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Tödlicher Antisemitismus nach 1945: Der Fall Auerbach

Schon früh zeigte sich die Tendenz die Juden in die Täterrolle zu drängen. Der "im Angesicht der deutschen Geschichte zu seiner Verantwortung stehende Vergangenheitsbewältiger" empfindet sich durch "jüdische Forderungen", die stets als Undank und schließlich Maßlosigkeit abgewehrt werden, als ein im Edelmut verkanntes Opfer...

Das Judentum als solches unter Kuratel stellen

Von Wolfgang Kraushaar

Eine wesentliche Funktion des Antisemitismus in der Nachkriegszeit war es, den Schuldvorwurf, wie er in der Entnazifizierung eine rechtlich institutionalisierte Form angenommen hatte, zurückzuweisen.

Wenn es gelang, den Kernvorwurf der Judenvernichtung, der in seiner Singularität nicht zu bestreiten war, zu neutralisieren, dann musste es eine Möglichkeit geben, auch aus der Position des Verlierers die nationale Souveränität wiederzuerlangen, ohne dem Mythos von der "Volksgemeinschaft" abzuschwören und damit die Identifikation mit dem nationalen Kollektiv ernsthaft in Frage zu stellen.

Am Verhältnis der Deutschen zu den DPs und der CSU-Politiker zu Philipp Auerbach können die antisemitischen Stereotypen in ihrer schuldneutralisierenden Funktion erkannt werden. Es sind dies:

1. Die DPs als Sündenböcke

Anstatt in den DPs Opfer zu sehen und ihnen zu helfen, wurden sie als gefährliche Bedrohung von Leib und Leben, Hab und Gut wahrgenommen, die möglichst rasch verschwinden sollten.

Sie erschienen einem nicht unerheblichen Teil der Deutschen als der Typus vom "Untermenschen", den die Nationalsozialisten auszurotten angekündigt hatten und der nun wider Erwarten erneut in Erscheinung trat. Da er unter dem Schutz der Alliierten stand, konnte er nicht mehr direkt bekämpft werden. Er konnte nur sozial diskriminiert und durch Ordnungskräfte schikaniert und drangsaliert werden.

Als Sündenbock für alles und jeden diente er auch dazu, die Nachkriegs-gesellschaft von ihren zeittypischen Übelständen - Schwarzmarkt, Schiebergeschäfte, Betrug, Raub, Erpressung, Fälschung, Intrigen - zu entlasten. Die englische Bezeichnung, zumal als Abkürzung, verwischte die Spuren zur NS-Vergangenheit. Da DP immer mehr zum Synonym für Jude wurde, obwohl es sich bei ihnen nur um eine Minderheit handelte, konnte sich der Antisemitismus um so leichter hinter der DP-Feindschaft verbergen.

2. Die jüdischen DPs als "Wiedergutmachungsgewinnler"

Nicht zu Unrecht ist von verschiedener Seite eingewandt worden, dass sich der Gebrauch des Terminus "Wiedergutmachung" verbiete, weil die NS-Verbrechen nicht in Wertäquivalente umgerechnet, geschweige denn wieder "gut" gemacht werden könnten. Bei dem Begriff handelt es sich unzweifelhaft um einen Euphemismus, der als solcher, was Wesentliches über seine ideologische Funktion aussagt, in die Nachkriegspolitik eingegangen ist.

Nur eine verschwindende Minderheit unter den Bundesdeutschen hat ihr Einverständnis mit "Wiedergutmachungszahlungen" erklärt. Der hartnäckige Widerstand gegen eine solche Praxis, der sich im Bundestag auch nicht annähernd in repräsentativer Form niedergeschlagen hat, ist offenbar nur so zu verstehen, dass eine Selbstverpflichtung zur "Wiedergutmachung" als unfreiwilliges Schuldeingeständnis bewertet worden wäre und deshalb auf keinen Fall zugelassen werden konnte.

Die Tatsache, dass in Bayern schon nach ersten Anzeichen von Unregelmäßigkeiten im Landesamt für "Wiedergutmachung" ein Staatsanwalt dorthin beordert wurde, um Material für eine Anklageerhebung zu sammeln, zeigt, wie sehr man nach einer Gelegenheit suchte, um sich dieser Einrichtung, von der ein ständiges Störfeuer für das wiederauflebende Wir-Gefühl ausgehen musste, zu entledigen.

Die Klientel dieses Amtes, davon war die Bevölkerung offensichtlich von Anfang an überzeugt, ging mit ihrem Opferstatus hausieren. Mit als unbelegbar geltenden Schuldvorwürfen sollte der Staat erpresst und finanziell ausgenommen werden. Immer wieder wurden Gerüchte in Umlauf gesetzt, dass die KZs nur halb so schlimm gewesen sein konnten; viele der Häftlinge hätten sie in einem gutgenährten Zustand verlassen.

3. Philipp Auerbach - der "gerissene Handelsjude"

Als Inkarnation dieser äußerst populären Vorwurfshaltung galt auch über die bayerischen Landesgrenzen hinweg der Präsident des Landesentschädigungsamtes, ein Mann von untersetzter, bulliger Figur.

Als ehemaliger Auschwitz-Häftling sollte er wie ein Dementi für all das fungieren, was die Amerikaner den Deutschen kurz nach der Befreiung als Schocktherapie aufgezwungen hatten: die Filme mit den Bergen ausgemergelter KZ-Leichen. Hinzu kam, dass dieser Mann, der in seiner Doppelfunktion auch Präsident der israelitischen Kultusgemeinden war, sich nicht scheute, als Jude öffentlich aufzutreten und von niemandem daran gehindert worden war, eine scheinbar atemberaubende Karriere im Staatsdienst zu absolvieren.

Kaum waren Hitler, Goebbels, Göring und Himmler tot, so schien sich der Eindruck zu verdichten, griff ein Jude unter amerikanischer Hilfestellung nach der Macht. Und das Brisanteste daran war seine Position. Ein verbeamteter Jude konnte ohne wirksame Kontrolle den Geldhahn öffnen, sobald er wollte. Das reichte aus, um das alte antijüdische Bild vom in Geldangelegenheiten besonders geschickten Juden, der die arbeitsamen Christen um ihr mühsam verdientes Brot betrügt, zu bestätigen.

Philipp Auerbach - der Spiegel brachte den latenten Antisemitismus in seinem Porträt auf den Punkt - als "Cäsar der Wiedergutmachung". Sollten sich die Deutschen nun etwa einem jüdischen Diktator unterwerfen? Würde er als ehemaliger KZ-Insasse etwa einen jüdischen Rachefeldzug starten? Ein für viele offenbar beunruhigendes Bild.

Dieser Mann, so schien es, musste gestoppt werden. Und er würde gestoppt werden können. Schließlich hatte er sich, jedenfalls wurde das überall gemunkelt, zu viele Eigenmächtigkeiten und Rechtsverletzungen zu Schulden kommen lassen.

Im Prozess vor dem Münchner Landgericht verdichteten sich diese latenten Stimmungen zum Szenario. Müller und Mulzer agierten wie auf einer Bühne die aufgestauten Hassgefühle gegen den Angeklagten aus.

4. Die Ausspielung des "anständigen" gegen den "unanständigen" Juden

In einem vertraulichen Bericht an die amerikanische Militärregierung wird der CSU-Vorsitzende Josef Müller in einer Ansprache vor Parteifreunden im August 1946 mit den Worten zitiert: "Wir sind uns einig geworden, dass für einen anständigen Juden in der Union ebenso gut Platz ist wie für einen Katholiken und Protestanten. Sie können sich denken, dass sich das nach einer gewissen Seite hin für die Union sehr gut auswirken wird."11

Im Klartext heißt das: Für einen Juden ist nach Ansicht des CSU-Vorsitzenden solange kein Platz, solange er nicht funktionalisiert werden kann. Erst seine praktische Verwendung rechtfertigt seine Aufnahme in der christlichen Partei. Wenn das Judentum als solches nicht unter Kuratel gestellt werden kann, dann solle man sich seiner Beziehungen gefälligst bedienen und herausschlagen, was herauszuschlagen ist.

Seine Subordination unter Nützlichkeitserwägungen verrät, dass der Antisemitismus, durch realpolitische Rücksichtnahme gebremst, sich nun mit der Verdinglichung der Juden begnügen muss.

Was die Differenz zwischen einem "anständigen" und einem "unanständigen" Juden ausmacht, wird zwar nicht erwähnt, es darf jedoch vermutet werden, dass hier die Unterscheidung zwischen einem assimilierten westeuropäischen und einem nichtassimilierten osteuropäischen Juden gemeint sein könnte. Die Instrumentalisierbarkeit eines jüdischen Parteimitglieds findet danach offenbar dort ihre Grenze, wo es als Repräsentant des jüdischen Glaubens und der jüdischen Kultur zu erkennen ist. Mit anderen Worten: Auch das ist eine Form der Bekämpfung des Judentums.

5. Die Konstruktion des schuldigen Opfers: "Die Juden sind an allem schuld"

An der mehrmals beschriebenen Manie von Politikern, Juristen, Journalisten, aber auch der Bevölkerung im allgemeinen, den DPs bzw. Philipp Auerbach alle nur denkbaren Verbrechen in die Schuhe zu schieben, wird deutlich, wie stark das Bedürfnis in der Nachkriegszeit verbreitet war, sich durch Schuldprojektion zu entlasten.

Indem es gelang, einen in der Öffentlichkeit bekannten Juden vor Gericht zu stellen und zu verurteilen, konnte wie auf einem unsichtbaren Schuldkonto eine Verrechnung vorgenommen werden.

Jedes von einem Juden begangene Delikt erschien wie ein Stück nachträglicher Rechtfertigung für die von den Nationalsozialisten an ihnen begangenen Verbrechen.

Wir wissen inzwischen, dass die Aussage, die Deutschen würden den Juden Auschwitz nicht verzeihen, weder eine zynische Verdrehung noch eine überzogene Pointe ist.

Die Geschichte Philipp Auerbachs und vieler jüdischer DPs zeigt, wie es um den Wahrheitsgehalt jenes Wortes bereits in den Anfangsjahren der Republik bestellt war.

Anmerkungen:

  • 11 Klaus-Dietmar Henke/Klaus Woller (Hrsg.), Lehrjahre der CSU - Eine Nachkriegspartei im Spiegel vertraulicher Berichte an die amerikanische Militärregierung, Stuttgart 1984, S. 92.

Siehe auch: Gerhard Fürmetz: Neue Einblicke in die Praxis der frühen Wiedergutmachung in Bayern: Die Auerbach-Korrespondenz im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und die Akten des Strafprozesses gegen die Führung des Landesentschädigungsamtes von 1952, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 2, [13.09.2004], http://zeitenblicke.historicum.net.
(Abb.)


Dieser Beitrag erschien 2001 im von Julius H. Schoeps herausgegebenen Sammelband:
Leben im Land der Täter
Jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland (1945-1952)
Mit Beiträgen von Werner Bergmann, Y. Michael Bodemann, Josef Foschepoth, Angelika Königseder, Wolfgang Kraushaar, Ina S. Lorenz, Lothar Mertens, Ulrike Offenberg, Julius H. Schoeps, Juliane Wetzel, u.a...

hagalil.com 21-08-2005

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