Frankreich:
Mit eisernem Besen durchfegen
Der französische Innenminister bedient
sich beim Vokabular der Rechtsextremen und stellt demokratische Standards in
Frage.
Von Bernhard Schmid
Jungle World 26 v.
29.06.2005
"Ist bei Sarko eine Sicherung durchgebrannt?" titelte die
Boulevardzeitung France Soir am Freitag. Die wenig schmeichelhafte
Schlagzeile bezieht sich auf Innenminister Nicolas Sarkozy und seine
Versuche, mit rechten Parolen die Sympathie der Bevölkerung zu gewinnen.
In der nördlichen Pariser Trabantenstadt La Courneuve wurde
am vorletzten Sonntag der elfjährige Sidi-Ahmed Hammache erschossen. Zwei
Migranten, einer aus Tunesien und einer von den Komoren, waren in einer dort
gelegenen Plattenbausiedlung in Streit geraten. Der eine war mit der
Schwester des anderen zusammen, was ihrem Bruder nicht passte. Angeblich
fühlte sich der komorische Liebhaber bedroht und begann zu schießen. Der
Junge, der das Pech hatte, sich zufällig in der Nähe aufzuhalten, wurde von
zwei Kugeln tödlich getroffen. Seit Donnerstag sitzt der Komorer sowie sein
Bruder in Untersuchungshaft, ebenfalls ein Bruder des Tunesiers.
it Bandenkriegen und Drogenhandel hat dieser Zwischenfall
offensichtlich nichts zu tun. Dennoch nutzte Innenminister Sarkozy die
Empörung um den Tod des Jungen, um noch am gleichen Tag zu verkünden: "Wir
werden das Quartier säubern." Angesprochen fühlen sollten sich "Gewalttäter,
Dealer und Sans papiers". 24 Stunden später durchkämmten zwei
Hundertschaften der Polizei die Siedlung. Die Ausbeute fiel jedoch mager
aus, was vielleicht daran liegen könnte, dass die Polizeiaktion angekündigt
und allgemein erwartet worden war. Bei den präsentierten Fundstücken stach
vor allem ein rot lackiertes Moped ins Auge.
Einige Bewohner der Trabantenstadt begrüßten dennoch das
Vorgehen, da "wenigstens etwas getan werde" gegen die Verrohung im Alltag.
Sie bemängelten jedoch den "Showcharakter" der Operation. Andere Bewohner
kritisieren, dass sie "kollektiv stigmatisiert" würden, und warnten vor
einer Zunahme der polizeilichen Schikanen vor allem gegen jugendliche
Migranten. Auch die eher konservative Richtergewerkschaft USM kritisierte
Sarkozy. Das Wort "Säuberung" sei ein historisch belasteter Begriff und sein
Gebrauch sei zu vermeiden. "Jemand, der einen kleinen Jungen tötet, muss
festgenommen und verurteilt, aber nicht 'gesäubert' werden."
Drei Tage später hatte der Richterverband noch mehr Gründe
für Kritik. Sarkozy erklärte, er habe in der Kabinettssitzung "vom
Präsidenten verlangt, er solle den Justizminister fragen, was mit dem
Richter passiert sei, der es gewagt hat, ein solches Monster unter Auflagen
freizulassen". Mit dem Begriff "Monster" bezeichnete er den mutmaßlichen
Wiederholungstäter Patrick G., der verdächtigt wird, Mitte Juni eine
Joggerin in einem Waldstück östlich von Paris ermordet zu haben.
Vor 21 Jahren hatte er eine Tat begangen, die dem Mord an der
Joggerin in vielen Punkten ähnelt. 2003 war er nach 17 Jahren Haft unter
Auflagen frei gekommen. Er galt in seiner elsässischen Justizvollzugsanstalt
als "Musterhäftling", hatte in der Haft geheiratet und Abitur gemacht.
"Der Richter muss bezahlen", forderte Sarkozy. Dabei hatte
ein dreiköpfiges Richterkollegium nach Anhörung mehrerer Psychiater die
Entscheidung getroffen. In solchen Fällen liegt die Rückfallquote im
Promillebereich und damit niedriger als die statistische Wahrscheinlichkeit,
dass ein bisher nicht straffälliger Bürger ein Verbrechen begehen wird.
Solche Feinheiten interessieren Sarkozy aber offenkundig
ebenso wenig wie das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung, über das er
sich mit seiner Forderung nach Bestrafung des Richters hinwegsetzt. Am
Donnerstag sagte er im Parlament ganz offen, dass es ihm mit seinen
Ausfällen darum geht, rechtsextreme Wähler zu beeindrucken: "Wir werden
durch unser Vorgehen die extreme Rechte, die Armut und die Gewalt
zurückdrängen."
hagalil.com 01-07-2005 |