
Friedhof Weißensee:
Weil er etwas über uns alle sagt
Kommentar von Philipp Gessler
Es gibt das böse-satirische Wort des Publizisten
Rafael Seligmann, dass die Deutschen ab dem 9. Mai 1945 begonnen
hätten, tote Juden zu lieben. Da ist was dran. Es wird noch lange
dauern, bis das jüdische Leben in Deutschland wieder als
selbstverständlicher Teil der hiesigen Gesellschaft begriffen wird -
und ob eines Tages wieder ein "deutsches Judentum" entstehen wird,
ist sehr fraglich.
Polemisch gesagt, drohen die jüdischen Gemeinden
immer mehr zu russischen Kulturvereinen zu werden. Das jüdische
Leben braucht deshalb gesellschaftliche Unterstützung. Brauchen dies
auch die Toten des Jüdischen Friedhofs in Weißensee, wo auch Opfer
der Deutschen liegen?
Ja, unbedingt. Abgesehen davon, dass man Hilfe für
das heutige jüdische Leben nicht gegen die Erinnerung an das
vergangene ausspielen sollte, wäre es für die ganze Stadt und die
gesamte deutsche Gesellschaft wichtig, wenn sie sich um den größten
jüdischen Friedhof Europas kümmerten. Nicht nur deshalb, weil die
Ehrung der Toten zur unverzichtbaren Essenz jeder Zivilisation
gehört, ja vielleicht sogar der Anfangspunkt jeder Kultur ist. Der
Jüdische Friedhof in Weißensee erzählt uns eine lehrreiche, traurige
Geschichte über uns selber, auf eine stille Weise.
Deshalb ist die Idee des Gemeindevorsitzenden Meyer
zu unterstützen, den Friedhof in die Liste des Weltkulturerbes
aufzunehmen. Mag sein, dass die Initiative scheitert - aber der
Gedanke Meyers ist richtig, dass selbst dann dieses, na ja, Kleinod
wieder mehr ins Bewusstsein der Berlinerinnen und Berliner gerückt
wäre.
Zumal öffentliche Hilfe für den Erhalt dieses immer
weiter verfallenden Friedhofs weit sinnvoller ist, als sehr viel
mehr Geld für den Wiederaufbau des gruseligen Stadtschlosses zu
verpulvern. Abdruck mit
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03-08-2005 |