Spätverbannung:
Wohin mit der Judaistik?
Von Michael Brenner
Süddeutsche Zeitung,
21.06.2005
Der Streit um die Schließung der Judaistik an der
Universität Frankfurt eröffnet eine grundsätzliche Diskussion um den
Standort des Faches. Folgt man den vom Präsidenten der Universität
dargelegten Argumenten und den Empfehlungen der Landesregierung, so gehört
die Judaistik im Rahmen einer Konzentration von Studienfächern in ein
Marburger Zentrum für Orientforschung. Man fragt sich, welches Verständnis
vom Judentum diesen Plänen zu Grunde liegt.
Das Judentum ist gewiss eine Kultur mit ihren Ursprüngen
im Orient, die allerdings im Laufe ihrer jahrtausendealten Geschichte ihre
Zentren in anderen Kontinenten etablierte. Bereits im Mittelalter war Europa
der Mittelpunkt jüdischer Geschichte, und heute befindet sich die größte
jüdische Gemeinschaft in Nordamerika. Sollen wir deswegen das
Judaistik-Institut vielleicht den Amerikanisten anschließen? Oder die
christlich-theologischen Fakultäten zu den Orientalisten verbannen, weil
auch deren Religion bekanntlich ihre Ursprünge im Orient hatte? Sicher kann
man die hebräische Sprache in einen Kontext mit den Sprachen des Nahen
Ostens stellen, aber was ist mit Jiddisch, der Sprache, die von der Mehrzahl
der Juden bis ins 20. Jahrhundert hinein gesprochen wurde?
Hier zeigt sich die Kontinuität einer Denkweise, die die
jüdische Kultur gerne mit dem Alten Orient enden lässt und - wie bei den
Theologen bis in die sechziger Jahre üblich - vom "Spätjudentum" spricht,
wenn sie das Judentum zur Zeit Jesu meint. Bereits die Anfänge der
judaistischen Lehre in Frankfurt während der zwanziger Jahre vertraten hier
eine wesentlich offenere Denkweise. Die Judaistik und die Jüdischen Studien
in Deutschland haben sich dann seit den sechziger Jahren längst von einer
solchen auf die Orientalistik beschränkten Sicht entfernt, und auch die
bisherigen Leistungen der Frankfurter Judaistik zeugen in ihrer Vielfalt von
einem komplexeren Bild.
Der Universitätspräsident gibt selbst das beste Argument
für die Beibehaltung des Faches in Frankfurt, wenn er unter der Überschrift
"Konzentration, nicht Kappung" die erfreuliche Kunde verlauten lässt, dass
sowohl die Martin-Buber-Gastprofessur verstetigt wie auch eine neue
Professur zur Erforschung des Holocausts eingerichtet werden sollen. Genau
hier wäre doch die Konzentration, in die sich die Judaistik einfügen ließe.
In dieser Kombination entstünde in Frankfurt ein Zentrum, in dem die Kultur
des Judentums in ihrer ganzen Bandbreite gelehrt und erforscht werden könnte
wie an kaum einer Universität Deutschlands. Diese Chance sollte man sich
nicht entgehen lassen.
Michael Brenner lehrt Jüdische Geschichte und Kultur an
der Universität München.
Auf dem Prüfstand:
Hessen, die Judaistik und die
geplante Verlegung eines Faches
Immer wieder beschwören Politiker, konservative zumal, die
jüdisch-christliche Tradition des Abendlandes. Nun steht diese oft
strapazierte Floskel auf dem Prüfstand. Den Studiengang Judaistik einem
orientalistischen Zentrum einzugliedern, wäre ungefähr so sinnvoll, wie die
neutestamentliche Wissenschaft an ein Zentrum für Anatolistik und
Hethitologie zu verlegen...
hagalil.com 22-06-2005 |