Kurz und bündig:
Rassismus – einmal anders herum
Von Matthias Fischer
Die Sache ist kurz beschrieben: In Wiesbaden tötete ein
24-jähriger Türke, Ali Karabay, seine Schwester, die 20-jährige Gönül, weil
sie die Freundin eines Deutschen war und das Paar vorhatte zu heiraten. Der
Mann räumte die Bluttat inzwischen ein. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen
Mordes erlassen.
Wie fühlt es sich an? – So sieht wohl die völlige kulturelle Umnachtung und
Verrohung eines Menschen aus.
Also, wollen wir weiterhin mehrheitlich Fremdenfeindlichkeit und Judenhass
auf unserem Kontinent als eine Art "unangenehme Begleiterscheinung der
Globalisierung" betrachten? Ja, auch die Gutmenschen in den Parteien und
Kirchen finden oft keinen Mut zu handeln, wo sie mit Worten nach Besserung
rufen. Und wie sieht es in den Moscheen und Cem-Häusern aus?
Ich schlage vor, dort anzufangen, wo es uns Deutschen am schwersten fällt:
Wenn jede deutsche Familie einmal im Jahr eine türkische oder
russlanddeutsche Familie zu sich nach Hause einlädt, jede türkische eine
deutsche oder russlanddeutsche usw., so käme bei mehr als 35 Millionen
Haushalten einiges an Fladenbrot und Vollkornsemmeln, an Tee und Wasser und
anderem Getränk zusammen. – Die Erfahrung zeigt im übrigen, dass die Neigung
türkischstämmiger ebenso wie russlanddeutscher Menschen, sich in einen
persönlichen Austausch mit Deutschen zu begeben, der ein gegenseitiges
Einladen ermöglichen würde, nicht sehr viel größer ist als diejenige ihrer
deutschen Mitbürger und Mitbürgerinnen selbst.
Die Bäcker und Getränkehändler brauchen also noch keine Zusatzschichten
einzuplanen.
Es bleibt weiterhin einer intellektuell motivierten Minderheit überlassen,
anti-rassistisch zu denken, zu predigen und zu handeln.
Dabei wäre es gerade erbauend, wenn das "Anti", das "Gegen", endlich durch
die eigentliche Sache abgelöst würde – durch das Miteinander. In seiner
ganzen Körperlichkeit. Zu Tisch, auf dem Volleyballfeld oder, wie die getöte
Frau und ihr Freund es praktizierten, im ganz privaten Leben.
Sie, Gönül Karabay, erlebte die Folgen jenes Rassismus und Religionshasses
noch sehr viel unmittelbarer.
Was ist das Gegenteil der Idylle, welche von religiösen und kulturellen
Schranken nichts weiß?
Das Gegenteil davon sind die Worte: "Du wirst verheiratet und mach dir keine
Hoffnung für die Zukunft!"
Das Gegenteil sind Alis Schüsse, mit denen er seine Schwester Gönül
ermordete.
Serap Cileli, die nach einer ersten Zwangsverlobung den Freitod wählte, die
nach dessen Misslingen ein zweites Mal zwangsverlobt und auch -verheiratet
wurde, der man die Kinder wegnahm, als sie jenen Mann traf, den sie wirklich
liebte, schreibt auf ihrer Internetseite:
"Nach einer sehr langen und schmerzvollen Odyssee gewann ich meine
Persönlichkeit, das was mir schon immer gehörte."
Ein Land, ein Kontinent, eine Welt ringt um ihre
Persönlichkeit, um zu erlangen, was ihr schon immer gehört. Mir scheint es,
dass wir noch sehr weit davon entfernt sind, wir selbst zu sein.
hagalil.com 17-06-2005 |