Antisemitismus und Karikatur:
Neues aus Deutschland?
Auf nebenstehende Karikatur der deutschen
Tageszeitung "Neues Deutschland", Berlin, reagierte am 19.08.2005 der
Jüdische Kulturverein, Berlin, mit einem offenen Brief.
Mittlerweile liegt folgende Antwort der Redaktion des "Neuen Deutschland"
vor:

An den
Jüdischen Kulturverein Berlin e.V.
z.Hd. Dr. Irene Runge
und Ralf Bachmann
Berlin, 23. August 2005
Sehr geehrte Frau Dr. Runge, sehr geehrter
Herr Bachmann,
ich bitte um Verständnis, dass ich erst jetzt auf Ihren Brief vom 19.08.
antworte, da ich ihn nicht früher zur Kenntnis nehmen konnte.
Zunächst möchte ich anmerken, dass die inhaltliche Aussage einer Karikatur
in unserer Zeitung – wie die eines Textes – natürlich nicht unbedingt eine
einheitliche Redaktionsmeinung widerspiegeln muss. Aber natürlich trägt die
Redaktion die Verantwortung für die Veröffentlichung, entscheidet darüber,
ob ein angebotener Text oder eine Zeichnung zur journalistischen und
politischen Orientierung von ND passt. Was die Frage der Räumung der
israelischen Siedlungen und die Landrückgabe in Gaza betrifft, so wurde
diese in vielen ND-Artikeln als ein historisch richtiger Schritt für eine
friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts angesehen. Ich
habe aus der Karikatur nicht den Eindruck gewonnen, dass Frau Pfohlmann
Gegenteiliges ausdrücken wollte.
Aber zum Kern, um den es hier geht, die Verwendung des Davidsterns in der
Karikatur. Die von Ihnen angestellten Assoziationen kann ich nicht
nachvollziehen. Die Karikatur hat weder einen irgendwie bagatellisierenden
Bezug zu den deutschen Verbrechen am jüdischen Volk, noch werden hier
missbräuchliche und falsche Verknüpfungen zwischen israelischer Politik und
dem Leid des jüdischen Volkes unter der Nazi-Herrschaft hergestellt, wie
dies in antisemitischer und rechtsextremer Propaganda der Fall ist. Ich kann
auch nicht erkennen, dass der Zeichnung irgendeine fahrlässige Anspielung in
dieser Hinsicht begründet vorgehalten werden kann. Sie können versichert
sein, dass – wäre dies so – eine solche Karikatur in ND keinen Platz
gefunden hätte und keinen Platz finden wird.
Der Davidstern ist ein offizielles Symbol Israels, er steht hier als
zeichnerisches Kennzeichen für die jüdischen Siedlungen, die einst mit
Plänen des israelischen Staates in den besetzten palästinensischen Gebieten
errichtet wurden. Karikaturisten stehen häufig vor dem Problem, wie sie das,
was sie zeichnen, für den Betrachter eindeutig identifizierbar machen, zumal
wenn es sich nicht um Vorgänge oder Personen handelt, die jederzeit präsent
und optisch bekannt sind. Wenn ein Bagger etwas wegräumt, ist nicht ohne
weiteres auszumachen, was da und wo es passiert. Wenn es um die
Bundesrepublik Deutschland geht, kann ein Karikaturist zur Verdeutlichung
vielleicht einen Bundesadler zeichnen, bei den USA ein Sternenbanner, bei
Großbritannien den Union Jack, bei der Sowjetunion früher Hammer und Sichel.
Sicher, das ist nicht in jedem Fall ohne textlichen Hinweis möglich, aber wo
dies möglich ist, wird ein zeichnerisches Element einem textlichen gern
vorgezogen. Was soll und was darf ein Karikaturist nehmen, wenn es um ein
Ereignis aus Israel bzw. in diesem Fall den bislang israelisch besetzten
palästinensischen Gebieten geht? Das Magen David ist ein offizielles
jüdisches und seit nahezu 60 Jahren staatliches israelisches Symbol, durch
die Staatsflagge auch bekannter als etwa die Menora im israelischen
Staatswappen. Dass die Nazis den Davidstern für ihre Rassenideologie und
ihren antisemitischen Vernichtungswillen missbraucht haben, kann m.E. doch
nicht bedeuten, dass wir auch nur noch dieses im Davidstern sehen, egal in
welchem konkreten Zusammenhang. Wäre es nicht umgekehrt geradezu ein
dauerhafter Erfolg der Nazi-Ideologie, im Davidstern auf Zeitungsabbildungen
nur noch ein Symbol des verbrecherische Missbrauchs und nicht mehr eines des
selbst gewählten Gebrauchs zu sehen?
Natürlich bin ich mir – und sind wir uns bei ND – bewusst, dass hier zehnmal
nachgedacht werden muss, bevor gezeichnet und publiziert werden darf. Aber
es darf auch nicht zehnmal mehr in etwas interpretiert werden, was der
Gegenstand nicht hergibt: Israel räumt nun etwas beiseite, was es zuvor als
Symbol auch seines staatlichen Anspruchs errichten ließ; und dies geschieht
gegen den Widerstand derjenigen, die sich mit ihren Siedlungen auch als
Repräsentanten des israelischen Staates begriffen hatten und begreifen
durften. Dies ist der Inhalt der Karikatur. Anderes kann ich darin nicht
erkennen.
In der Hoffnung, dass Sie meine Argumente in Betracht ziehen, und
mit freundlichen Grüßen
Jürgen Reents, Chefredakteur
Zum offenen Brief des
Jüdischen Kulturvereins
hagalil.com 25-08-2005 |