Keine Reformen:
Ba'ath in der Menge
Der Kongress der syrischen Ba'ath-Partei
hat die erwarteten Reformen nicht beschlossen. Die Unzufriedenheit
insbesondere unter den Kurden wächst.
Von Thomas Schmidinger
Jungle World 24 v.
15.06.2005
Wer Präsident Bashar al-Assad immer als von den alten
Kameraden seines Vaters behinderten Reformer gesehen hat, könnte jetzt eines
Besseren belehrt werden. Der Abschluss des Kongresses der Ba'ath-Partei am
Donnerstag der vergangenen Woche entsprach ganz der pathetischen Tradition
des arabischen Nationalismus. Assads dreistündige Rede wurde nur vom
inszenierten Applaus der 1 225 Delegierten sowie von Zwischenrufern
unterbrochen, die dem Präsidenten "ihre Seele und ihr Blut" darboten. Es
wurde klar, dass Assad und die alten Kader der Partei gewillt sind,
lediglich die minimalen, vor allem außenpolitischen Anpassungen vorzunehmen,
die sie an der Macht halten sollen.
Obwohl sich das Regime der Ba'ath-Partei in einer Krise befindet, ging der
Kongress zu Ende, ohne dass die von vielen erwarteten Schritte zu einer
politischen und ökonomischen Öffnung des Systems beschlossen worden wären.
Auch der von manchen befürchtete, von den meisten jedoch erhoffte
Richtungsstreit zwischen angeblichen Reformern und Traditionalisten blieb
aus.
Nicht einmal zu einer Aufhebung des seit mehr als vierzig Jahren geltenden
Ausnahmezustands konnte sich der Kongress durchringen. Stattdessen wurde der
Opposition und wohl vor allem der internationalen Öffentlichkeit nur eine
Modifizierung und Lockerung des Ausnahmezustands versprochen. Die Regeln des
Notstandsrechts, die der Polizei und den Geheimdiensten fast unbeschränkte
Vollmachten geben, sollen fortan nur noch bei "Verbrechen, die die
Staatssicherheit bedrohen", angewendet werden. Es wird jedoch das Regime
selbst sein, das diese "Verbrechen" definiert.
Für die politische Opposition wird also der Spielraum nicht wachsen. Zwar
bekannte sich der Kongress formal zu einem Mehrparteiensystem, die
verfassungsmäßige Garantie des Führungsanspruchs der Ba'ath-Partei bleibt
jedoch bestehen. Zudem wird den beiden stärksten oppositionellen Kräften,
der islamistischen Muslimbruderschaft und den kurdischen
Oppositionsparteien, durch ein Verbot religiöser und ethnischer Parteien die
Möglichkeit genommen, legal zu arbeiten.
Das Bekenntnis zu einem Mehrparteiensystem bestätigt den Status quo, die
Integration loyaler Blockparteien in ein ba'athistisch geführtes System.
Dieses System existiert seit Jahrzehnten. Neben der regierenden
Ba'ath-Partei gibt es mehrere Blockparteien, die 32 der 250 Abgeordnete
zählenden Volksversammlung stellen. 135 Mandate besetzt die Ba'ath-Partei
direkt, den Rest stellen offiziell "Unabhängige", wobei keiner dieser
Abgeordneten jemals durch eine oppositionelle Äußerung gegenüber dem Regime
aufgefallen wäre.
Unter den in der Nationalen Progressiven Front vereinten Blockparteien
befindet sich auch die einst moskauhörige Kommunistische Partei. Während die
Genossen in der Regierung saßen, wurden Aktivisten oppositioneller
kommunistischer Gruppen jahrelang in Haft gehalten, gefoltert und ermordet.
Riyad al-Turk, Generalsekretär der oppositionellen Kommunistischen Partei
und einer der prominentesten Kritiker des Regimes, wurde 18 Jahre in einer
zwei Quadratmeter großen Zelle in Einzelhaft gehalten, in der er immer
wieder gefoltert wurde. 1987 fiel er nach einer besonders intensiven Folter
sogar für 25 Tage ins Koma. Erst 1998 wurde er als kranker alter Mann gegen
das Versprechen entlassen, sich nicht mehr politisch zu äußern.
Obwohl nach dem Tod Hafez al-Assads im Jahr 2000 auch noch andere prominente
politische Gefangene entlassen wurden, scheint die politische
Liberalisierung Syriens jeweils nur so weit zu gehen, wie sie für das
Überleben des Regimes absolut notwendig ist. Die beiden größten und
gefährlichsten Oppositionsbewegungen, die Islamisten und die kurdischen
Gruppen, werden weiter hart unterdrückt.
Mehreren hunderttausend Kurden wurde in den sechziger Jahren die
Staatsbürgerschaft aberkannt, in den siebziger Jahren hatten die Kurden
unter rücksichtslosen Enteignungs- und Umsiedlungsprogrammen zu leiden. Seit
dem Sturz Saddam Husseins fürchtet das syrische Regime, dass das größere
politische Gewicht der Kurden im Irak auch einen Vorbildeffekt auf die
eigene kurdische Minderheit haben könnte.
Tatsächlich führten Auseinandersetzungen am Rande eines Fußballspiels nach
Provokationen arabischer Nationalisten im März 2004 zu einem Aufstand in der
kurdischen Stadt Qamishli. Die Armee schlug mit besonderer Härte zu.
Kriegsrecht und Ausnahmezustand wurden verhängt, über 100 Menschen getötet,
Tausende verhaftet und gefoltert. Seither hat sich die Situation für die
kurdische Minderheit nicht gebessert. Zwar wurden viele der Verhafteten
wieder entlassen, allerdings werden immer wieder junge Kurden verhaftet oder
"verschwinden" einfach über Nacht.
Am 10. Mai wurde schließlich ein geachteter liberaler kurdischer Sheikh,
Mohammad Mashouq al-Khiznawi, der sich für Reformen in Syrien und einen
interreligiösen Dialog eingesetzt hatte, nach dem Verlassen des Zentrums für
Islamische Studien in Damaskus festgenommen. Er wurde im Gefängnis
gefoltert, am 31. Mai wurde der Familie seine Leiche übergeben.
In der Folge kam es erneut zu Massenprotesten, bei Demonstrationen in
Qamishli wurden drei Kurden von den syrischen Sicherheitskräften getötet. In
Wien reagierten syrische Kurden mit einer spontanen Botschaftsbesetzung, bei
der die syrische Fahne gegen eine kurdische ausgetauscht wurde. Auch in
mehreren deutschen Städten kam es zu Protesten.
Druck auf das Regime kommt jedoch nicht nur von innen. Im Libanon gibt es
Proteste gegen die Anwesenheit syrischer Geheimdienstagenten, die auch nach
dem Rückzug der Armee im Land geblieben sind. Und auch die USA erhöhen den
Druck auf das Regime; die US-Regierung behauptet, "glaubwürdige
Informationen" erhalten zu haben, denen zufolge "Todeslisten" von
libanesischen Politikern existierten, die vom syrischen Geheimdienst aus dem
Weg geschafft werden sollten. "Wir sind sehr besorgt darüber, dass sich
Damaskus weiterhin in die internen Angelegenheiten des Libanon einmischt",
sagte am Freitag der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan. Syrien
müsse "seine Geheimdienstaktivitäten im Libanon einstellen".
Dass die westlichen Staaten nach dem außenpolitischen Kurswechsel des
libyschen Staatschefs Muammar Ghaddafi wenig Neigung erkennen lassen, auf
innenpolitische Reformen zu drängen, könnte Assad zu ähnlichen Schritten
bewegen. Zu außenpolitischen Zugeständnissen dürfte sich sein Regime weit
eher bereit finden als zu einer Demokratisierung des Landes.
hagalil.com 17-06-2005 |