Ärger um die Staatsangehörigkeit:
Juden sind eher Israelis
Vielen deutschstämmigen Juden in Israel
droht wegen des Staatsangehörigkeitsgesetzes der Verlust ihrer doppelten
Staatsbürgerschaft.
Von Anke Schwarzer
Jungle World 21 v.
25.05.2005
Ist von Deutschland die Rede, zählen bis heute der
Nationalsozialismus und die Shoa zu den ersten Gedanken, die Israelis in den
Kopf kommen, egal ob sie orientalischer oder europäischer Abstammung sind.
Nach einer Meinungsumfrage der Weltwoche denken 40 Prozent der jüdischen
Israelis schlecht über Deutschland und die Deutschen. Bei vielen älteren
Menschen, die den nationalsozialistischen Vernichtungswahn überlebt haben,
gilt die Devise: "Niemals wieder deutschen Boden betreten!", was sie
zuweilen auch von ihren Kindern verlangen.
Dennoch lernen junge Israelis in wachsender Zahl Deutsch. Einige wollen in
Deutschland studieren oder pflegen dort geschäftliche Kontakte. Zahlreiche
deutschstämmige Israelis nehmen die deutsche Staatsangehörigkeit an.
Umgekehrt packen aber auch Juden, die in Deutschland aufgewachsen sind, ihre
Koffer und lassen sich in Israel nieder, weil sie dort ihre Zukunft sehen.
Schätzungsweise 60 000 bis 100 000 Menschen besitzen sowohl die israelische
als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Behörden verzeichnen seit dem
Jahr 2002 einen starken Anstieg der Anträge: 2001 waren es rund 1 700, im
Jahr darauf 2 400, und im Jahr 2003 stieg die Zahl über 3 300.
Doch das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht verbietet die in vielen Ländern
übliche Doppelstaatlichkeit, und es scheint, als würden die deutschen
Behörden beginnen, rigoros auf die Einhaltung des Gesetzes zu achten. "Das
ist allerhand", schimpft Dan Assan. "Die Eingewanderten haben sich auf das
verlassen, was ihnen immer von der Botschaft mitgeteilt wurde, nämlich dass
sie die deutsche Staatsbürgerschaft behalten können", sagt der Tel Aviver
Rechtsanwalt, der sich darauf spezialisiert hat, deutschstämmige Juden beim
Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft und des Europapasses zu
unterstützen. "Heute ist das anders. Es wurde kein Gesetz geändert, aber es
gibt eine neue Rechtsauffassung." Deutsche Pässe seien mit dem Hinweis auf
das Verbot der Mehrstaatlichkeit nicht mehr verlängert worden. Die Anfragen
und Beschwerden häuften sich, bestätigt auch Jalon Gräber, der Leiter von
Noar Olej Merkas Europa in Tel Aviv, einer Organisation, die
deutschsprachige Einwanderer unterstützt.
Viele deutschstämmige Juden in Israel sind verunsichert und befürchten den
Verlust ihrer doppelten Staatsbürgerschaft. Nach dem
Staatsangehörigkeitsgesetz im Paragraph 25 verliert eine Person die deutsche
Nationalität, wenn sie eine neue Staatsbürgerschaft beantragt. Die Alija
jedoch, die Einwanderung nach Israel, für die das israelische Rückkehrrecht
gilt, wurde als Ausnahme betrachtet. Denn Juden erhalten automatisch die
israelische Staatsbürgerschaft, wenn sie nach Israel einwandern. Dies sei
nicht einem Antrag auf Staatsangehörigkeit gleichzusetzen, erklärt der
Rechtsanwalt Assan.
In München sieht man das anders. Dort entschied das Bayerische
Verwaltungsgericht im September 2001, dass eine Einbürgerung, die nach dem
israelischen Rückkehrrecht, also automatisch per Gesetz erfolgt, wie ein
expliziter Antrag auf den Erwerb der israelischen Staatsbürgerschaft
einzustufen sei.
Welche kuriosen und für die Betroffenen ärgerlichen Blüten das deutsche
Gesetz treibt, zeigt der Fall des Klägers: Er war im Jahr 1964 mit seinen
Eltern tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit in die Bundesrepublik
übergesiedelt und dort als "Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit"
anerkannt worden. Nachdem er 1986 nach Israel eingewandert war, kehrte er
elf Jahre später zurück in die Bundesrepublik und beantragte erfolglos einen
Pass. Er verlor den Status als anerkannter "Volksdeutscher", den andere noch
nach Jahrzehnten für sich reklamieren können, obwohl sie Staatsbürger eines
anderen Landes sind.
Das Problem haben übrigens die Nachkommen deutscher Juden in Israel, die von
den Nationalsozialisten ausgebürgert wurden, nicht. Nach der "11. Verordnung
zum Reichsbürgergesetz" aus dem Jahr 1941 verloren alle ausgewanderten Juden
die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie sind von der aktuellen Problemlage
nicht betroffen, ihre Pässe werden verlängert, auch wenn sie einen
israelischen besitzen. Sie haben per Grundgesetz – so sie es wünschten –
ihre Staatsbürgerschaft zurückerhalten.
Für den Kläger im oben geschilderten Fall sieht die Lage anders aus. In
seiner Entscheidung argumentierte das Verwaltungsgericht München 2001: "Er
hatte nämlich – wie er wusste – auch die Möglichkeit gehabt, nur die
Einwanderungsbescheinigung zu beantragen und den Erwerb der israelischen
Staatsangehörigkeit durch eine entsprechende Erklärung zu verhindern."
Seit dieser Entscheidung, mindestens aber seit ein bis zwei Jahren, hat sich
die Handhabung in den deutschen Behörden und in der Deutschen Botschaft in
Israel verändert. In der Mai-Ausgabe des Newsletters Migration und
Bevölkerung der Bundeszentrale für politische Bildung wird berichtet, dass
der Münchner Gerichtsbeschluss nach Angaben des Bundesinnenministeriums
"eine Überprüfung bei der Verlängerung von Pässen nötig gemacht habe, die
sich heute bemerkbar mache". Deshalb müsse die deutsche Botschaft in Tel
Aviv "Bürger darüber unterrichten, dass die Einwanderung nach Israel und der
damit verbundene Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit unter Umständen
zum Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft führen kann".
Weder vom Innen- noch vom Außenministerium war auf Nachfrage eine klare
Aussage darüber zu erhalten, ob den Einwanderern nun rückwirkend die
deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden könne. Es hieß lediglich, dass
eine doppelte Staatsbürgerschaft dem geltenden Recht widerspreche und schon
immer widersprochen habe. Neueinwanderer könnten dennoch einen Antrag auf
die Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft stellen, worauf zurzeit
verstärkt hingewiesen würde. Diese Möglichkeit haben allerdings nur
diejenigen, die jetzt nach Israel auswandern, rückwirkend kann der Antrag
nicht gestellt werden.
Einem Bericht der israelischen Zeitung Jediot Acharonot zufolge planen die
deutschen Behörden, ein Stichdatum um das Jahr 2000 festzulegen, ab welchem
die doppelte Staatsbürgerschaft nicht mehr möglich sein soll. Dann wären
nach Angaben des Blattes einige Hundert Personen betroffen. Unklar ist,
inwieweit Auswanderer, die aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt sind,
hier als Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung leben müssen.
Der Tel Aviver Rechtsanwalt Assan ärgert sich über die neue Handhabung,
nicht nur wegen der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern weil den
Einwanderern kein Vertrauensschutz gewährt werde. Die rückwirkende Anwendung
der neuen Vorschrift käme seiner Meinung nach einer Ausbürgerung gleich.
"Man sucht die Leute nicht, aber sobald sie den Pass verlängern wollen,
haben sie ein Problem", sagt Assan. Gleichzeitig stellt er fest, dass die
Deutsche Botschaft sehr bemüht sei, die Sache doch noch gütlich zu regeln.
hagalil.com
27-05-2005 |