Opfer Neonazi:
Kameradenschweine
Die "Kameradschaft" ist ein Mythos. Wo
Gewalt eine große Rolle spielt, richtet sie sich häufig auch gegen
Gleichgesinnte.
Von Andreas Speit
Jungle World 25 v.
22.06.2005
Trotz vieler Feinde und viel Ärger bin ich niemals
alleine", grölt Marko Gottschalk von der Neonaziband Oidoxie. "Denn
Kameradschaft ist nicht nur ein Wort. Kameradschaft heißt Zusammenhalt an
jedem Ort. Kameraden werden füreinander alles geben. Wir bleiben Kameraden,
solange wir leben", tönt er weiter.
Der Song der Rechtsrocker aus Dortmund unterliegt zwar seit
gut zwei Jahren einem Beschlagnahmebeschluss, gehört aber dennoch zu den
Hits im rechtsextremen Spektrum. "Wahre Gemeinschaft" und "echter
Zusammenhalt" – die Botschaft gefällt. Kaum eine der über 120
Rechtsrockbands in der Bundesrepublik bedient nicht den Mythos der
"Kameradschaft, die mehr als Freundschaft ist". Vor allem die Freien
Kameradschaften und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands beschwören
in ihren Fanzines und Internetforen den "festen Zusammenhalt", der nur in
ihren "Reihen" erlebt werden könne.
Selten reden die Kader der rechten Szene aber über
psychischen Druck und physische Gewalt in der "nationalen Opposition". Wenig
erzählen die Rechtsextremisten von körperlichen Misshandlungen, sexuellen
Übergriffen und tödlichen Gewaltakten unter Kameraden. Die Kader wissen,
dass das Gefühl, in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu sein, ein
Faktor ist, warum Jugendliche und junge Erwachsene sich ihnen anschließen;
vorausgesetzt, sie haben rechte Ressentiments bereits verinnerlicht.
"Die erzählen viel von Kameradschaft. Erlebt habe ich sie
kaum", sagt der Aussteiger Patrick B. Mit 14 Jahren schloss er sich, nach
"Gemeinschaft" suchend, der rechten Szene zwischen Hannover und Hamburg an.
"Na ja, auch wegen der Politik", räumt er ein. Auch Lisa W., ebenfalls
Aussteigerin, die sich mit 19 Jahren der Szene in Greiz und Rosenheim
anschloss, weiß, dass schon kleinste private Querelen zu "Gewalt in der
Gruppe" führen können. Wo Gewalttätigkeit und Gewaltbereitschaft gegenüber
vermeintlich "Minderwertigen" zur Politik und Selbstinszenierung einer
Gruppe gehören, bedrohen sie nicht nur die ideologisch "legitimierten
Aggressionsobjekte".
Wertvorstellungen wie Ehre und Männlichkeit, das archaische
Geschlechterverständnis sowie hierarchisierte Rollenbilder wie der
"Führerkult" führen zur Gewalt. Beide Aussteiger berichten von banalen
Alltäglichkeiten, die zu körperlichen "Belehrungen" führten. "Wegen
irgendwelchem Kleinkram gab es mal Streit", sagt Patrick B. "Der eine schlug
gleich mit dem Kolben einer Pistole auf einen anderen ein, bis der
blutüberströmt dalag." Ein "dummer Spruch bekam einem Kollegen mal nicht so
gut", erinnert er sich weiter, "der war danach halb totgeschlagen". Lisa W.
erlebte, dass ein "Mädchen", welches die Anführerin nicht richtig würdigte,
gezwungen wurde, sich bei einer Party auszuziehen. "Vergewaltigungen sind an
der Tagesordnung", stellten die Sozialwissenschaftlerinnen Kerstin Döhring
und Renate Feldmann fest.
Gern erzählen Aussteiger nicht von solchen Erlebnissen. Die
Scham, Opfer gewesen zu sein, oder gar die Angst, als Täter belangt zu
werden, sind groß. Aber auch der Ehrenkodex, nach dem man "Kameraden" nicht
verrät, führt dazu, dass körperliche Misshandlungen verschwiegen werden. So
offenbart sich selten, wie es zu einer tödlichen Enthemmung in einer "heißen
Aktivität" (Michael Kohlstruck) kommt.
Der Strafprozess in Bernau gegen fünf Neonazis wegen des
versuchten Mordes an Tilo R. lässt eine beschleunigte Dehumanisierung und
Brutalisierung der Kameraden erahnen. In der Nacht zum 16. Januar 2001
lockten die fünf den Kameraden in eine Wohnung. Vier Stunden lang traten und
schlugen sie auf ihn ein und feierten nebenbei weiter eine Party mit Musik
und Bier. Als Motiv gaben sie vor dem Landgericht Frankfurt/Oder an, sie
hätten sich einfach nur rächen wollten, weil sie glaubten, Tilo R. habe zwei
von ihnen bei der Polizei "verpfiffen". Einer der Angeklagten und das Opfer
sollten deshalb gegeneinander kämpfen, sagte Marco S. aus. Während Tilo R.
zusammengekrümmt auf dem Boden lag, sorgten sich seine Schläger nur um die
beim "Kampf" beschädigte Schrankwand. Später beschlossen sie, den Verletzten
"anzuzünden". "Er sollte ganz komplett weg, damit es keine Beweise gibt",
erzählte Marco S. Von einer Tankstelle holten die Täter Benzin und brachten
ihr Opfer auf eine Pferdekoppel, wo sie versuchten, es zu verbrennen. Tilo
R. schaffte es, sich zu retten. "Als Tilo weg war, sind wir erst einmal ein
Bier trinken gegangen", sagt Marco S.
Solche Gewaltakte können den Einzelnen an eine Gruppe binden,
und der emotionale Zusammenhalt wird wegen der strafrechtlichen Bedrohung
möglicherweise noch verstärkt. "Man macht halt viel mit", weichen Lisa W.
und Patrick B. aus, sobald die Frage auf ihre eigenen Taten zielt.
Die Drohung mit und die Anwendung von physischer und
psychischer Gewalt sind natürlich nicht nur am "rechten Rand" der
Gesellschaft allgegenwärtig. Bezeichnend für die neonazistische Gewalt
dürfte jedoch die Dominanz der spezifischen Ideologie sein, die das
Gewaltpotenzial verstärkt. Auch "Verräter" oder der "Depp der Clique" werden
nicht mehr als Menschen betrachtet. Der Politikwissenschaftler Michael
Kohlstruck spricht von einem "fundamentalen Doppelcharakter" in der rechten
Jugendkultur. "Cliquenbildung, die Inszenierung und Praxis von Gewalt, die
besondere Bedeutung der Gleichaltrigen oder die Bevorzugung rebellischer
Musik" seien einerseits eine "jugendtypische und entwicklungsbezogene Form
einer aggressiven Selbstdarstellung und eines (jugend-)kulturellen
Protestes", andererseits aber "Ausdruck einer politisierten und
ideologisierten Haltung".
Der Mythos der "Kameradschaft" dürfte sich halten, obwohl
Fakten dagegen sprechen. Schon eine positive Erfahrung von Zusammenhalt,
sagt Patrick B., reicht aus, um all die negativen Eindrücke wegzuschieben.
Dass auch Neonazis zu Opfern werden können, darf jedoch nicht
den Blick auf ihre Opfer verstellen. Auch wenn Rechte Opfer ihrer Kameraden
werden, sind sie es in anderer Weise als beispielsweise Linke, Ausländer
oder Obdachlose.
hagalil.com
23-06-2005 |