Gaza-Rückzug:
Der Traum ist ausgeträumt
Analyse von Yoel Marcus, Ha'aretz, 15.08.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Am 2. Februar 2004, morgens um 10.15 Uhr, legte
Premierminister Ariel Sharon eine Bombe in meine Hände. Im ruhigen
Ton eines entschlossenen Mannes erklärte er, dass das Vakuum, das
die Palästinenser geschaffen hätten, nicht weiter fortbestehen könne
und dass er aus diesem Grund den Befehl gegeben habe, 21 Siedlungen
im Gazastreifen und in der Westbank zu evakuieren. Das Ziel sei,
Gemeinden umzusiedeln, die wir im Rahmen eines Endstatus-Abkommens
sowieso nicht behalten könnten.
Während dieser Minuten konnte man die Flügel der Geschichte rauschen
hören. Scharon, der Erbauer der Siedlungen, baut sie wieder ab? In
der Tat, ja. In seiner detaillierten Schilderung sagte er richtig
voraus, dass die Umsetzung schwierig werden würde –sowohl in
politischer wie in operativer Hinsicht- und dass eineinhalb oder
zwei Jahre von Nöten seien, um sie zu vollenden. Er sah die
politischen Schwierigkeiten, auf die er in den Likud-Institutionen
treffen würde, voraus. Doch was mein Ohr mehr als alles andere
wahrnahm, war die Aussage: "Betrachten Sie diese Evakuierung nicht
als das Ende des Prozesses." Mit anderen Worten heißt das, Scharon
war für sich selbst zu dem Schluss gekommen, das Land zu teilen.
Dies war Scharons Scheidung von den Siedlern und sein Lebewohl an
die Vorstellung eines Groß-Israels. Wie er dieser Tage sagte: "Wir
hatten einen Traum, doch er kann nicht verwirklicht werden."
Letzte Nacht um Mitternacht, 18 Monate nach der Unterhaltung mit
Scharon, wurde die Schranke bei Kissufim nach 36 Jahren zum letzten
Mal geschlossen. An diesem Montagmorgen werden 1.200 israelische
Offiziere den Siedlern Räumungsbescheide aushändigen, mit dem
Befehl, ihre Häuser innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Von
Mittwoch an wird jeder Israeli, ob Siedler oder Eindringling,
gewaltsam aus dem Gazastreifen evakuiert.
Die Entscheidung zur Evakuierung passierte das Kabinett, die Knesset
und den Obersten Gerichtshof. Doch der Siedlerrat, die Extremisten,
die Hügeljugend, die Kahane-Anhänger und einige der Rabbiner haben
einen Aufstand gegen die Autorität des Staates erklärt. Von
Versammlung zu Versammlung, von Provokation zu Provokation, von
Drohung zu Drohung entschieden sie, die Evakuierung gewaltsam zu
verhindern, indem sie zu Tausenden in den Gazastreifen eindrangen
und die israelische Armee als Feind betrachteten.
Staatspräsident Moshe Katzavs kürzliche Entschuldigung an die
Siedler war fehl am Platz. Er hätte die israelischen Soldaten, von
den Söhnen bis zu den Vätern, um Vergebung bitten müssen.
Diejenigen, die über Dutzende von Jahren hinweg als kugelsichere
Westen für die Siedler gedient haben, die ihr Leben gegeben haben,
um Frauen und Kinder auf dem Weg zum Kindergarten, zur Schule oder
zum Ballettunterricht zu beschützen, während das
Siedlungsunternehmen immer mehr zu einer religiös-messianischen
Bewegung wurde. Angesichts dessen hätte Katzav im Voraus die
Polizisten und Soldaten um Vergebung bitten müssen, die sich während
der nächsten Tage gegen die Groß-Israel-Verrückten im Gazastreifen
und gegen deren geplante Provokationen im "letzten Kampf" zur
Verhinderung der Abkopplung –egal, wie viel Menschenleben dieser
kosten wird- behaupten müssen.
Scharon wird sich in seiner Rede an die Nation heute Abend nicht bei
den Siedlern entschuldigen. Sie haben ihr Recht zu protestieren
bereits ausgeschöpft und schaden nur noch der Autorität des Staates,
dessen Stärke und seiner demokratischen Herrschaft. Sie werden es
nicht wagen, eine Hand gegen die Armee oder die Polizei zu erheben,
um nicht die fortdauernde Existenz des Staates in einen Traum zu
verwandeln.
hagalil.com 15-08-2005 |