Chirac in Sorge über Syrien:
Scharon zu Gast in Paris
Nachrichtenartikel von Ha'aretz-Korrespondent Aluf
Benn, Ha'aretz, 28.07.2005
Übersetzung Daniela Marcus
PARIS – Der französische Präsident Jacques
Chirac griff am Mittwoch während seines Treffens mit dem
israelischen Premierminister Ariel Scharon im Pariser Elyséepalast
Syrien scharf an. Chirac nannte Syrien eine "Bedrohung für die
Stabilität der Region" und sagte gegenüber Scharon, er habe "große
Sorge bezüglich der Syrer. Es ist unmöglich, ihre Psychologie zu
verstehen."
Der Situation im Libanon und in Syrien galt das Hauptinteresse
während des zweieinhalbstündigen Arbeitsessens von Scharon und
Chirac. Scharon bat Frankreich, seinen Einfluss im Libanon geltend
zu machen, um während der Durchführung des Abkopplungsplans
Auseinandersetzungen entlang der nördlichen Grenze Israels zu
verhindern. Er warnte davor, dass Iran die Hisbollah antreiben
könne, Aktionen gegen Israel zu unternehmen.
Chirac erwiderte: "Die libanesische Regierung kontrolliert die
Hisbollah nicht, und wir glauben, dass derjenige, der an einer
Eskalation interessiert ist, nicht der Iran sondern Syrien ist."
Nach Chiracs Meinung ist der Iran gegenwärtig mit dem Dialog über
sein nukleares Programm mit der internationalen Gemeinschaft
beschäftigt und nicht daran interessiert, eine weitere Front zu
öffnen. Syrien stünde hingegen unter großem Druck und "könnte in
jede Richtung feuern".
Scharon sprach während des Treffens über die Notwendigkeit, die
Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrates, die zur Entwaffnung der
libanesischen Miliz aufruft, voll umzusetzen. "Für eine
demokratische Regierung ist es undenkbar, eine Partei zu haben, die
Waffen trägt", sagte Scharon. "Hisbollah-Truppen sind überall
entlang der Nordgrenze Israels stationiert und die Positionen der
libanesischen Armee liegen erst hinter denen der Hisbollah."
Chirac sagte, die Resolution 1559 solle buchstabengetreu umgesetzt
werden. Doch er stimmte Scharons Ansatz, die Hisbollah spiele im
heutigen Libanon "die Rolle eines Stabilisators", nicht zu. Chirac
sprach mit Stolz über die zentrale Rolle, die Frankreich bei der
Vorbereitung für die Wahlen im Libanon innehatte.
Israelische Teilnehmer sagten, die israelisch-palästinensischen
Beziehungen hätten während des Treffens keinen zentralen Platz
eingenommen. Basierend auf vorherigen Absprachen vermieden es die
Franzosen, kontroverse Themen anzusprechen, wie z. B. den Bau von
israelischen Siedlungen in der Westbank, den Verlauf des
Trennungszauns und den "Tag danach" bezüglich des Abkopplungsplans.
Chirac lobte Scharon für dessen Mut und drückte Verständnis für
dessen politische Schwierigkeiten aus: "Wir kennen Ihre Situation
innerhalb Ihrer Partei, und dies hat unsere Bewunderung für Ihren
politischen Mut hervorgerufen." Scharon entgegnete: "Ich kam zu dem
Schluss, dass die Abkopplung gut für Israel sei, und ich werde am
15. August damit beginnen, sie auszuführen. Sie müssen wissen, dass
unsere Reaktion äußerst hart sein wird, sollten uns die
Palästinenser während der Abkopplung angreifen."
Chirac sprach von der Notwendigkeit, den Vorsitzenden der
palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, in Erwiderung zur
wachsenden Popularität der Hamas zu unterstützen. Er sagte, die
US-amerikanische Regierung habe ihn gebeten, das Thema der Stärkung
von Abbas’ "wehrlosen" Sicherheitskräften beim Treffen mit Scharon
anzusprechen. Chirac bat Israel um die Erlaubnis, die
palästinensischen Sicherheitskräfte mit Munition zu beliefern.
Scharon, der diese Forderung bereits letzten Freitag bei einem
Treffen mit der US-amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice
auf seiner Ranch gehört hatte, wies sie in Chiracs Gegenwart erneut
zurück: "Letzten Samstag wurde ein israelisches Ehepaar (nahe
Kissufim) ermordet und einer der Mörder war ein uniformierter
palästinensischer Polizist. Warum sollten wir ihm Munition geben?
Sie haben genug Munition. Nasser Yousef (der Innenminister der
palästinensischen Autonomiebehörde) vielleicht nicht, aber lassen
Sie die Palästinenser die Munition von anderen Stellen beziehen."
Scharon sagte, Abbas habe 60.000 Waffen tragende Männer, "doch die
meisten von ihnen sind nicht loyal und gehorchen ihm nicht. Er hat
etwa 5.000 bis 10.000 loyale Soldaten." Chirac erwiderte: "Ich
stimme voll mit Ihnen überein."
Scharon wurde unter Beteiligung einer Ehrengarde der Schwertkämpfer
im Elyséepalast empfangen und Chirac traf ihn im inneren Hof des
Palastes. Die beiden tauschten freundliche Grußworte aus und
demonstrierten "das neue Kapitel" in der Beziehung zwischen beiden
Staatsführern. Chirac sprach über seine "Entschlossenheit, die
Geißel des Terrors und des Antisemitismus zu bekämpfen" und nannte
den Abkopplungsplan eine "historische Gelegenheit" um den
Friedensprozess voran zu bringen. Er sprach aber auch von der
Notwendigkeit eines "lebensfähigen palästinensischen Staates".
Scharon nannte seinen Gastgeber einen der größten Staatsführer der
Welt und lobte ihn für seinen "resoluten Kampf gegen
Antisemitismus".
Während des Arbeitstreffens wiederholte Scharon die Grundelemente
seiner Politik. Er erklärte, das Hauptproblem sei die Weigerung der
Araber, "das natürliche Recht" des jüdischen Volkes anzuerkennen,
einen Staat in der "Wiege seiner Geburt" zu gründen. Somit müsse
Israel mit großer Vorsicht handeln. Er sprach von seiner
Bereitschaft, Zugeständnisse zu machen, jedoch nicht auf Kosten der
Sicherheit. "Israel wird selbst über seine Sicherheitsbedürfnisse
entscheiden", sagte Scharon.
hagalil.com 28-07-2005 |