Mörderisch:
Tod auf der einzigen Rückzugsstraße
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 25.
Juli 2005
Der Tod von Rachel (53) und Dov (58) Kol in der
Nacht zum Sonntag auf der Kisufim-Achse, fällt aus dem "üblichen" Rahmen
palästinensischer Anschläge. Der nächtliche Überfall auf der einzigen
Zufahrtsstraße von Israel zum Siedlungsblock Gusch Katif im Süden des
Gazastreifens war eine Attacke von strategischer Bedeutung, denn in drei
Wochen werden 8000 Siedler und 55.000 israelische Soldaten allein über diese
Straße den Rückzug abwickeln müssen.
Im Kabinett sagte Scharon: "Israel wird sich mit dem Terror nicht
abfinden... Weisungen an die Sicherheitsbehörden zu diesem Thema sind klar.
Die israelische Armee wird mit Schärfe auf Terroraktivitäten reagieren...
Die Reaktionen werden mit sehr scharfen Mitteln geschehen, gleichgültig ob
Terroranschläge während des Abzugs oder nach der Räumung von Gaza
passieren."
Nach israelischen Angaben wurden am Samstag gegen 22 Uhr Schüsse und eine
Panzerfaust auf eine Stellung bei der Kisufim-Straße abgefeuert. Hunderte
Besucher der Siedler wollten gerade nach Israel heimkehren. Das Militär
sperrte die Kisufim-Straße und organisierte für die Zivilisten einen
beschützten Konvoi. Die Suche nach den Angreifern ergab nichts. Bis
Mitternacht blieb alles ruhig. Die Armee öffnete die Straße. Ami Schaked,
seit 1987 Sicherheitsmann im Siedlungsblock, führte die Autokolonne an. Auf
halber Strecke kreuzt die Kisufim-Straße über eine Brücke die einzige
Zufahrtsstraße von Gaza zu den palästinensischen Städten Khan Younis und
Rafah.
Während
der Intifada gab es an dieser Kreuzung viele Tote. Israel errichtete eine
befestigte Brücke. Palästinenser sollten unten von Norden nach Süden fahren,
während Israelis über die Brücke von Westen nach Osten kreuzen sollten. Die
Brücke vermied Reibungen. Der Verkehr konnte in alle Richtungen fließen. Vor
dem Bau der mit Betonmauern und Wachttürmen bestückten Brücke wurden die
palästinensischen Fahrzeuge in großer Distanz gestoppt, wenn die Siedler an
bestimmten Tageszeiten im beschützen Konvoi passierten. Die Brücke ersparte
Palästinensern wie Siedlern unerträgliche Schikanen und Wartezeiten.
Ami
Schaked an der Spitze des Konvois bemerkte Schüsse auf dieser Brücke. Er
stellte seinen mit Lampen und Funkgeräten ausgestatten Pick-up quer zur
Straße, um den Konvoi zu stoppen. Das Jerusalemer Ehepaar Kol verstand nicht
das Signal des Sicherheitsmannes und fuhr weiter. Nach wenigen Sekunden
eröffneten zwei auf der Brücke verschanzte Palästinenser das Feuer. Dov Kol,
ehemaliger Sprecher zahlreicher Minister und bekannter linksgerichteter
Friedensaktivist mit vielen arabischen Freunden war auf der Stelle tot.
Ebenso seine fromme Frau Rachel, die zum rechtsgerichteten Lager der Siedler
zählte. Beide hatten einen "Abschiedsbesuch" in Gani Tal gemacht. In der zu
räumenden Siedlung lebt die Schwester von Rachel Kol.
Der Sicherheitsmann Ami Schaked stürmte in Richtung der Palästinenser auf
der Brücke. Innerhalb von Sekunden waren Soldaten zur Stelle. Bei dem
Feuergefecht wurden sieben Israelis, darunter Schaked, verletzt, ehe die
Angreifer erschossen waren.
Nach palästinensischen Angaben gab es einen nächtlichen Angriff auf der
"Salah-A-Din-Straße" (das ist die Nord-Südachse der Palästinenser) nahe den
"illegalen israelischen Siedlungen Ghosh Qatif und Kosofim".
"Ein paar Siedler wurden getötet und verwundet", heißt es in der gemeinsamen
Verlautbarung der El Quds Brigaden, dem militärischen Arm der islamischen
Dschihad Bewegung, der Märtyrer el Aksa Brigaden der Fatah-Bewegung (des
Präsidenten Mahmoud Abbas) und der Al Nasar Salah Al Din Brigaden, dem
militärischen Arm der "Populären Widerstandskomitees", bei einer
Pressekonferenz in Khan Younis. Die "Operation" sei "normale Vergeltung" für
israelische Attentate an militanten Palästinensern.
Die Attacke hätten die "militanten Palästinenser" Yehya Abu Taha, 21, aus
Rafah and Tareq Yasin, 22 aus Gaza ausgeführt. Als Rechtfertigung wird eine
lange Liste israelischer "Verbrechen" aufgezählt, darunter "tägliche
Aggressionen, Waffenstillstandsverletzungen, Attentate, Mord an Kindern,
Beschlagnahme von palästinensischem Land, Belagerung" und vieles mehr.
Sollten die "israelischen Besatzungstruppen" mit willkürlichen Aktionen
gegen militante Palästinenser und Zivilisten fortfahren, werde es
"unbarmherzig grausame und ungestüm heftige" Reaktionen auf alle
"israelischen Verbrechen" geben.
Beiderseits der Kisufim-Achse gibt es einen ein Kilometer breiten "sterilen"
Streifen frei von Gestrüpp und arabischen Häusern, mit gepanzerten
Wachtürmen alle paar hundert Meter. Verteidigungsminister Schaul Mofas
forderte ultimativ die Palästinenserbehörde auf, die Drahtzieher des
Anschlags festzunehmen und an Israel auszuliefern. Sollte diese Forderung
nicht erfüllt werden, so Mofas, werde Israel sie jagen und fangen. So
verdichten sich Andeutungen aus jüngster Zeit, dass Israel die Stadt Khan
Younis und andere palästinensische Städte erobern könnte, um die
Kisufim-Straße während des Rückzugs zu sichern. Die Rückzugs-Pläne sehen
vier Stufen vor. Bei Stufe drei, im Falle palästinensischer Angriffe,
könnten Bodentruppen eingesetzt werden. Im schlimmsten Fall, Stufe vier, ist
sogar die Rede vom Einsatz der Luftwaffe gegen palästinensische Städte, von
denen die Angriffe ausgehen.
(C) Ulrich W. Sahm / hagalil
hagalil.com
25-07-2005 |