Von Karl Forster
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Viele Teilnehmer des Marsches, die aus Kanada und Brasilien, Russland
und Australien kamen, hatten gerade einen Tag Zeit für Auschwitz. Die weite
Anreise musste sich lohnen, so dass man in den wenigen Tagen neben Auschwitz
und Majdanek auch Krakaus ehemaliges Jüdisches Stadtviertel Kazimierz und
den Ort des Warschauer Ghettos besuchen wollte.
Unsere Gruppe der VVN-BdA wollte Auschwitz intensiver erkunden. Doch
selbst mehrere Tage waren dafür noch zu kurz. Ja, man braucht Zeit in
Auschwitz. Schon allein das "Stammlager", aus ehemaligen Kasernengebäuden
bestehend, hat in fünf Gebäuden eine Ausstellung von Dokumenten und Effekten
eingerichtet, für die eine zweistündige Führung nicht ausreicht. Die
Teilnehmer fühlen sich durchgeschleust, bedrängt. Man möchte Zeit haben,
mehr zu lesen, zu reflektieren. Die Menge der auf den Besucher einstürzenden
Informationen erschlägt ebenso wie die Dimension des Verbrechens. Dabei ist
dies "nur" das Konzentrationslager.
Das,
was alle Welt mit dem Begriff "Auschwitz" verbindet, heißt eigentlich
Birkenau.
Das Vernichtungslager im drei Kilometer entfernten Ortsteil auf der
anderen Seite der Bahnlinie. Hier sind die Dimensionen unerträglich. Und der
zweite Besuch am Tag nach dem Marsch ist eigentlich noch bedrückender, weil
die Menge der Menschen, die Großbildschirme, die Redner fehlen. Am Tag zuvor
hatten die 18.000 der Ansprache des Friedensnobelpreisträgers Eli Wiesel und
zahlreichen Grußadressen, darunter der des polnischen Ministerpräsidenten
Belka, gelauscht, Nur eine Rede, auf die viele mit Spannung warteten, war
nicht zu verstehen. Für die hebräische Ansprache des Israelischen
Ministerpräsidenten Sharon gab es keine Übersetzung.

Übersetzung hatte auch das Transparent der VVN gebraucht. Auf englisch,
deutsch, französisch, polnisch und russisch erläuterten unsere Teilnehmer
die Bedeutung des Slogans. Und ernteten immer überraschte und zustimmende
Reaktionen. Dass ausgerechnet Deutsche mit einer solch klaren Aussage hier
auftraten, wurde von allen begrüßt. Eine Szene werde ich lange in Erinnerung
behalten. Da kam ein Überlebender, geboren in Polen, der heute in den USA
lebt. Er hatte den roten Winkel auf Fahne und Transparent gesehen und fragte
auf englisch, ob wir etwas mit der VVN zu tun hätten. Als wir ihm das
bestätigten, sprudelte es nur so aus ihm heraus. Also nach dem Kriege, da
war er einige Jahre in München. Und da gehörte er auch der VVN an. Als er
dann in die USA gegangen war, hatte ihn dort sogar der CIA verhört, was er
denn in dieser Organisation gemacht hätte. Aber er habe erklärt, dass "wir
ehemaligen KZ-Häftlinge alle in der VVN waren". Er wollte noch viel
erzählen, konnte sich gar nicht losreißen, aber seine Gruppe war schon
längst weitergezogen und holte ihn zurück.

Zeit brauchten wir auch für Gespräche. Mit Tadeusz Sobolewski
beispielsweise, einem polnischen Schauspieler, dessen Filme auch auf den
Festivals in Cannes gezeigt worden waren. Vorher, als junger Mann, hatte er
aber die Hölle des KZ Auschwitz durchlaufen. Seine Art zu berichten war
voller Lebendigkeit, packend. Eine heftige Diskussion folgte seinem Bericht,
bei der die Meinungen auch aufeinander prallten. Wenn er beispielsweise
Verständnis für den Irak-Krieg zeigte. Ein anderes Gespräch trug auch nicht
zur Beruhigung der deutschen Gäste bei. Mitglieder von "Nigdy Wiecej" (Nie
Wieder), berichteten vom wachsenden Rechtsradikalismus in Polen. Von
nationalistischen Parteien und jugendlichen Nazis. Noch lange nicht in der
Größenordnung wie in Deutschland, aber dennoch bedenklich.
Unsere Gedenkstättenreise in der Woche vor dem 8. Mai zeigte bei allen
auch vorhandenen Problemen zumindest eines: Die VVN-BdA muss auch künftig
derartige Fahrten anbieten. Für ihre Mitglieder, aber auch für andere
Interessierte. Es gibt nicht nur Dachau, Buchenwald, Ravensbrück und
Sachsenhausen. Auf uns warten auch Auschwitz, Majdanek, Sobibor,
Theresienstadt und Mauthausen.
Fotos: © Karl Forster
Auschwitz ist keine stille Gedenkstätte. Auch in Normalzeiten ist dort
viel los. Besucher aus aller Welt, darunter viele aus Deutschland, Israel
und den USA. Und viele polnische Jugendgruppen. Aber im Mai dieses Jahres
wurde alles überboten. 18.000 Menschen, vorwiegend jüdische Teilnehmer, aber
auch zahlreiche polnische Jugendgruppen, bevölkerten die Gedenkstätte um
dann in einem Marsch zum Vernichtungslager Birkenau der weit über eine
Million Ermordeter von Auschwitz zu gedenken. Inmitten des Meers von Fahnen
(meist israelische oder polnische) eine Gruppe mit einer politischen Losung:
"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" stand auf dem
Transparent der VVN-BdA die erstmals an dem "Marsch der Lebenden" teilnahm.
Dass Gedenkstättenfahrten ohne Förderung nicht realisierbar sind, ist klar.
In diesem Fall danken wir dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk und der Aktion
Sühnezeichen/Friedensdienste sowie der Organisation "March of the Living"
für ihre Unterstützung.