
"Wo die eisernen Kreuze wachsen":
Hitlers schwedische Soldaten
Der schwedische Historiker Bosse Schön
untersucht die Kollaboration seiner Landsleute mit den Nationalsozialisten.
Von Bernd Parusel, Stockholm
Jungle World 21 v.
25.05.2005
Kein Journalist habe ihn je gefragt, ob er eigentlich
einen bestimmten Plan verfolge, schreibt Bosse Schön im Vorwort seines
soeben in Schweden erschienenen Buchs "Hitlers schwedische Soldaten".
Dennoch gibt er eine Antwort darauf: Ja, er habe einen Plan, und zwar keinen
geringeren, als Schweden dazu zu bringen, "seine wirkliche Rolle im Zweiten
Weltkrieg nicht länger zu verschweigen". Mit Büchern, Zeitungsartikeln und
Dokumentarfilmen arbeiten Schön und sein Mitarbeiter Tobias Hübinette schon
seit mehreren Jahren auf dieses Ziel hin. Das jetzt erschienene Werk ist
eine Zusammenführung und Aktualisierung zweier früherer Bücher des
Historikers: "Schweden, die für Hitler kämpften" (1999) und "Wo die eisernen
Kreuze wachsen" (2001).
Er habe in der Schule gelernt, dass sein Land am Zweiten Weltkrieg nicht
beteiligt gewesen sei, schreibt Schön. Geradezu als die "unschuldigste
Nation der Welt" sei Schweden präsentiert worden. Lange, und zum Teil noch
heute, wurden in schwedischen Bildungseinrichtungen zwar die Geschichte des
"Dritten Reiches" und der Kriegsverlauf gelehrt. Das eigene Land kam dabei
jedoch kaum vor. Dem Mainstream der Geschichtsschreibung zufolge gab es
wenig über Schweden zu berichten. Dank außenpolitischer Neutralität sei man
im Zweiten Weltkrieg unversehrt geblieben und im Unterschied zu den Nachbarn
in Norwegen oder Dänemark einer Besetzung durch Nazideutschland entgangen.
Mit den Verbrechen des Hitlerregimes habe man nichts zu tun gehabt, und von
der systematischen Judenvernichtung habe man, wie Politiker der damaligen
Zeit erklärten, erst erfahren, als es zu spät gewesen sei.
Nach jahrelanger Recherche in den Archiven der schwedischen Geheimpolizei
Säpo und in Gesprächen mit Zeitzeugen hat Schön eine Vielzahl von Fakten zu
Tage gefördert, die ein anderes Bild ergeben. So war Schweden zwar offiziell
neutral. Nicht von Deutschland besetzt zu werden, wurde jedoch auch mit
Nachgiebigkeit gegen den Führerstaat erkauft. So durften deutsche Truppen
auf dem Weg von und nach Norwegen schwedisches Territorium passieren, und
das strategisch wichtige schwedische Eisenerz wurde während des Krieges
weiter an Deutschland geliefert.
Schön hat außerdem Belege dafür, dass sich im Schatten der offiziellen
Neutralität mindestens 280 Schweden freiwillig der deutschen Waffen-SS
anschlossen, um, wie er sagt, ein "reinrassiges Großgermanien zu schaffen –
befreit von Juden und anderen 'Untermenschen'". Zusammen mit Soldaten aus
Norwegen, Dänemark, Estland und Frankreich kämpften 39 von ihnen in der
SS-Division "Nordland". Einige waren sogar noch an der Schlacht um Berlin
unmittelbar vor der Kapitulation der Wehrmacht beteiligt.
Als die schwedischen Legionäre 1945 nach Hause zurückkehrten, änderten viele
ihre Namen und entzogen sich erfolgreich der Öffentlichkeit. Andere dagegen
verbreiteten weiter nationalsozialistische Ideen oder schufen Netzwerke, um
Kriegsverbrechern dabei helfen zu können, sich in Schweden, Argentinien,
Brasilien oder Spanien zu verstecken. Einige ehemalige SS-Soldaten, aber
auch viele jener Schweden, die zu Hause in nationalsozialistischen
Bewegungen aktiv waren, dienten späteren Generationen von Rechtsextremen als
Geldgeber und Vorbilder und warben noch lange nach 1945 für ihre Ziele. Die
Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSAP) Sven Olov Lindholms, 1938 in
Svensk Socialistisk Samling (SSS) umbenannt, forderte noch 1948 die
Einführung von "Rassenbiologie und -hygiene" als obligatorisches Schulfach
in Schweden, warb für ein Verbot von Eheschließungen mit Juden und verlangte
staatliche Gelder für kinderreiche, "reinrassige" Familien. Erst 1950 löste
sich die SSS auf.
Zwischen 1924 und 1945 gab es in Schweden rund neunzig faschistische
Organisationen, von Parteien, Jugendverbänden und Gewerkschaften bis zu
Unternehmerorganisationen und elitären Diskussionsclubs. Naziparteien
erreichten – hauptsächlich wegen der Zersplitterung der Bewegung – zwar nie
Mandate im Reichstag, hatten jedoch zahlreiche Vertreter in
Gemeindeparlamenten und zehntausende Mitglieder. 28 000 davon sind heute
namentlich bekannt – eine Zahl, die, wie Schön urteilt, dem verbreiteten
Mythos widerspreche, die schwedischen Nazis seien wenige gewesen und hätten
keinen Einfluss gehabt. Viele gehörten der Oberschicht ihres Landes an, 200
waren Professoren oder Universitätsdozenten. Ihre Aktivitäten gingen so
weit, im Schatten der Regierung des sozialdemokratischen Premierministers
Per Albin Hansson einen schwedischen Beitrag zur Vernichtung der
europäischen Juden vorzubereiten. 1941 forderte die SSS ihre Mitglieder auf,
Verzeichnisse von Juden zu erstellen, die in ihrer Umgebung ansässig waren,
und an die Parteizentrale zu senden. In der Gemeinde Sjöbo arbeiteten Nazis
Pläne für den Bau von Konzentrationslagern aus und hielten Pfosten,
Stacheldraht und Bauteile für Baracken bereit. Im Fall eines deutschen
Einmarschs sollten die damals rund 8 000 schwedischen Juden eingesperrt und
an Hitler übergeben werden.
Darüberhinaus hatten die Ideologien schwedischer Naziparteien auch Einfluss
auf die Politik der Regierung. So wurde im Februar 1939 eine besondere Art
der Volkszählung angeordnet. Alle in Schweden wohnhaften Ausländer wurden
verpflichtet, sich auf einem dreiseitigen Formular registrieren zu lassen
und dabei auch anzugeben, ob sie jüdischer Abstammung waren. Als nach der
deutschen Reichspogromnacht im Jahr 1938 täglich 200 jüdische Flüchtlinge
versuchten, nach Schweden zu gelangen, wurde nur ein kleiner Teil von ihnen
ins Land gelassen. Erst 1942, als norwegische Juden von den deutschen
Besatzern in Konzentrationslager deportiert wurden, erleichterte Schweden
seine Einreisebestimmungen.
Bosse Schön wäre, wie er selbst kürzlich in einem Artikel in der linken
Wochenzeitung Arbetaren schrieb, kaum an das Material gekommen, hätte er
nicht auf die Arbeit eines heute nahezu vergessenen Journalisten und
Nazijägers aufbauen können, des Syndikalisten Armas Sastamoinen. Zwischen
1947 und 1983 ermittelte Sastamoinen zielstrebig die Personen, die hinter
der NSAP und der SSS standen und veröffentlichte die Namen bis dahin
unbekannter ehemaliger Nazis, die inner- oder außerhalb Schwedens für Hitler
Partei ergriffen hatten.
Als Schöns erstes Buch Ende 1999 erschien, wurde es heftig diskutiert. Die
Stockholmer Universität hatte Mitte der neunziger Jahre in einer Umfrage
unter Jugendlichen herausgefunden, dass die Kenntnisse über den Völkermord
an den Juden gering waren. Über die Hälfte der Jugendlichen konnte sich
unter dem Begriff "Holocaust" nichts vorstellen. Der sozialdemokratische
Premierminister Göran Persson initiierte daraufhin das Projekt "Lebendige
Geschichte", das inzwischen zu einer Dauereinrichtung wurde, die mit
Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen den Holocaust beleuchtet. Unter
dem Titel "Darüber sollt ihr berichten" gab die Regierung außerdem ein Buch
über die Verbrechen Nazideutschlands heraus, das in Millionenauflage gratis
an Schulen und Privatleute verteilt wurde. Den letzten Teil der
Aufklärungsoffensive bildete eine Serie internationaler Konferenzen für
Politiker, Abgesandte internationaler Organisationen und Wissenschaftler zu
den Themen Holocaust, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, Versöhnung sowie
Völkermord in den Jahren 2000 bis 2004. Kurz vor der ersten dieser
Konferenzen erschien Schöns Buch "Schweden, die für Hitler kämpften", und
plötzlich erntete Persson im In- und Ausland nicht mehr nur Anerkennung für
seine Aufklärungsarbeit, sondern auch kritische Fragen über die bisher
unzureichend erforschte schwedische Geschichte zur Zeit des Zweiten
Weltkriegs.
Ob Schöns und Sastamoinens Arbeiten längerfristig dazu beitragen, die
schwedische Gesellschaft gegen Rechtsextremismus, Faschismus und
Nationalsozialismus zu wappnen, ist jedoch fraglich. Als eine Gruppe junger
Neonazis Anfang dieses Jahres vor Gericht stand, weil sie Anschläge auf
öffentliche Einrichtungen und "Feinde der Bewegung" geplant hatte, blieb das
Medienecho gering (Jungle World, 4/05). Viele Schweden begrüßen es, dass die
Zeitungen selten ausführlich über rechtsextreme Umtriebe berichten. Je mehr
Aufmerksamkeit die Neonazis bekämen, desto größer werde die Gefahr, dass
sich noch mehr Menschen für sie interessieren und vielleicht begeistern,
meinen viele. Wegschauen und Totschweigen waren also nicht nur in der Zeit
nach dem Weltkrieg und dem Völkermord an den europäischen Juden
vorherrschende "Strategien" im Umgang mit schwedischen Nazis. Sie sind es,
trotz Bosse Schöns Ermittlungen, auch heute noch.
hagalil.com
21-06-2005 |