"Irving beeinflusste die Debatte um Dresden":
Deborah Lipstadt im Gespräch
Deborah Lipstadt lehrt Modern Jewish Studies
und Holocaust Studies an der Emory University in Atlanta. Seit Jahren
arbeitet sie unter anderem am Thema Holocaustleugnung. In diesem
Zusammenhang nannte sie den Briten David Irving einen "der gefährlichsten
Holocaust-Leugner". Den daraufhin von Irving gegen sie angestrengten Prozess
wegen Verleumdung gewann sie im Juli 2001. Ihr Buch "Holocaust on Trial – My
Day in Court with David Irving" erschien Anfang des Jahres in englischer
Sprache. Demnächst wird auch die deutsche Fassung erhältlich sein.
Mit Deborah Lipstadt sprach Sebastian Wehrhahn.
Jungle World 23 v.
08.06.2005
Wie waren die öffentlichen Reaktionen auf Ihren Prozess
gegen David Irving?
Sehr unterschiedlich. Im akademischen Bereich waren viele
der Ansicht, dass das Ganze lächerlich sei und ich ihn einfach ignorieren
solle. Aber ich konnte das nicht. Hätte ich die ganze Angelegenheit
ignoriert, hätte er gewonnen. Einige dachten sogar, ich würde Irving
verklagen. Zum Ende des Prozesses erweckte er den Eindruck eines Mannes, der
ein guter Historiker hätte werden können, aber aus irgendwelchen Gründen ein
zu großes Verlangen nach öffentlicher Aufmerksamkeit hat.
Welche Bedeutung hat die Leugnung des Holocaust
heutzutage?
Ich denke, dass die Bedeutung in den letzten Jahren unter
anderem wegen meines Prozesses abgenommen hat. Ich glaube dennoch, dass die
Leugnung des Holocaust in der arabischen Welt ein ernst zu nehmendes
Phänomen darstellt.
In Europa, wo in den vergangenen Jahren ein Besorgnis
erregender Anstieg des Antisemitismus zu verzeichnen war, ist eine offene
Leugnung selten. Trotzdem gibt es nuancierte Formen. Wenn Leute sagen:
Dresden war dasselbe wie Auschwitz, oder wenn Israel auf eine Stufe mit
Nazideutschland gestellt wird, haben wir es mit einer Form von
Holocaustleugnung zu tun. Diese relativierende Form ist gefährlich.
Hat sich in den letzten Jahrzehnten die Form der
Holocaustleugnung verändert?
In Europa lässt sich eine Form erkennen, die besonders
während des Irak-Krieges sehr stark war: Ariel Sharon und George W. Bush
werden mit Adolf Hitler verglichen und Israel mit den Nazis. Was auch immer
man von der Politik Israels halten mag, diese Gleichsetzung zeigt eine
enorme Verleugnung der Realität und der Realität des Holocaust. Holocaust
bedeutet nicht Checkpoints an der Grenze, das Fehlen bestimmter Freiheiten
oder gezielte Tötungen. Und in diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass
die Leugnung des Holocaust kein Phänomen ist, dass auf die extreme Rechte
beschränkt ist.
Würden Sie sagen, dass es eine speziell deutsche Form
der Leugnung gibt?
Ich lese die deutsche Presse nur sehr unregelmäßig,
deshalb kann ich kein wirkliches Urteil darüber abgeben. Was ich jedoch
wahrnehme, ist der Versuch, die deutsche Vergangenheit zu relativieren und
zur Tagesordnung überzugehen. Gleichzeitig gibt es in Deutschland eine sehr
starke Beschäftigung mit der Vergangenheit.
Auf der einen Seite sprach Gerhard Schröder anlässlich des
60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz sehr deutlich über die
Verantwortung und Schuld der deutschen Bevölkerungsmehrheit während des
Nationalsozialismus. Auf der anderen Seite gibt es die Flick-Ausstellung
oder die Äußerungen auf der Straße über Israel und Sharon. Es ist natürlich
keine offene Form der Holocaustleugnung, aber es zeigt doch ein
schizophrenes Verhältnis zur Vergangenheit.
Ein anderes Moment, das ich Besorgnis erregend finde, ist
die Debatte um die Bombardierung Dresdens und den so genannten
Bombenholocaust. Allein diesen Begriff zu verwenden, ist das gleiche, was
David Irving tut.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die
Erinnerung an den Bombenkrieg?
Ich will nicht schmälern, was in Dresden geschah, aber
erstens waren es nicht 150 000 Menschen, die dort starben, wie Irving
behauptet, sondern vielleicht 30 000. Zweitens war die Stadt von
militärischer Bedeutung, es gab dort Fabriken, die Kriegsgüter produzierten.
Das macht den Tod von 30 000 Menschen nicht besser, aber es gab militärische
Gründe dafür. Drittens wussten die Alliierten nicht, dass der Krieg in ein
paar Monaten vorüber sein würde. Sie hatten ja gerade erst Zehntausende
Soldaten in der Ardennen-Schlacht verloren.
Irving beeinflusste die Debatte um Dresden maßgeblich.
Zuerst waren es die Nazis, die aus Dresden ein Symbol machten, dann die
Sowjets und dann David Irving. Und heute gibt es Leute, die sagen, die
Deutschen waren ebenfalls Opfer und die Bombardierung von Dresden war ein
Bombenholocaust.
Was denken Sie über die Äußerungen von Rolf Hochhuth,
der Irving im Februar dieses Jahres einen "ernst zu nehmenden" Historiker
nannte?
Ich glaube, dass er nicht ganz bei Sinnen war. Er hatte,
wie er selbst sagte, einen Moment vollkommener Dummheit. Dennoch glaube ich,
dass mehr dahinter steckte. Im selben Gespräch, in dem er sehr treffende
Sachen über die Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Krieges
sagt, fällt er zurück in die Verteidigung Irvings. Auf der einen Seite sagt
er, er kenne die "späten" Schriften Irvings nicht, gleichzeitig vergleicht
Hochhuth Irving mit Joachim Fest. Das ist lächerlich.
Sie wurden mehrere Male zu Diskussionen mit
Holocaustleugnern eingeladen und lehnten jedes Mal ab. Warum?
Es gibt Dinge in der Holocaustforschung, über die man
diskutieren kann. Man kann über die Arbeiten von Goldhagen debattieren oder
über die Rolle der Judenräte, man kann darüber streiten, ob die Alliierten
Auschwitz oder die Gleise nach Auschwitz hätten bombardieren sollen. Man
kann über die Verantwortung des ganz normalen Deutschen oder des ganz
normalen Polen streiten und darüber, wer ein Held war und wer nicht. Man
kann sogar darüber diskutieren, ob und in welcher Weise der Holocaust
einzigartig war. Das sind wichtige Themen für ernste historische Debatten.
Aber darüber zu reden, ob er stattgefunden hat, ist jenseits des
Diskutierbaren. Niemand redet darüber, ob der Zweite Weltkrieg wirklich
stattfand, es gibt keine Debatten darum, ob es die Sklaverei gab oder nicht.
Wie stehen Sie zu Gesetzen, die die Leugnung unter
Strafe stellen, und zu einem Demonstrationsverbot an Plätzen wie dem
Holocaust-Mahnmal?
Ich weiß nicht, was für Deutschland richtig wäre, aber
ganz allgemein glaube ich, dass Gesetze nicht viel bringen.
Ein Demonstrationsverbot würde auf eine Art mit meiner
Idee von freier Meinungsäußerung in Konflikt stehen. Obwohl ich das noch
nicht zu Ende gedacht habe, sagt ein Teil von mir: Lasst sie marschieren.
Sollen sie doch das ganze Deutschland zeigen, den Krebs in Deutschlands
Mitte. Ich komme aus einem Land mit einer sehr starken Tradition der
Meinungsfreiheit, und solche Einschränkungen beunruhigen mich. Ich frage
mich: Wer entscheidet denn, wer demonstrieren darf und wer nicht?
Eine wichtigere Strategie gegen die Leugnung des Holocaust
ist die Erziehung. Ohne Pathos und ohne Emotion. Sie sollen die reinen
Fakten lernen. Die Schüler sollten die Memoiren von Ruth Klüger und Victor
Klemperer lesen. Sie sollen lernen, wie es damals war. Das ist es, was ich
meinen Schülern beibringe, und genau dafür hat mich Irving verklagt.
Doch die Leugnung des Holocaust wird immer wieder
auftauchen, weil sie eine Form des Antisemitismus ist. Und der wird nicht
einfach verschwinden.
hagalil.com
14-06-2005 |