Junges Forum Dortmund:
Wenn Grundrechte mit Füßen getreten werden
Junges Forum und jüdische Gemeinde
Dortmund besuchen ehemaliges Gestapo-Gefängnis – Appell für wehrhafte
Demokratie
Von Alexander Völkel
Dortmund. "Ich habe Angst vor dem, was da geschehen ist
und was eventuell wieder passieren könnte", sagt Ilja. "Das dürfen wir auf
keinen Fall wieder zulassen", sagt der 19-jährige Jude, als er vor
Steinwache steht.
Gemeinsam mit Freunden aus dem jüdischen Jugendtreff ist
er der Einladung des Jungen Forums Dortmund zum Besuch des ehemaligen
Gestapo-Gefängnisses gefolgt. Die geheime Staatspolizei der Nazis hatte von
1933 bis 1945 das Kommondo in der Steinwache. 30 000 Gefangene mit dem
Vermerk "politisch" durchlitten diese Einrichtung. "Politische Gefangene" -
das waren Funktionäre von linken Parteien, Juden und Sinti, Anhänger der
traditionellen Kirchen und der Zeugen Jehovas. Hinter diesen Mauern waren
sie Rechtlose, der Willkür ausgeliefert. Folter und Verhör, Qualen und
Erniedrigung. Nicht wenige starben. Und viele endeten im KZ.

Die 20 Jugendlichen gehen durch die Wache, werden dort von
Karl Belitzky geradezu mit Informationen "bombardiert". Ihm ist wichtig,
möglichst viel zu vermitteln. Die Brutalität und Menschenverachtung des
Systems, die Einzelschicksale. Oft Schicksale von Opfern, die kaum älter
sind als die Besucher. Ein 16-Jähriger, der nach einem Streit mit einem
SS-Mann 14 Tage in den Gestapo-Knast kam und dem die Wärter das Gesicht mit
Schlagringen zertrümmerten. Die Brüche wurden nicht behandelt. Er ist
entstellt und für sein Leben gezeichnet. Oder das Schicksal einer jungen
polnischen Zwangsarbeiterin, die Unterwäsche gestohlen haben sollte und
dafür zum Tode verurteilt wurde.
"Man
kommt nachdenklich und deprimiert heraus", sagt Daniel (15). Auch Anna
vermag es kaum zu fassen: "Wegen jeder Kleinigkeit ist man hier gelandet.
Und es war Zufall, ob man es überlebt", sagt die 16-Jährige. "Willkür
entschied über Leben und Tod." Menschenrechte, Menschenwürde, Rechtstaat.
Heute scheinbar Selbstverständlichkeiten.
Doch eben nur scheinbar, macht Belitzky deutlich. Jeder
Einzelne muss sich dafür einsetzen, damit es auch in Zukunft diese
Grundrechte für alle Menschen gibt. "In der Steinwache ist das alles noch so
real", berichtet Henriette (22). "Die Geschichte holt einen ein." Das kann
auch Julia (22) nur unterstreichen. "Das waren Menschen wie wir", sagt sie
beim Blick auf die Texte der Opfer. Es sind eben immer die Einzelschicksale.
"Der Tod von Hunderttausenden ist eine Statistik. Aber der Tod von Einzelnen
eine Tragödie", erinnert der 17-Jährige Igor an ein Zitat von Stalin.
Daher gedachten die jüdischen und christlichen
Jugendlichen in einer kleinen Zeremonie, unweit eines Bildes mit einer
Erschießungsszene mit einem Gedicht, Kerzen und Schweigeminuten den Opfern.
"Unsere Aufgabe ist es aufzupassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass so etwas
wieder geschieht", lasen die Jugendlichen vor.
Allerdings stieß diese Zeremonie nicht auf die Gegenliebe
des Wachdienstes. Die Mitarbeiter hatten seit einigen Minuten Feierabend,
drängten die Jugendlichen, endlich zu gehen. "Sie haben uns rausgeschmissen,
mitten in der Schweigeminute", ärgert sich Daniel. Dafür entschuldigt sich
Hans-Wilhelm Bohrisch vom Stadtarchiv. "Das war nicht in unserem Sinne.
Jeder soll ohne Zeitdruck den Opfern gedenken können."
Hintergrund zum Jungen Forum Dortmund:
Das Junge Forum in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
Dortmund e. V. versteht sich als ein unabhängiges Forum für junge Menschen,
die sich für Völkerverständigung, Demokratie und Zivilcourage und gegen
Gewalt und Fremdenfeindlichkeit entschieden haben.
Mehr Infos: www.jufo-dortmund.de
Fotos: © Alexander Völkel
hagalil.com 22-06-2005 |