
Das Rote Kreuz und die Suchstelle Arolsen:
Geheimnisvolle Akten
In M'ariw berichtet Shlomi Stein, dass Großbritannien nun
endlich die Namen von 60.000 Naziverbrechern veröffentlichen wird. Man kann
wohl davon ausgehen, dass von diesen Leuten noch mindestens 5.000 in aller
Welt unbehelligt leben, 200 davon in Großbritannien.
Einem ähnlichen Thema widmet sich Gad Shimron, ebenfalls in
M'ariw. Er kann es kaum glauben, dass - 60 Jahre nach dem Ende des Krieges
und dem Stopp der NS-Vernichtungsmaschinerie - ein riesiges Archiv,
vermutlich das größte der Welt, sich weigert, Daten über Verbrecher und ihre
Opfer herauszugeben und seine Tore und Schließfächer für Historiker und
Wissenschaftler zu öffnen.
Ja, es ist unfassbar, aber es ist das Rote Kreuz, das sich
nun schon seit vielen Jahren weigert seine Keller zu öffnen, in welchen
Millionen von Dokumenten auf 25 Kilometer langen Regalen angeordnet sind.
Dieses Archiv nahm seinen Anfang auf dem Höhepunkt des 2.
Weltkriegs. Damals wurde in London eine Organisation gegründet, die Angaben
über die Opfer des Naziregimes sammelte. Unmittelbar nach dem Krieg wurden
Millionen Akten an die Organisation übergeben, die in den diversen
Konzentrationslagern sicher gestellt worden waren und der Staatsanwaltschaft
bei den Nürnberger Prozessen dienten. Auch Aufzeichnungen über die
Vertreibung von Zivilisten und die Verschleppung von Zwangsarbeitern zur
Sklavenarbeit wurden aus allen von den Nazis besetzten Ländern nach London
gebracht. Zuletzt hatten sich in dem Archiv Berge von Akten angesammelt, die
sich mit vielen Millionen "Displaced Persons" befassten, die nach der
Kapitulation der Nazis in Deutschland zurückgeblieben waren.
Insgesamt geht es hier um Angaben über mindestens 17
Millionen Menschen. Im Jahre 1948 wurden die Dokumente an eine neue
Organisation namens IST (International Tracing Service) übergeben, die ihren
Sitz in einem Palast in der friedlichen deutschen Kleinstadt Bad Arolsen
einnahm, 30 km westlich von Kassel. Sieben Jahre später wurde beschlossen,
dass das Rote Kreuz das Archiv leiten und Vertretern von 11 Staaten(USA,
Polen, Holland, Belgien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien,
Luxemburg, Deutschland und Israel) einen Bericht über seine laufende Arbeit
geben wird.
"In den ersten Jahren saß ein ständiger israelischer
Vertreter in Bad Arolsen", sagt Daniel Meron, ein Mitarbeiter des
Außenministeriums und Vertreter Israels im Kontrollausschuss der
Organisation. "Dieses Archiv lieferte unzählige Einzelheiten und Berichte an
Holocaustüberlebende, die wissen wollten, was ihren Angehörigen widerfahren
ist."
Auch heute beantworten die 400 Mitarbeiter des Archivs, die übrigens
Angestellte des deutschen Finanzministeriums sind, noch immer Anfragen von
Bürgern, die Informationen über die Nazizeit erhalten wollen. Seltsamerweise
erhalten Historiker und Wissenschaftler keinen Zugang zu dem Archiv.
Warum eigentlich? Das offizielle Argument der Leitung von IST
lautet Datenschutz. Lästermäuler meinen hingegen, dem Roten Kreuz sei es
angenehm, die alleinige Kontrolle über die Geschehnisse in den Kellern des
Archivs zu behalten, das ja alles dokumentiert, was sich in Europa während
der Besatzung abgespielt hat, einschließlich der Arbeit des Roten Kreuzes
selbst. Das klingt wie ein schwaches Argument, aber Datenschutz klingt
eigentlich noch schwächer. Hier sollte noch bemerkt werden, dass die IST bei
allem, was mit Israel zu tun hat, entschlossen und effektiv vorgegangen ist,
und die entscheidende Mehrheit des Materials, das Juden im Holocaust
betrifft, wurde kopiert und im Lauf der Jahre an Jad Vashem übermittelt. So
gesehen dürfte sich Israel nicht beklagen, trotzdem fordert sie seit Jahren
und zum Wohle der historischen Forschung, dass Wissenschaftlern der Zugang
zum Archiv gewährt werden sollte.
"Jetzt drängen auch die Amerikaner in diese Richtung", so
Meron, "und bei der letzten Sitzung des Komitees im vergangenen Mai in Rom
zeichnete sich bereits eine Änderung in der Politik der Organisation ab. Es
scheint, dass in Kürze auch Wissenschaftler und Historiker das Archiv
einsehen können". Es ist auch wirklich an der Zeit.
hagalil.com 06-07-2005 |