"Demokratisierung" des Nahen Osten:
Operation geglückt?
Konfessionelle Eliten im Libanon, islamische
Radikalisierung des Iran, religiöse und Stammesstrukturen im Irak: Wie steht
es um die annoncierte "Demokratisierung" des Nahen Osten?
Von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken
Erschienen in: Konkret
8/05 "Nie stand es um Amerikas
Ansehen in Europa schlechter. Die Menschen werden nicht müde, über Ignoranz
und Rowdytum der amerikanischen Truppen zu berichten und über unser
Unverständnis gegenüber den Bedingungen in Europa." Anfang Juli zitierte
US-Verteidigungsminister Rumsfeld in einem Beitrag für die "Seattle Times"
diesen Bericht aus Deutschland von 1946. Auch nach dem Sieg über
Nazideutschland seien die amerikanischen Wiederaufbaubemühungen in Grund und
Boden kritisiert worden. Warum also, so Rumsfeld, sollte es beim Irak heute
anders sein? "Es überrascht nicht, daß es Fragen gibt, was die Situation im
Irak heute betrifft. So ist das immer in Zeiten des Krieges." Wer im Irak
erfolgreich sein wolle, der brauche, wie damals in Deutschland, einen langen
Atem. "Fragen" gibt es in der Tat -
und das nicht nur in Bezug auf das Image der amerikanischen
Stabilisierungsversuche im Irak, das durch den anhaltenden Terror
islamistischer und ba'thistischer Gruppen mindestens genauso beschädigt
wurde wie durch den Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib. Wen aber die
schlechten Nachrichten aus dem Irak schon nicht aus der Ruhe zu bringen
vermögen, dem sollte zumindest Rumsfelds Hinweis auf die grundlegendere
Frage zu denken geben, ob das ursprüngliche Konzept einer demokratischen
Neuordnung des Nahen Ostens, das erklärtermaßen durch die Befreiung der
irakischen Bevölkerung initiiert werden sollte, überhaupt noch eine
realistische Option ist. Denn während die Einsicht in das strategische
Erfordernis einer "Öffnung" diktatorischer Gesellschaften im
arabisch-islamischen Orient mittlerweile selbst von einstigen Gegnern der
Nahost-Politik unter George W. Bush geteilt wird, wächst der Zweifel an der
im Irakkrieg propagierten Liberation-Policy auch innerhalb der
US-Administration. "Amerikas Aufgabe im
Nahen Osten besteht in der Ermutigung zu einer demokratischen Evolution,
nicht zu einer Revolution", steht in einem gerade erschienenen Bericht des
Council on Foreign Relations zu lesen, an dem neben der ehemaligen
Außenministerin Madeleine Albright auch "neokonservative" Experten wie
Joshua Muravchik vom "American Enterprise Institute" und Vin Weber,
Vorsitzender des "National Endowment for Democracy" und ehemals Präsident
von "Empower America", mitgewirkt haben. "Demokratie kann nicht plötzlich
und von außen aufgezwungen werden", heißt es weiter, "traumatische Wechsel
sind weder erforderlich noch wünschenswert." Demokratisierung sei vielmehr
eine Aufgabe von Jahrzehnten, die nur unter Berücksichtigung der
"politischen Diversität der Region" und unter Einbeziehung aller
gesellschaftlichen Kräfte gelingen könne – explizit sind damit auch
Islamisten gemeint, sofern diese sich nicht ausdrücklich "weigern, zu einer
friedlichen Entwicklung beizutragen".
Was nach geordnetem Rückzug klingt, stellt in Wirklichkeit das 2003
propagierte Programm der Regierung Bush für eine Neuordnung des Nahen Osten
grundsätzlich in Frage. Daß es im Irak zunächst nicht um das Aufspüren und
Zerstören vermeintlicher Massenvernichtungswaffen ging, sondern um die
Beseitigung der ba'thistischen Diktatur mit dem proklamierten Ziel, ein
Vorbild für eine sukzessive Demokratisierung der gesamten Region zu
schaffen, war der Kern der militärischen Intervention der USA im Nahen
Osten. Die dem zugrundeliegende Analyse geht im Wesentlichen davon aus, daß
die Diktaturen des Nahen Ostens die maßgebliche Ursache für den
islamistischen Terror seien. Eine Besserung würde es erst geben, wenn eine
strukturelle Veränderung der Lebens- und Herrschaftsverhältnisse im Nahen
Osten durchgesetzt wäre. Diese Annahme begleitete einen tiefgreifenden
Wandel der amerikanischen Nahost-Politik: Weg von dem bis dato betriebenen
Containment vermeintlich stabiler Autokratien, hin zu einer Politik, die auf
eine Öffnung der "closed societies" zielte.
Die USA, jahrzehntelang Garant der repressiven Ordnung
autokratischer Regime, wurden zum Initiator einer Veränderung, deren Motor
die bis dahin unterjochten Bevölkerungen sein sollten. Das Signal, das vom
gewaltsamen Sturz des Regimes im Irak ausgehen sollte, mußte folgerichtig
mindestens zwei Adressaten haben: Die Regierungen der Region mitsamt ihren
Apparaten sowie die Bevölkerungen, die im Irak ein Beispiel finden sollten,
daß ein besseres Leben für sie möglich ist.
Zwei Jahre später hat sich längst Ernüchterung breitgemacht.
Der Schrecken, den die Bilder stürzender Saddam-Statuen in den
Präsidentenbüros und Palästen von Teheran, Damaskus, Riad und Kairo
ausgelöst haben, ist der Gewißheit gewichen, daß eine Wiederholung des
Ereignisses im eigenen Land vorerst nicht zu erwarten steht. Die Euphorie
der Befreiung ist weitgehend der Angst vor Unsicherheit und Terror gewichen.
Daß das Modell "Irak" den Menschen des Mashreq heute als erstrebenswertes
Vorbild erscheint, ist angesichts der Bilder aus Bagdad durchaus
zweifelhaft. Unabhängig von den
Entwicklungen dort aber hat sich auch im Libanon und zuletzt im Iran
gezeigt, an welche Grenzen das Programm einer von außen induzierten
Befreiung weiterhin stößt. Zwar haben der Sturz des Ba'thisten im Irak und
das Programm der Greater-Middle-East-Initiative diejenigen gestärkt, die in
ihren Ländern grundlegende Veränderungen fordern. Nur fehlt offensichtlich
jene gesellschaftliche Dynamik, die die Infragestellung der nahöstlichen
Herrschaftssysteme über den kleinen Kreis der ohnehin westlich gesinnten
Liberalen hinaustragen könnte. Während in Beirut der Massenprotest gegen die
syrische Besatzung auf politische Strukturen zurückfiel, die von den alten –
meist konfessionell geprägten - Eliten des Landes bestimmt werden, zeigte
die Präsidentenwahl im Iran, welche Diskrepanz nach wie vor zwischen den
meist ins Exil getriebenen Liberalen und den Massen des Landes besteht. In
Teheran hat bekanntlich der Basar gesiegt, und daran hätte sich auch nichts
geändert, wären die Wahlen "frei" und "fair" gewesen.
Angesichts der nahöstlichen Gesamtlage erscheinen die
Erfolge, die der Wiederaufbau des Irak zu verzeichnen hat, klein und
unbedeutend. Denn nicht nur im Iran, sondern auch im Irak mußten diejenigen,
die jahrzehntelang für freie Wahlen und eine demokratische Verfassung
gekämpft haben, erleben, wie die Mehrheit der Bevölkerung, endlich nach
ihrer Meinung gefragt, ihre Stimme einem islamistischen Parteienbündnis gab,
das nunmehr darangeht, die Grundrechte-Charta der künftigen Verfassung
soweit wie möglich zusammenzustreichen. Einer Vorabveröffentlichung des
Entwurfs in der irakischen Zeitung "Al-Mahda" vom 29. Juni ist zu entnehmen,
daß die dort formulierten Persönlichkeits- und Freiheitsrechte nur unter der
Einschränkung gelten sollen, daß diese nicht "dem islamischen Recht der
Scharia" und den kulturellen Traditionen des Irak widersprechen. Gegen den
Widerstand der kurdischen Parteien versucht die schiitische Partei Al-Dawa
al-Islami des Ministerpräsidenten Al-Djafaari, die Festlegung auf eine
föderale Ordnung aus der Verfassung zu entfernen und damit das Anerkenntnis
zu revidieren, daß der Irak kein "arabischer Staat" seit.
Symbolträchtig, wenn auch faktisch bedeutungslos, werden
israelische Staatsbürger in dem Entwurf von dem Recht aller im Irak
Geborenen ausgenommen, die irakische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Sollte
dieser Entwurf tatsächlich beschlossen werden, so würde er zwar noch immer
die freiheitlichste Verfassung im arabisch/islamischen Orient sein, von
einer wirkungsvollen Inrechtsetzung des Individuums (insbesondere der
Frauen) gegenüber Staat, Glaubensgemeinschaft und traditionalen Strukturen,
von jenem Neuanfang also, den der Sturz des Ba'th-Regimes versprach, wäre
nicht viel geblieben. Ein irakischer Staat, der sich arabisch dünkt,
irakische Juden, die in Israel Zuflucht gesucht haben, von Grundrechten
ausschließt sowie Scharia und Traditions-, also Stammesrecht über die
Persönlichkeitsrechte seiner Bürger stellt, mag als "moderat islamisch"
durchgehen, demokratisch ist er nicht.
So ist denn Rumsfelds Hinweis auf die Probleme des Wiederaufbaus in
Deutschlands nicht nur beschwichtigende Rhetorik, sondern vor allem der
Reflex einer veränderten Wahrnehmung des Irak. Denn so sehr man bei der
Inszenierung des Krieges Anleihen bei der Niederschlagung des
Nationalsozialismus gemacht hatte, so grundlegend unterschied sich das
politische Programm für den Irak von der Entnazifizierung Deutschlands nach
1945. Im Gegensatz zu den Deutschen nämlich wurden die Irakis nicht als
Täterkollektiv, sondern als Opfer gesehen, die von einer Diktatur befreit
werden sollten, während die überwältigende Mehrheit der Deutschen seinerzeit
bestenfalls unwillentlich "befreit" worden ist. Terror und Unterdrückung,
dies zumindest war die Grundannahme, haben die irakische Bevölkerung zum
Gehorsam gegenüber dem ba'thistischen Staat gezwungen, nicht ideologische
Konformität und Zustimmung wie im Falle der Deutschen. Anstelle einer
dauerhaften Besatzung und einer zentral gelenkten Umerziehung der irakischen
Gesellschaft sollte daher mit dem Sturz des Diktators sollte denn auch die
Regierungsverantwortung rasch von den Koalitionstruppen an die Irakis
übergehen, denn nur "befreit", nicht "besetzt" konnte der Irak seine
Funktion als Modell einer umfassenderen Demokratisierung der Region
erfüllen. Bekanntlich ist es dazu nicht
gekommen. Vierzehn Monate lang wurde der Irak von den Koalitionstruppen
verwaltet, bevor die Regierungsgeschäfte an die Irakis übergeben wurden. Die
Tatsache, daß der Sicherheitsapparat Saddam Husseins im Krieg weder
zerschlagen wurde noch kapituliert hatte, sondern nach einer kurzen
Reorganisationsphase den Krieg aus dem Untergrund fortsetzte, dürfte nur ein
Grund dafür gewesen sein. Tatsächlich mißtraute man in der US-Administration
den "Externen" zutiefst, jenen Oppositionskräften also, die sich aus dem
Exil oder dem seit 1991 befreiten kurdischen Nordirak an die Planung einer
Nachkriegsordnung gemacht hatten. Von ihren unter dem Namen "Future of Iraq"
entwickelten Konzepten wurde praktisch nichts übernommen, auch aus Furcht,
die lokale Mehrheit der irakischen Bevölkerung und die kooperationswilligen
Teile des ehemaligen Staatsapparates zu verprellen. Ein großer Teil der
amerikanischen Irakpolitik besteht bis heute darin, jene einzubinden, die
sich einer Neuordnung des Landes am vehementesten widersetzen, um eine
weitere Destabilisierung zu vermeiden.
Während Islamisten und arabische Nationalisten, die von der
Koalitionsverwaltung aus Angst umworben wurden, sie könnten andernfalls den
Regierungsbildungsprozeß gänzlich unterminieren, heute versuchen, den
Verfassungsentwurf sukzessive von seinen - gemessen am Zustand ex ante -
fortschrittlichen Elementen zu reinigen, stoßen sie innerhalb des Iraks auf
den Widerstand nicht nur der kurdischen Parteien, sondern zunehmend auch
jener Schicht liberaler Irakis, die sich um die Befreiung betrogen wähnen.
Keineswegs selbstverständlich ist, daß eine Zeitung gegen den Willen der
Regierung den Verfassungsentwurf vorab veröffentlicht und daß öffentlich
diskutiert wird, was hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden sollte.
Nur sind es eben vor allem Gruppen ohne reale Macht, die sich für eine
moderne, säkulare Verfassung einsetzen. Hätte die US-Administration den
Proklamationen des Jahres 2003 entsprechende Taten folgen lassen, so hätten
gerade diese Gruppen ihre Unterstützung erhalten müssen. Dies aber würde
bedeuten, sich offen mit den traditionalen Stammesverbänden und islamischen
Parteien anzulegen und eine weitere Destabilisierung zu riskieren.
Das Problem der Amerikaner im Irak ist zumindest in dieser
Hinsicht durchaus auf andere Gesellschaften des Mashreq übertragbar.
Offensichtlich nämlich setzten die Koalitionstruppen im Irak nicht von
Beginn an auf eine Besatzungspolitik. Die Übernahme der Verwaltung und die
Eingriffe in den Regierungsbildungsprozeß folgten vielmehr der Erkenntnis,
daß es neben dem guten Willen vieler Einzelner auch gesellschaftlicher
Institutionen bedarf, die in der Lage sind, den Willen dieser Einzelnen auch
durchzusetzen. Daß es an derartigen Institutionen und ihrem sozialen
Fundament, einem selbstbewußten städtischen Bürgertum, in allen Staaten des
arabischen Nahen Ostens mangelt, ist ein Grund dafür, daß die Demokraten
vorerst nur eine dünne Modernisierungsschicht darstellen. Die Konzentration
aller Macht im Staatsapparat erklärt auch das Vakuum, das nach dem Sturz
Saddam Husseins entstand. Der
Ba'th-Staat hat im Irak praktisch keine gesellschaftlichen Strukturen
hinterlassen, auf die sich eine Demokratisierung stützen könnte. Mehr noch
als in anderen arabischen Staaten hat Saddam Husseins monolithische
Herrschaft es vermocht, jede außerhalb dieses Zentrums stehende Gruppe, die
eigene Entscheidungsgewalt beanspruchte, zu unterdrücken. Als politisch
relevante Klasse existierte einzig jene staatliche Bürokratie, die am 9.
April 2003 von der Bildfläche verschwand und ein Heer unzufriedener und
verängstigter Untertanen hinterließ. Seitdem suchen die Amerikaner
verzweifelt nach gesellschaftlichen Akteuren, die sich als Träger eines
Demokratisierungsprozesses eigneten und zugleich genug Macht besäßen, ihre
damit verbundenen Interessen gegenüber dem Staat auch zu vertreten.
Aber auch jene Technokraten, die, dem deutschen Vorbild
folgend, als geläuterte Demokraten die Geschäfte des Landes hätten
fortführen wollen, fanden sich kaum. Weder gab es im Irak ein eigenständiges
Industrie- oder Finanzkapital noch einen Beamtenstand, weder eine
bürgerliche noch wenigstens eine feudale Klasse, die ohne den Staat
existieren und dementsprechend ein Interesse hätten anmelden können, zu
ihren Geschäften zurückkehren zu wollen. Das erstaunliche Phänomen, daß mit
dem Einmarsch amerikanischer Truppen in die irakische Hauptstadt praktisch
der gesamte Staatsapparat verschwand, ist das Resultat einer despotischen
Herrschaftsweise, in der alle Bereiche der Gesellschaft von einem
Machtzentrum kontrolliert werden. Der irakische Ba'thismus hat diese Form
despotischer Herrschaft im Nahen Osten lediglich auf die Spitze getrieben,
das zugrundeliegende Problem ist in allen Gesellschaften der Region
virulent. In der Praxis blieb den
Koalitionstruppen schließlich wenig anderes übrig, als sich jener
gesellschaftlichen Strukturen zu bedienen, die allesamt denkbar ungeeignete
Träger der avisierten Demokratisierung sind: Stämme, regionale, ethnische
und religiöse Verbände. Es ist daher kaum verwunderlich, daß auch von den
viel kritisierten Privatisierungsmaßnahmen wenig geblieben ist. Denn weder
sind die vorhandenen Parteien willens noch sind sie in der Lage, die
vorgefundenen Strukturen aufzubrechen oder zu transformieren, sie
reproduzieren im Gegenteil jenes auf Ölrente und Landbesitz fußende
Verteilungssystem, das schon alleine Gehorsam und Gefolgschaft sichert. Im
Südirak verfügen schiitisch-islamische Stiftungen heute über einen derart
großen Kapitalanteil, daß längst von der Ayatollah Al-Sistani AG die Rede
ist. Dem entgegen stehen neben den
Kurden, die sich der Fügung unter ein staatliches Diktat schon aus Furcht
vor einer erneuten Unterdrückung durch die arabische Mehrheit widersetzen,
die langsam entstehende städtische Mittelschicht, die auf eine Entwicklung
des irakischen Marktes jenseits staatlich kontrollierter Schlüsselindustrien
drängt, sowie die neu entstandenen Medien und Interessensverbände, die sich
gegen die ethnische und konfessionelle Aufteilung des Landes ebenso wehren
wie gegen die Wiederkehr eines starken Staates, der ihre Handlungsfreiheit
einschränkt. Zumindest insofern ist die Kritik an der "von außen
aufgezwungenen" Demokratisierung denn auch berechtigt: Mehr als Wahlen zu
was auch immer benötigt die Implementierung demokratischer Strukturen ein
Konzept zur umfassenden Umgestaltung der materiellen und gesellschaftlichen
Verhältnisse im Mashreq. Mit "allen gesellschaftlichen Kräften", namentlich
mit Islamisten, ist diese Umgestaltung freilich nicht zu haben.
Die Liste der Fehler, die amerikanische Politiker und
Militärs im Irak begangen haben (sollen), ist zwei Jahre nach dem Sturz
Saddam Husseins ins scheinbar Unendliche gewachsen. Selten wird die Frage
gestellt, ob sich überhaupt eine Alternative bot. Denn die Probleme, auf
welche die Koalitionsverwaltung im Irak und die USA im Nahen Osten heute
stoßen, sind kaum dazu geeignet, die zugrundeliegende Analyse zu entkräften,
sie zeigen vielmehr das wahre Ausmaß der Probleme, vor denen die
Gesellschaften des Nahen Ostens stehen. Im Irak wurde gewissermaßen
lediglich der Deckel angehoben. Was darunter zum Vorschein kommt, gibt wenig
Anlaß zu Optimismus: Ökonomisch und sozial heruntergewirtschaftete
Gesellschaften, deren Bevölkerung zu immer größeren Teilen aus jungen
Menschen besteht, die weder Zugang zu Bildung noch zu einem eigenen
Einkommen haben, in denen der Schutz und die Sicherung des Überlebens
zunehmend von primordialen und konfessionellen Verbänden übernommen wird und
in denen der Einzelne nichts, das nationale/ethnische/religiöse Kollektiv
alles zählt. Angesichts der
herrschenden Mischung aus Diktatur, Verelendung und Islamismus aber
erscheint eine grundlegende Umgestaltung des arabisch/islamischen Nahen
Osten so alternativlos. Das Beispiel des Irak zeigt lediglich, das diese
Umgestaltung im Dialog nicht zu erreichen ist. Denn nicht der Unwille der
Bevölkerungen, sondern die Herrschaftsordnung der nah-östlichen
Gesellschaften hält jene von einer freieren Gestaltung des Lebens ab.
hagalil.com 04-08-2005 |