Politische Straßenverkehrsordnung:
Frankreich in Richtung Superwahljahr
Die Regierung rehabilitiert die
extreme Rechte, mit dem Vorhaben, deren Wähler zu gewinnen.
Von Bernhard Schmid, Paris
Frankreichs Regierung will die politische
Straßenverkehrsordnung ändern. "Rechts überholen nicht erlaubt!" soll
künftig die erste Regel lauten. Um das langsam aber sicher herannahende
Superwahljahr 2007 - in dem der französische Präsident und das Parlament
kurz hintereinander neu gewählt werden zu überstehen, setzt die Mannschaft
von Premierminister Dominique de Villepin augenscheinlich auf bisherige
Wähler der extremen Rechten.
Die größten Anstrengungen unternimmt dabei der Mann, der
höchstwahrscheinlich unter dem Banner der konservativen Rechten als
Präsidentschaftskandidat antreten wird. Jedenfalls, wenn es ihm gelingt,
seinen Rivalen Jacques Chirac bisher noch möglicher Anwärter auf seine
eigene Nachfolge - bis dahin auszustechen. Aber in dieser Hinsicht ist
Nicolas Sarkozy, der alte und seit Anfang Juni auch der neue Innenminister
und "starke Mann" der Regierung, wohl zuversichtlich.
Am Montag dieser Woche wurden zwei führende Vertreter des
rechtsextremen Front National (FN) im Hôtel Matignon, dem Amtssitz des
französischen Premierministers, zu einer Anhörung empfangen. Es handelte
sich um den Generalsekretär der rechtsextremen Partei, Carl Lang (den eine
Boulevardzeitung witzigerweise gleich in "Karl Lang" germanisierte, wohl
unabsichtlich, während man solche Eingermanisierungen in Frankreich bei
offenkundigen Nazisympathisanten auch absichtlich vornimmt) und um den
Europaparlamentarier Jean-Claude Martinez. Der Chef, Jean-Marie Le Pen,
weilte gerade auf Auslandsreisen in Russland, weshalb an seiner statt die
beiden Spitzenfunktionären im Amt des Premierministers empfangen wurden.
Natürlich nicht, um Bündnisverhandlungen mit der Partei Le
Pens zu führen. Vielmehr waren alle größeren politischen Parteien eingeladen
worden, um nacheinander mit dem Premier über die Auswertung des Referendums
von Ende Mai zu debattieren. Dennoch erregte es Aufsehen, dass auch die
Rechtsextremen, die keinen Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung
sitzen haben, dabei waren. Die sozialdemokratische Parteiführung unter
François Hollande blieb aus Protest dagegen den Anhörungen fern. Freilich
zugleich auch deswegen, weil seine eigene Partei seit dem 29. Mai in der
Zwickmühle steckt: Die SP hatte offiziell zur Annahme der EU-Verfassung
aufgerufen, ihre WählerInnen stimmten mehrheitlich dagegen. Ein Vorwand, um
sich aus der Affäre zu ziehen, kam Hollande deswegen gelegen. Die KP und die
Grünen leiteten der Einladung ins Hotel Matignon ihrerseits Folge,
kritisierten dort aber die "Banalisierung" der Rechtsextremen mit harschen
Worten.
Zum letzten Mal war der Front National 1993 vom damaligen
konservativ-reaktionären Premier Edouard Balladur eingeladen worden: erst zu
einem allgemeinpolitischen Tour d¹horizon nach der Parlamentswahl vom März
93, und im Herbst desselben Jahres zur Anhörung über die französische
Positionen bei den GATT/WTO-Verhandlungen. Balladurs damalige Regierung war
um "Normalisierung" der extremen Rechten bestrebt, um allmählich ihre Wähler
aufsaugen zu können und so längerfristig an der Macht zu bleiben. Ihr
national-autoritärer Innenminister, Charles Pasqua, gab extra die
martialische Parole "Zéro Immigration", Null Einwanderung, heraus. In der
Wirklichkeit konnte die bürgerliche Regierung freilich diese ideologische
Maxime nicht durchhalten, da Gesetze und Gerichte für die Durchsetzung
rechtsstaatlicher Minimalstandards etwa des Rechts auf Familiennachzug für
Migranten unter gewissen Bedingungen sorgten. Der FN konnte deswegen
leicht den Widerspruch zwischen Anspruch und Praxis aufzeigen, die
Bürgerlichen so vor sich hertreiben und selbst stärker werden. Edouard
Balladur ging später als Oppositionspolitiker so weit, im Juni 1998 mit dem
FN sogar über die Einführung der "Inländerbevorzugung" (préférence
nationale) debattieren zu wollen. So heißt das Kernstück des rechtsextremen
Programms, anders ausgedrückt: die systematische Bevorzugung der gebürtigen
Franzosen bei Arbeitsplätzen, Sozialleistungen und Kindergeld. Balladur
erklärte damals, man solle eine Kommission einrichten, um in aller Ruhe
darüber zu debattieren, ob die gesetzliche Einrichtung einer solchen
"préférence nationale" sinnvoll sei oder nicht. Einer stimmte ihm dabei zu
und wollte "in Ruhe" über das Thema "diskutiert" wissen, nämlich der
damalige Generalsekretär der Neogaullisten: ein gewisser Nicolas Sarkozy.
(Vgl. dazu:
http://www.vorwaerts.ch/vorwaerts/1998/2898hintergrund.html)
Pasqua hat heute einen Nachfolger, den er im übrigen
selbst aufgebaut hat, indem er ihn als seinen politischen Erben an der
Spitze des Bezirksparlaments von Nanterre dessen Bezirk die oft
wohlhabenden westlichen Vororte von Paris umfasst einsetzte. Es handelt
sich wiederum um Nicolas Sarkozy.
Schon ist seit einem Regierungsseminar vom 9. Juni die
Rede davon, dass die Einwanderungspolitik wieder zum Wahlkampfthema werden
soll. Seit der Spaltung und nachfolgenden Krise der extremen Rechten von
1999 hatten die anderen Parteien dieses Thema vorübergehend ruhen lassen und
aus den Wahlkämpfen draußen gehalten. Dabei stellt Sarkozy es aber
geschickter an als sein Amtsvorgänger: Er gibt keine unrealistischen
ideologischen Slogans heraus, sondern verbindet ganz offen die Bedürfnisse
der französischen Wirtschaft mit Angeboten an den rassistischen Teil der
Wählerschaft. "Selektive Einwanderung" lautet das Stichwort: Die
Höchstqualifizierten, die mit ihrem Humankapital den Effekten der
"Überalterung" der französischen Gesellschaften entgegen steuern und dem
nationalen Wettbewerbsstaat von Nutzen sein sollen, dürfen kommen. Dagegen
soll die Zahl der Abschiebungen unerwünschter "illegaler" Einwanderer von
16.000 im vorigen auf 25.000 in diesem Jahr gesteigert werden: Bei Sarkozy
misst Erfolg sich stets in Zahlen. Dabei geht es dem Mann nicht, wie dem
harten Kern der Rechtsextremen, um die "Reinheit der Rasse" (dabei hätte
Sarkozy, der selbst Kind eines ungarischen Adeligen und einer
griechisch-jüdischen Mutter ist, auch selbst schlimme Konsequenzen zu
befürchten). Sondern es geht ihm um den starken Staat und natürlich um
persönliche Macht. Dabei bedient er sich einer Rhetorik, bezüglich derer es
ihm gleichgültig ist, ob sie auch rassistische Implikationen hat oder ein
rechtsextremes Potenzial in der Gesellschaft als "Resonanzboden" anspricht.
Sarkozy ist kein Nazi, aber ein hemmungs- und rücksichtsloser
Machtpolitiker.
Ansonsten punktet Sarkozy derzeit vor allem mit Law &
Order-Rhetorik. So versprach er Anfang voriger Woche, eine
Plattenbausiedlung in der Pariser Vorstadt la Courneuve "mit dem
Hochdruckreiniger zu säubern", nachdem sich ein tragischer Unfall ereignet
hatte: Bei einem privaten Streit zwischen zwei jungen Männern hatte der eine
zu ballern begonnen, doch die Kugeln trafen einen unbeteiligten elfjährigen
Jungen. Sarkozy wollte dafür "die Dealer, Gesetzesbrecher und Sans papiers"
bezahlen lassen. Bei einem mit großem Aufwand durchgeführten polizeilichen
Durchkämmen der Siedlung wurde jedoch nichts Spektakuläres gefunden. Sarkozy
machte mit heftiger Richterschelte weiter. 2003 war ein wegen Mordes
verurteilter Straftäter aus einer elsässischen Haftanstalt nach 17 Jahren
Gefängnis unter Justizaufsicht freigekommen, nachdem Psychiater und Experten
ihm allesamt positive Prognosen ausgestellt hatten. Jetzt wird er
verdächtigt, im Pariser Umland einen neuen Mord begangen zu haben.
Sarkozy zufolge soll "der Richter" jetzt persönlich
"bezahlen", auch wenn in Wirklichkeit ein mehrköpfiges Kollegium den
Beschluss fasste. Dabei setzt der Innenminister sich ebenso über die
Gewaltenteilung hinweg wie über die Erkenntnis, dass in vergleichbaren
Fällen die Rückfallquote nach offiziellen Statistiken niedriger ist als die
Wahrscheinlichkeit, dass ein bisher unbescholtener Bürger künftig ein
Verbrechen begeht. Soll man also vorsichtshalber alle einsperren, um jedes
Risiko auszuschalten? Die rechtsextreme Wählerschaft scheint Sarkozys
Ausfälle zu goutieren: Drei Viertel von ihr sympathisieren mit den Ansichten
des Mannes zur Sicherheitspolitik. Dagegen wollen, eine Premiere, an diesem
Freitag (1. Juli) die Richter gegen den amtierenden Minister demonstrieren.
Eine Kurzfassung erschien als Kommentar in "Die
Wochenzeitung" (Zürich) vom 30. Juni 2005.
hagalil.com 01-07-2005 |