"Gnade und Berufung sind unwiderruflich"
Papst Benedikt XVI. bewegte bei seinem Besuch in der Synagoge alle Herzen
Schalom alechem!
Es war mir ein tiefes Anliegen, anlässlich meines
ersten Besuches in Deutschland nach der Wahl zum Nachfolger Petri der
jüdischen Gemeinde von Köln und den Vertretern des deutschen Judentums zu
begegnen.
Mit diesem Besuch möchte ich an das Ereignis des 17.
Novembers 1980 anknüpfen, als mein verehrter Vorgänger, Papst Johannes Paul
II., auf seiner ersten Deutschland-Reise in Mainz dem Zentralrat der Juden
in Deutschland und der Rabbinerkonferenz begegnete. Auch bei dieser
Gelegenheit möchte ich versichern, dass ich beabsichtige, den Weg der
Verbesserung der Beziehungen und der Freundschaft mit dem jüdischen Volk,
auf dem Papst Jobannes Paul II. entscheidende Schritte getan hat, mit voller
Kraft weiterzuführen.
Die jüdische Gemeinde von Köln darf sich in dieser Stadt
wirklich "zu Hause" fühlen. Tatsächlich ist dies der älteste Sitz einer
jüdischen Gemeinde auf deutschem Boden: Sie reicht zurück bis in das Köln
der Römerzeit. Die Geschichte der Beziehungen zwischen jüdischer und
christlicher Gemeinde ist komplex und oft schmerzlich. Es gab Perioden guter
Nachbarschaft, doch es gab auch die Vertreibung der Juden aus Köln im Jahr
1424. Im 20. Jahrhundert hat dann in der dunkelsten Zeit deutscher und
europäischer Geschichte eine wahnwitzige neuheidnische Rassenideologie zu
dem staatlich geplanten und systematisch ins Werk gesetzten Versuch der
Auslöschung des europäischen Judentums geführt, zu dem, was als die Schoa in
die Geschichte eingegangen ist. Diesem unerhörten und bis dahin auch
unvorstellbaren Verbrechen sind allein in Köln 11.000 Juden zum Opfer
gefallen. Weil man die Heiligkeit Gottes nicht mehr anerkannte, wurde auch
die Heiligkeit menschlichen Lebens mit Füßen getreten.
In diesem Jahr gedenken wir des 60. Jahrestags der
Befreiung aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in deren
Gaskammern Millionen von Juden - Männer, Frauen und Kinder -umgebracht und
in den Krematorien verbrannt worden sind. Ich mache mir zu eigen, was mein
verehrter Vorgänger zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz
geschrieben hat und sage ebenfalls: "Ich neige mein Haupt vor all denen, die
diese Manifestation des mysterium iniquitatis erfahren haben." Die
fürchterlichen Geschehnisse von damals müssen unablässig die Gewissen
wecken, Konflikte beenden and zum Frieden ermahnen. Gemeinsam müssen wir uns
auf Gott und seinen weisen Plan für die von ihm erschaffene Welt besinnen:
Er ist - wie das Buch der Weisheit mahnt - "ein Freund des Lebens".
Ebenfalls in diesem Jahr sind es vierzig Jahre her, dass
das Zweite Vatikanische Konzil die Erklärung Nostra aetate promulgiert und
damit neue Perspektiven in den jüdisch-christlichen Beziehungen eröffnet
hat, die durch Dialog und Partnerschaft gekennzeichnet sind. Im vierten
Kapitel erinnert diese Erklärung an unsere gemeinsamen Wurzeln und an das
äußerst reiche geistliche Erbe, das Juden und Christen miteinander teilen.
Sowohl die Juden als auch die Christen erkennen in Abraham ihren Vater im
Glauben und berufen sich auf die Lehren Moses und der Propheten. Die
Spiritualität der Juden wird wie die der Christen aus den Psalmen gespeist.
Mit dem Apostel Paulus sind die Christen überzeugt, dass Gnade und Berufung,
die Gott gewährt, unwiderruflich sind. In Anbetracht der jüdischen Wurzeln
des Christentums hat mein verehrter Vorgänger in Bestätigung eines Urteils
der deutschen Bischöfe gesagt: "Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem
Judentum".
Deshalb beklagt die Konzilserklärung Nostra aetate "alle
Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich
zu irgendeiner Zeit und von irgend jemand gegen das Judentum gerichtet
haben". Gott hat uns alle als sein Abbild geschaffen und uns dadurch mit
einer transzendenten Würde ausgezeichnet. Vor Gott besitzen alle Menschen
die gleiche Würde, unabhängig davon, welchem Volk, welcher Kultur oder
Religion sie angehören. Aus diesem Grund spricht die Erklärung Nostra aetate
auch mit großer Hochachtung von den Muslimen und den Angehörigen anderer
Religionen. Aufgrund der allen gemeinsamen Menschenwürde verwirft die Kirche
jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner
Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen als einen Akt,
der im Widersprach zu dem Willen Christi steht.
Die Kirche weiß sich verpflichtet, diese Lehre in der
Katechese und in jedem Aspekt ihres Lehens an die nachwachsenden
Generationen, die selbst nicht mehr Zeugen der schrecklichen Ereignisse vor
und während des Zweiten Weltkriegs waren, weiterzugehen. Das ist insofern
eine Aufgabe von besonderer Bedeutung, als heute leider erneut Zeichen des
Antisemitismus und Formen allgemeiner Fremdenfeindlichkeit auftauchen. Sie
sind Grund zur Sorge und zur Wachsamkeit Die katholische Kirche - das möchte
ich auch bei dieser Gelegenheit wieder betonen - tritt ein für Toleranz,
Respekt, Freundschaft und Frieden unter allen Völkern, Kulturen und
Religionen.
In den vierzig Jahren seit der Erklärung Nostra aetate ist
in Deutschland und auf internationaler Ebene Vieles zur Verbesserung und
Vertiefung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen getan worden. Neben
den offiziellen Beziehungen sind besonders dank der Zusammenarbeit unter den
Bibelwissenschaftlern viele Freundschaften entstanden. Ich erinnere in
diesem Zusammenhang an die verschiedenen Erklärungen der Deutschen
Bischofskonferenz und an die segensreiche Tätigkeit der Kölnischen
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die dazu beigetragen
hat, dass sich die jüdische Gemeinde seit 1945 hier in Köln wieder zu Hause
fühlen kann und zu einem guten nachbarschaftlichen Zusammenleben mit den
christlichen Gemeinden gefunden hat.
Vieles bleibt freilich noch zu tun. Wir müssen uns noch
viel mehr und viel besser gegenseitig kennen lernen. Deshalb ermutige ich zu
einem aufrichtigen und vertrauensvollen Dialog zwischen Juden und Christen.
Nur so wird es möglich sein, zu einer beiderseits akzeptierten
Interpretation noch strittiger historischer Fragen zu gelangen und vor allem
Fortschritte in der theologischen Einschätzung der Beziehung zwischen
Judentum und Christentum zu machen. In diesem Dialog kann es ehrlicherweise
nicht darum gehen, die bestehenden Unterschiede zu übergehen oder zu
verharmlosen: Auch und gerade in dem, was uns aufgrund unserer tiefsten
Glaubensüberzeugung voneinander unterscheidet, müssen wir uns gegenseitig
respektieren.
Schließlich sollte unser Blick nicht nur zurück in die
Geschichte gehen, er sollte ebenso vorwärts auf die heutigen und morgigen
Aufgaben gerichtet sein. Unser reiches gemeinsames Erbe und unsere an
wachsendem Vertrauen orientierten geschwisterlichen Beziehungen verpflichten
uns, gemeinsam ein noch einhelligeres Zeugnis zu geben und praktisch
zusammenzuarbeiten in der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte und
der Heiligkeit des menschlichen Lebens, für die Werte der Familie, für
soziale Gerechtigkeit und für den Frieden in der Welt.
Der Dekalog ist für uns gemeinsames Erbe und gemeinsame
Verpflichtung, Die Zehn Gebote sind nicht Last, sondern Wegweiser zu einem
geglückten Leben. Sie sind es besonders für die Jugendlichen, die ich in
diesen Tagen treffe und die mir so sehr am Herzen liegen. Ich wünsche mir,
dass sie den Dekalog als die Leuchte für ihre Schritte und als Licht für
ihre Pfade erkennen, wie es Psalm 119 heißt. Die Erwachsenen tragen die
Verantwortung, den jungen Menschen die Fackel der Hoffnung weiterzureichen,
die Juden wie Christen von Gott geschenkt worden ist, damit die Mächte des
Bösen nie wieder die Herrschaft erlangen und die künftigen Generationen mit
Gottes Hilfe eine gerechtere und friedvollere Welt errichten können, in der
alle Menschen das gleiche Burgerrecht besitzen.
Ich schließe mit den Worten aus Psalm 29, die ein
Glückwunsch und zugleich ein Gebet sind:
"Der Herr gebe Kraft seinem Volk. Der Herr segne sein Volk mit Frieden."
Möge er uns erhören!
Papst Benedikt XVI
Begrüßung von Papst Benedikt XVI. durch Abraham
Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln, am 19.08.2005 in der
Synagoge Roonstraße
Rede des Gemeinderabbiners Rabbiner Netanel
Teitelbaum, der Synagogen-Gemeinde Köln, anlässlich des Besuches von Papst
Benedikt XVI.
Synagogen-Gemeinde Köln
hagalil.com 04-09-2005 |