Irakische Weblogs:
Eine Alternative zur europäischen Medienberichterstattung
Von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken
Wem mag man schon vertrauen im Falle des Irak, wird
doch aus dem Zweistromland zwar reichlich aber selten reichhaltig berichtet.
Reporter, die aufgrund der prekären Sicherheitslage im benachbarten
Jordanien weilen oder die Presselobby in Bagdads Palestine Hotel nur zu
vereinbarten Terminen verlassen, sind nun einmal schlechte Beobachter. Seit
den Tagen im April 2003, als verschlafene Korrespondenten früh morgens vom
Lärm amerikanischer Panzer geweckt wurden, die auf dem Al-Tamim-Square
gegenüber dem Pressehotel die Statue Saddams niederrissen, damit auch die
restliche Welt erfährt, dass Bagdad befreit ist, hat die internationale
Presse nur vorübergehend Bewegungsfreiheit erlangt im Irak, der über
Jahrzehnte von jeder freien Berichterstattung abgeschnitten war. Was
Journalisten heute abhält aber sind nicht mehr die Agenten des irakischen
Staates, sondern die Angst, als Ausländer erkannt und zum Opfer jener
bewaffneten Gruppen zu werden, die im gesamten Land ihr Unwesen treiben.
Zum Glück gibt es auch andere Berichte aus dem Irak,
geschrieben von Leuten, die mitten drin leben. Die meisten haben sich den
Ort nicht aussuchen können, andere sind bewusst hierher gekommen, aus
Chicago oder Stockholm, weil und nachdem Saddam Hussein gestürzt wurde.
Gemeint sind die "Blogger", Irakis, die von ihrem eigenen Computer oder aus
einem der vielen neuen Internetcafés kleine und einfach zu verwaltende
Internetseiten betreiben. Weblogs heißen diese Seiten, sie sind kostenlos
über einen der großen Internetdienstleister zu haben und funktionieren wie
ein elektronisches Tagebuch. Und sie sind anonym, die wichtigste
Voraussetzung für eine freie Berichterstattung aus dem heutigen Irak. Denn
immer wieder werden auch irakische Journalisten ermordet, wenn sie in einer
der mehr als 150 Zeitungen, die es in Bagdad mittlerweile gibt, über den
Terror der vielen Gruppen berichten, die im Namen des Islam oder des
untergegangenen Ba'thstaates grausame Rache an vermeintlichen
Kollaborateuren üben.
So kann es nicht verwundern, dass die prekäre
Sicherheitssituation eines der Hauptthemen ist auf den Seiten der Blogger,
die ihren Alltag beschreiben, ihre Hoffnungen und politischen Visionen oder
einfach nur Kontakt zur Außenwelt suchen. "Am Morgen, bevor ich die Haustür
hinter mir schließe, beobachte ich erst einmal die Straße und die Autos, die
vorbeifahren. Und jeden Tag denke ich, dass eines dieser Autos halten wird,
dass die Fenster sich öffnen und jemand mit einer Maschinenpistole auf mich
schießt." Die Bloggerin betreibt ein Geschäft im Zentrum Bagdads und
schreibt unter dem Namen "a family from Baghdad" - "eine Familie aus Bagdad"
- seit dem Sturz Saddam Husseins auf, was ihr und ihrer Familie widerfährt.
Private Ereignisse reihen sich an politische Beobachtungen und
Beschreibungen der Mühen einer Frauenaktivistin, die eine Gesellschaft für
Geschäftsfrauen gegründet hat. Über die Monate kann man verfolgen, wie sich
auch die politischen Vorstellungen der Familie aus Bagdad wandeln. Im
Frühjahr vergangenen Jahres wurde die Bloggerin vor ihrer Haustür von
Bewaffneten überfallen und ihr Auto gestohlen. Wenige Einträge später
erklärt sie, "eine starke nationalistische Führung, das brauchen wir jetzt".
An anderer Stelle beschwert sie sich über starre Bürokratie und Korruption.
"Ist das Demokratie, wenn der Staat alles machen darf?", fragt sie. Das mag
widersprüchlich klingen, gibt aber die ambivalente Haltung vieler Irakis
zwischen der Hoffnung auf mehr Freiheit und der Angst vor der Anarchie eines
Bürgerkrieges wider.
Genau deshalb werden die Weblogs aus dem Irak auch von
immer mehr Menschen weltweit gelesen. Seit ein Bagdadi unter dem Pseudonym
Salman Pax seine Sicht der Kriegsereignisse ins Internet stellte und in
einer Art journalistischer Piraterie die offizielle Berichterstattung beider
Seiten ad absurdum führte, gibt es einen regelrechten Boom um die "embedded
civilists", wie einer der Blogger sich bezeichnet. Und anders als bei den
Nachrichtenagenturen, können die Leser auch direkt reagieren und per Mail
mit den Bloggern diskutieren. Oder sie unterstützen. Nabil, ein Teenager aus
Bagdad, dessen Seite überwiegend der Begeisterung für Horrorfilme und
Fußball gewidmet ist, erhält unerwartet Spenden, nachdem er von seinen
Schwierigkeiten berichtet hat, Bälle, Trikots und Sportschuhe für das
Schulteam zu besorgen. Am 13. August 2004 ist Nabils Eintrag reiner Jubel
über den Sieg der irakischen Fußballmannschaft über Portugal,
"Yeaaaaaaaaaaaaaaaah – wir haben gewonnen....". Wenige Tage später lässt er
seinem Frust über die Anschläge des sogenannten Widerstands freien Lauf.
"Was wollen diese Typen eigentlich? Mögen sie diese Art von Leben ohne
Strom, dass sie die Verteilerstationen zerstören und jeden Ausländer
umbringen, der versucht, sie wieder zu reparieren?" Ein anderes Mal macht er
sich über das "ständige Klagen" anderer Blogger lustig. "Ich durchlebe
furchtbare, schwere Zeiten. Denn jeden Tag habe ich drei Schulstunden. Am
Donnerstag aber gehe ich mit meinen Freunden in einen der Network Shops
spielen. Die meisten spielen nur Ballerspiele, wie Medal of Honour und
Counter Strike... Ich spiele Rise of the Nations, ein sehr gutes Spiel."
Dem "Rise of the Nation", dem Aufstieg der Nation aus dem
Chaos, das Krieg und Diktatur hinterließen, haben sich fast alle Blogger
verschrieben. Nachrichten frei und unkontrolliert ins Internet zu stellen,
mit Menschen im Ausland in Kontakt zu treten und ohne Angst über die
politischen Entwicklungen zu schreiben sind Teil einer Freiheit, die von den
meisten Bloggern begrüßt wird. "Bis vor kurzem wusste ich nicht, welchen
Wert Mobiltelefone haben, Satellitenanlagen, bis wir eine kauften, Internet
bis ich es hatte", schreibt eine "Studentin aus Mosul" in ihrem Weblog. "Ich
wusste nicht was Freiheit bedeutet, bis ich diesen blog begann." Das Zitat
ist typisch für die Mehrzahl der Weblogs. Hier äußert sich eine neue
gesellschaftliche Schicht, für die der Sturz Saddam Husseins nur der Beginn
des Weges in eine demokratische Gesellschaft war. Anders als jene aus der
Armee entlassenen jungen Männer, die sich in ihrer Perspektivlosigkeit
lokalen Milizen und radikalen Gruppen anschließen, vertreten die meisten
Blogger nicht Parteien oder religiöse Gruppen – und sind dennoch dezidiert
politisch.
Wie "Iraq the model", ein von drei Brüdern betriebener
Weblog, der sich der Berichterstattung über politische Ereignisse und deren
Kommentierung verschrieben hat. Vor allem die Berichterstattung der
arabischen Medien über den Irak, kritisieren sie, sei zu "90 % negativ
eingestellt gegenüber dem, was im Irak passiert". Ein anderes Bild des Irak
zu zeigen sehen sie als ihre Aufgabe an. Ähnlich wie "Healing Iraq", dem
Weblog eines Arztes aus Basra, und andere Blogs, betreiben die Brüder mit
ihrem Blog so etwas wie eine alternative Presseagentur. Neben Berichten über
den Alltag finden sich Reportagen und Hintergrundberichte sowie übersetzte
Artikel aus irakischen Zeitungen. "Ich glaube langsam wirklich, dass das
irakische Blogging mehr und glaubwürdigere Informationen und Reportagen aus
dem Inneren bietet, als die traditionellen Medien”, erklärt "der
Mesopotamier" stolz. Und in gewisser Weise hat er Recht. Denn die Blogger
stellen nicht Meldungen nach der Maßgabe reiner Aktualität ins Netz, sondern
sammeln und übersetzen, was ihnen interessant scheint, und liefern die
passenden Kommentare dazu. Wer wissen wollte, was im belagerten Najaf
geschah, als die Milizen Muktadar Sadrs und Regierungstruppen sich
gegenüberstanden, der erfuhr hier mehr als bei den Agenturen und bekam
obendrein ein Bild davon, wie andere Irakis über die Ereignisse denken. Im
Zentrum der Kritik stehen religiöse Eiferer genauso wie Anhänger Saddams.
"Ich wüsste wirklich gerne, wer behauptet hat, der Turban könnte ein Gehirn
ersetzen", fragt "ein kurdischer Blogger" spitz und meint Muqtada Sadr.
Besonders gerne aber machen sich die Blogger über die
arabischen Medien lustig, die "gerne über Abu Ghuraib und andere Dinge im
Irak schreiben, aber über die Folterkeller im eigenen Land schweigen".
"Jetzt weiß ich, warum der Krieg WIRKLICH geführt wurde", verkündet Omar und
persifliert die verschwörerischen Enthüllungsgeschichten über die "Wahrheit
hinter der Wahrheit". "Papa Saddam war so aufmerksam, uns vor der Invasion
durch die westliche Kultur zu beschützen. Wer aber beschützt uns heute vor
der kulturellen Eroberung? Ein Beispiel: In Bagdad gibt es immer mehr Leute,
die Tattoos tragen. Das sind Heavy Metal Fans und damit ist klar, wer davon
profitiert! Und erzählen sie mir bitte nicht, Halliburton und die Zionisten
wären nicht beteiligt an den Plattenfirmen, die Heavy Metal Musik
produzieren!"
Kein Wunder, das der irakische Weblog-Boom auch auf andere
Länder der Region übergreift. Immer öfter melden sich Blogger aus Ägypten,
Saudi Arabien, Iran oder dem Libanon zu Wort, die sich auf ihre Weise mit
dem Irakkrieg auseinandersetzen. Und erstaunlicherweise finden sich hier
viele, die mit großer Sympathie die Entwicklung im Nachkriegsirak
beobachten. Wie "Big Pharao" aus Ägypten. "Im Irak findet ein erstaunlicher
politischer Prozess statt. Die USA und die Koalition haben sogar Freunde im
Irak und die Mehrheit steht ihnen keineswegs so feindlich gegenüber wie
Muqtada al Sadr oder jene Leute im sunnitischen Dreieck."
Verschiedene irakische Blogs:
Neurotic Iraqi wife
Friends of Democracy
Healing Iraq
Iraqi Expat
Iraq Rising
Iraq at a glance
Diwaniya
Iraq&Iraqis
Road of a nation
Mesopotamian
Iraqi in America
Hammorabi
Nabil's blog
Kurdo's world
Iraqi4ever
Star from Mosul
Ali Mohammed
Diary from Baghdad
Iraqi humanity
Ibn Al Rafidain
Baghdad dweller
Democracy in Iraq
Free Iraq
Kurdistan Youngs
An Iraqi's thoughts
Beth-Nahrain
hagalil.com 26-05-2005 |