koffer gepackt.

Dass solche Ereignisse ohne die ehrenamtliche Arbeit eines jüdischen Onlinedienstes gar nicht erst ins öffentliche Bewusstsein gelangt wären, macht das ganze Ausmaß von Gleichgültigkeit und Verdrängung deutlich. Leider ist es dann auch nicht verwunderlich, dass haGalil heute selbst in Existenz und Fortbestand massiv bedroht ist.

Dieter Tamm hatte einen kleinen Laden in Berlin-Tegel, spezialisiert auf koschere Lebensmittel. Draußen hing die israelische Fahne. Kahl geschorene Jugendliche beschimpften ihn deshalb als "Judenschwein", Jugendliche arabischer Herkunft pinkelten ans Schaufenster, irgendwann zerschmetterte ein Stein die Scheibe.

Rundfunk Berlin Brandenburg,
Autor: Anja Dehne und Esther Shapira

>> Anschauen (RealVideo)...


Dieter Tamm entschloss sich, nach Israel zu gehen. Vor zwei Jahren wanderte er aus. "Selber schuld", sagen seine ehemaligen Nachbarn. Anja Dehne und Esther Shapira besuchten Dieter Tamm für Kontraste in Haifa und zeichnen ein erschreckendes Stimmungsbild deutscher Realität.

Keine Sehnsucht mehr nach Deutschland:
Warum Dieter Tamm nach Israel auswanderte?

Sein Name ist Dieter Tamm. Ein waschechter Berliner mit einem dicken Berliner Akzent. Dieter Tamm lebt nicht mehr in Berlin. Dieter Tamm hatte einen Fehler gemacht: er hatte sie geglaubt, die vielen schönen Reden von der Rückkehr jüdischen Lebens nach Deutschland und wie sehr sich die Deutschen doch darüber freuten. Das war ein Irrtum. Über diesen Irrtum haben wir schon einmal berichtet. Und jetzt haben wir ihn besucht, in Haifa, den Berliner Juden mit dem Berliner Akzent. Dieter Tamm, der emigrierte, weil er in Deutschland nicht mehr leben konnte. 60 Jahre nach dem Holocaust. Anja Dehne und Esther Schapira erzählen seine, das heißt unsere Geschichte.

Arie Tamm
"Shalom, Shalom, kommen Sie ruhig rein."

Anderthalb Zimmer unter dem Dach - das ist sein neues Zuhause. Die Möbel hat Herr Tamm auf dem Flohmarkt gekauft. Aus Deutschland kam er nur mit drei Koffern.

Arie Tamm
"Na ja, ist nicht so doll eingerichtet, aber ich bin zufrieden."

Fotos von den Verwandten. Die Großeltern starben im KZ Theresienstadt. Als er kam, konnte er kaum ein Wort sprechen. "Hebräisch leicht gemacht", ein Kurs für Anfänger.

Arie Tamm
"Hier im Rekorder ist immer ein Band drinne, so dass ich, wenn ich anschalte, morgens aufstehe, höre ich immer irgendwelche Vokabeln."

Aber nach einem Jahr fällt es ihm noch immer schwer sich in seiner neuen Sprach zu verständigen. Er ist 62 Jahre, 61 davon hat er in Deutschland gelebt und nur ein Jahr hier in Haifa.

Arie Tamm
"Vom Denken her, denke ich, bin ich Israeli. Also fühle mich hier in Israel eben heimisch und auch wohl. Also ich würde nicht unbedingt nach Deutschland zurückgehen."
KLARTEXT
"Dieter Tamm haben Sie zurückgelassen?"
Arie Tamm
"Richtig, Dieter Tamm existiert nicht mehr."

Berlin- Tegel. Dieter Tamm, der deutsche Jude, existiert nicht mehr. Sein Laden ist geschlossen, seit knapp zwei Jahren, die zerschmetterte Schaufensterscheibe immer noch nicht repariert. Es sind keine Molotow-Cocktails geflogen, Herr Tamm, der Jude, ist auch nicht verprügelt worden. Und eigentlich ist doch gar nichts gewesen, sagen die Nachbarn.

Nachbarin
"Ist mir unangenehm zu sagen, der war jüdisch und der war aus dem Osten und da haben die ihm wohl hier immer Sperenzchen gemacht und seitdem ist er weg."

Nachbar
"Da würde ich mich von solchen Eierköpfen doch nicht aus dem Land vertreiben lassen. Da würde ich wahrscheinlich irgendwo anders hingehen."
KLARTEXT
"Also können Sie das nicht verstehen, dass der Herr Tamm jetzt nach Israel gegangen ist?"
Nachbar
"Nee, so schlimm war es ja nun auch nicht."

Nachbar
"Ich hab damit keine Probleme. Ich finde auch mal, dass diese ganze Problematik, Juden, Deutsche, das muss irgendwann mal aufhören. Ich bin Baujahr 54, ich bin jetzt 50 Jahre alt, muss mir mein ganzes Leben lang diesen Holocaust vorwerfen lassen, ja, und habe damit gar nichts zu tun gehabt."

Um den Holocaust geht es gar nicht. Eigentlich geht es nur um einen kleinen Lebensmittelladen, den es heute nicht mehr gibt. Erst verkauft Herr Tamm ganz normale Brötchen, da läuft der Laden gut. Dann stellt er um auf koschere Ware, auf Lebensmittel nach dem religiösen Reinheitsgebot der Juden. Der Laden, zu erkennen an der israelischen Fahne und am Davidstern in der Schaufensterscheibe. Herr Tamm wird terrorisiert.

Erst sind es junge Männer mit kahlgeschorenen Köpfen. Sie rufen: "Judenschwein, Du gehörst in die Gaskammer". Es wird der Hitlergruß gezeigt, Hacken knallen. Dann kommen Jugendliche arabischer Herkunft. Sie spucken und urinieren gegen die Schaufensterscheibe, pöbeln die Kundschaft an. Die Kunden bleiben irgendwann weg.

Und dann fliegt eines Nachts ein Stein in die Scheibe des Ladens. Die Täter werden nie gefasst.

Tabakwarenhändler
"Vielleicht hat er auch ein bisschen selber dran Schuld. Aber wieso kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich mit dem Mann nichts zu tun habe."

Fragesteller
"Aber wieso hat er selber Schuld, weil er die Fahne rausgehängt hat, die israelische. Oder warum hat er selber Schuld?"

Tabakwarenhändler
"Na ja, er hat das provoziert. Er hat das provoziert."

Arie Tamm
"Ich bin traurig, dass meine Existenz in Deutschland, meine Existenz, wo ich eigentlich in Tegel was Neues schaffen wollte. Ich wollte in Tegel schaffen, dass jüdische Menschen dort auch einkaufen können und frei atmen können und ohne angegriffen zu werden, habe ich nicht geschafft, aber einen Groll habe ich gegen Deutschland eigentlich nicht."

Dieter Tamm existiert nicht mehr. Er heißt jetzt Arie, was übersetzt soviel heißt wie Löwe. Arie Tamm hat in Israel ein neues Leben begonnen. Mit seiner Frau hat er die Vereinbarung getroffen, dass sie von ihrem Gehalt als Kindergärtnerin in Deutschland die Schulden abbezahlt. In zwei Jahren soll sie nachkommen. Die Trennung ist schwer für Arie Tamm, im Moment bleibt ihm nur das Telefon, zweimal in der Woche. Und aus Deutschland gibt es nicht immer gute Nachrichten. Seine Frau ist manchmal verzweifelt.

Arie Tamm
"Ihr haben sie einen FrauenTammpon und einen toten Vogel auf den Balkon geschmissen, öfter mal so was. Die wissen, dass wir jüdisch sind und meine Frau ärgern sie nun damit, weil sie wissen, dass sie sich davor ekelt und alleine ist, dass ich gar nicht mehr da bin."

Jetzt geht Arie Tamm regelmäßig in eine orthodoxe Religionsschule. Hier trifft er Rabbiner Tuvia Haussmann, seinen Freund und Lehrer. Ihn kennen gelernt zu haben, sei göttliche Fügung, sagt Herr Tamm. So wie sein ganzes Leben. 1943 geboren, überlebt er die Nazizeit versteckt in Deutschland. Ein Wunder oder, wie er sagt, "ha shems"- Gottes Wille.

Arie Tamm
"Dieser Laden, der kaputt gemacht worden ist, der hat mir eigentlich den Weg gezeigt, "ha shem" hat mir eigentlich den Weg gezeigt, du musst nach Israel gehen, du musst…deiner Mutter hast du es versprochen, du musst nach Israel gehen, was suchst du hier überhaupt. Hier spucken sie deinen Laden voll, hier machen sie den kaputt. Was möchtest du in Deutschland? Was möchtest du…geh nach Israel und lerne, damit du weißt, dass du Jude bist."

60 Jahre nach Kriegsende ist Deutschland kein Ort mehr zum Leben für den Juden aus Berlin. Arie Tamm ist angekommen in Israel. Und es gibt Nachbarn in Berlin- Tegel, die ihn vermissen.

Nachbarin
"Ich wünschte, es würde mehr Leute geben, die ihm die Hand reichen. Und auch mehr Leute, die wissen wollen, die hinterfragen. Also Dummheit ist nicht das Schlimme, sondern das nicht wissen wollen, das ist das eigentlich Schlimme und ich kann mich nur entschuldigen, es tut mir Leid."

Arie Tamm
"Mein Zuhause ist hier in Israel. Also ich habe keine Sehnsucht mehr nach Deutschland."

Und traurig ist er, hat er uns gesagt – für die Deutschen, dass er das nicht hat schaffen können: "einen Laden, in dem jüdische Menschen einkaufen und frei atmen können, ohne angegriffen zu werden." Das hier war keine historische Dokumentation. Das ist die Echtzeit. Und niemand kann sagen, er hätte’s nicht gewusst.

Beitrag von Anja Dehne und Esther Shapira, Kontraste,
Sendung vom 16. Juni 2005
[VIDEO SEHEN]

hagalil.com 04-09-2005

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