Ribbentrops
Pressechef:
Paul Karl Schmidt vor und nach 1945
Wigbert Benz:
Paul Carell
Berlin 2005 (Wissenschaftlicher Verlag)
112 Seiten, 16,80 Euro, ISBN 3-86573-068-X
Rezension aus

In seiner aktuellen Publikation beschreibt Wigbert Benz
die Karriere des Paul Karl Schmidt (1911-1997) - seines Zeichens vor 1945
erst NS-Studentenführer, dann Pressechef unter Hitlers Außenminister
Ribbentrop, nach 1945 Bestsellerautor ("Paul Carell") und persönlicher
Berater des Pressemagnaten Axel Springer.
Benz präsentiert nicht nur bisher unerschlossenes Quellenmaterial, sondern
setzt sich auch kritisch mit der bereits vorliegenden Literatur über Schmidt
auseinander. Es gelingt ihm, dem Journalisten Otto Köhler, der Schmidt in
seinem Buch "Unheimliche Publizisten" (1995) ein Kapitel widmet, diverse
Ungenauigkeiten nachzuweisen; viel schwerer allerdings wiegen die von Benz
diagnostizierten Versäumnisse des Historikers Peter Longerich, der sich im
Rahmen seiner Dissertation ("Propagandisten im Krieg", 1989) mit Schmidt
befasst hat: Bei Longerich "fehlt jeder direkte Hinweis" auf Schmidts
"propagandistische Initiative (...) zur Deportation der Budapester Juden
1944", obwohl ihm das entsprechende Dokument bekannt ist.
In einer "Notiz" für den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Gustav
Steengracht von Moyland, hatte SS-Obersturmbannführer Schmidt am 27. Mai
1944 vorgeschlagen, die "Anlässe und Begründungen" für die geplante
"Großaktion auf die Budapester Juden" selbst zu schaffen - durch
"Sprengstofffunde in jüdischen Vereinshäusern und Synagogen,
Sabotageorganisationen, Umsturzpläne, Überfälle auf Polizisten,
Devisenschiebungen großen Stils mit dem Ziele der Untergrabung des
ungarischen Währungsgefüges".
Aufgrund propagandistischer Anregungen dieser Art ermittelte die
Staatanwaltschaft Verden/Aller in den Jahren 1965 bis 1971 wegen Mordes
gegen Schmidt, der zu diesem Zeitpunkt längst zur journalistischen Elite der
Bundesrepublik zählte. Der vielgepriesene Autor schrieb für die "Welt", die
"Zeit" und den "Spiegel"; in Kooperation mit dem ehemaligen SS-Offizier
Horst Mahnke, der nach seiner Zeit beim "Spiegel" 1960 zum Chefredakteur der
Springer-Zeitschrift "Kristall" avanciert war, entstanden die Serien
"Unternehmen Barbarossa" und "Verbrannte Erde" über den Überfall
Nazideutschlands auf die Sowjetunion. Aus ihnen wurden 1963 und 1966 in Axel
Springers Ullstein-Verlag Buchbestseller mit Millionenauflage und
Übersetzungen in etwa ein Dutzend Sprachen.
Benz gelingt nun der Nachweis, dass Schmidt hier unter dem Pseudonym "Paul
Carell" integrale Elemente der von ihm weiland mitgestalteten NS-Propaganda
aufgreift: Die Lüge vom "Präventivkrieg", der zufolge die deutsche Wehrmacht
lediglich einem bereits detailliert geplanten Angriff Stalins zuvorkam, und
die Behauptung einer "sich gegen die Russen verteidigenden europäischen
Völkerfamilie". Kriegsverbrechen und Massenvernichtung kommen bei
Schmidt/Carell folgerichtig nicht vor; eifrig strickt er an den Legenden von
der "sauberen Wehrmacht" und der "heldenhaft kämpfenden Waffen-SS". Mit
Aussagen dieser Art empfahl sich Schmidt für eine Tätigkeit im Hause
Springer; da er sich gleichzeitig geflissentlich jedweder antisemitischer
Einlassungen enthielt, konnte er dem Verleger bis zu dessen Tod 1985 als
persönlicher Redenschreiber und Sicherheitsberater zur Seite stehen.
Wigbert Benz' Arbeit besticht trotz ihrer Kürze durch eine hohe deskriptive
und analytische Qualität. Umso mehr verwundert es, dass der Autor eine Frage
völlig offen lässt: Warum lancierte Schmidt nach 1945 in seinen Pressetexten
immer wieder die These von der Einzeltäterschaft des niederländischen
Anarchisten Marinus van der Lubbe beim Reichstagsbrand 1933? Welches Ziel
verfolgte er damit?
Des Rätsels Lösung ist denkbar einfach, denn Benz hat alle dafür notwendigen
Materialien bereits versammelt. Den entscheidenden Hinweis gibt der
Historiker Hans Mommsen, der 1962 dafür gesorgt hatte, dass einem Kollegen
am Münchner Institut für Zeitgeschichte, der an die Täterschaft van der
Lubbes nicht so recht glauben mochte, der Forschungsauftrag entzogen wurde.
Zur Begründung hatte Mommsen erklärt, dass "aus allgemeinpolitischen Gründen
eine derartige Publikation unerwünscht" sei. Schmidts propagandistische
Initiative zielte - ebenso wie Mommsens Einschreiten - auf die
Rehabilitierung ehemaliger NS-Kriminalisten, die längst wieder die
bundesdeutschen Kriminalpolizeiämter bevölkerten. Sein Kronzeuge für die
Täterschaft van der Lubbes - und damit für die Unschuld der Nazis am
Reichstagsbrand - ist Dr. Walter Zirpins, der 1933 die polizeilichen
Ermittlungen geleitet hatte und 1940/41 als Kripo-Chef im Ghetto
Litzmannstadt (Lodz) am Raub von Gold und Wertsachen aus jüdischem Besitz
beteiligt war.
1957, als Schmidts erster Artikel zum Reichstagsbrand im "Spiegel" erschien,
war Zirpins Leiter der Kripo Hannover im Rang eines Oberregierungsrates.
Auch für ihn gilt, was Benz über Schmidt herausgefunden hat: Seine
Nachkriegskarriere basierte auf einem gut funktionierenden "Netzwerk an
tragfähigen Beziehungen". [BESTELLEN?]
Außerdem meinte die "Stuttgarter Zeitung" v. 29.7.2005, S.
32: ... "Geschickt gelang es Dr. Paul Schmidt alias Paul Carell nach dem
Kriege, seine Vergangenheit zu verdecken und mit Hilfe alter
Gesinnungsfreunde beim "Spiegel" und im Springer-Verlag publizistisch Fuß zu
fassen"...
... Aus dem Klappentext: "Paul
Karl Schmidt alias Paul Carell hat mit seinen Bestsellern zum 2. Weltkrieg
das Bild vom Krieg der Wehrmacht als sauberen, kameradschaftlichen und
heldenhaften Kampf geprägt.
Als politischer Journalist schrieb er u.a. in der ZEIT zu den Ursachen
beider Weltkriege, im SPIEGEL zur Reichstagsbrandkontroverse, in der WELT
zur Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr.
Vor 1945 war er der jüngste Gesandte I. Klasse bzw. Ministerialdirigent im
NS-Regime. Er leitete die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes und hatte
wesentlichen Anteil an der Auslandspropaganda des Regimes. In diesem
Zusammenhang machte er propagandistische Vorschläge zur Rechtfertigung der
Deportation von Juden aus Budapest 1944"...
...
hagalil.com 02-08-2005 |