Ostpreußen-Anführer von
Gottberg (CDU):
Der Holocaust – "Mythos", "Dogma", "jüdische 'Wahrheit'"
Von Alfred Schobert
Christian Wulf, niedersächsischer Ministerpräsident, wird sich mit einem
Antisemitismus-Skandal in seiner Partei beschäftigen müssen. Wilhelm von
Gottberg, CDU-Mitglied, Bürgermeister der Gemeinde Schnega, Mitglied des
Kreistages von Lüchow Danneberg, Sprecher der Ostpreußischen Landsmannschaft
und als solcher Stiftungsratsvorsitzender der Ostpreußischen Kulturstiftung,
muss es sich nicht nur gefallen lassen, dass man von ihm behauptet, er habe
in der Preußischen Allgemeinen Zeitung die antisemitische Rede
Hohmanns öffentlich verteidigt.
Nachdem von Gottberg zunächst am im März 2005 beim Landgericht Lüneburg eine
Verfügung gegen die Tageszeitung "Neues Deutschland" erbeutet hatte, zog er Anfang Mai seinen Antrag zurück, da
das Oberlandesgericht Celle ihm signalisierte, dass er in einem Verfahren
keine Chance haben werde.
Um von Gottbergs Verteidigung der antisemitischen Rede Hohmanns wird es wohl
auch am 20. Mai im Prozess vor dem Lüneburger Arbeitsgericht gehen, den Dr.
Ronny Kabus gegen seine Entlassung als Direktor des Ostpreußischen
Landesmuseums durch den Stiftungsratsvorsitzenden von Gottberg angestrengt
hat. Kabus hatte in seiner Aussage vor der Bundestags-Enquete-Kommission
"Kultur in Deutschland" u.a. auf Belastungen der Museumsarbeit durch
politische Statements des Stiftungsratsvorsitzenden hingewiesen und dabei
exemplarisch von Gottbergs Äußerungen über Hohmann genannt. Kabus erhielt
daraufhin Ende vergangenen Jahres die Kündigung, die er nun anfechtet.
Der niedersächsischen Landesregierung, die neben dem Bund das Museum
finanziert, ist von Gottbergs Verteidigung der antisemitischen Rede Hohmanns
bekannt. Laut Statement des zuständigen Ministers, Lutz Stratmann, hielt sie
sie für "nicht akzeptabel". "Ich sage das", so der Minister in der Sitzung
des niedersächsischen Landtags am 27. Januar 2005, dem Jahrestag der
Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, "ganz besonders heute.
Antisemitische Grundeinstellungen müssen in jedem Fall in aller Schärfe
zurückgewiesen werden."
Bei Recherchen im Archiv des Duisburger Instituts für Sprach- und
Sozialforschung (DISS) fanden sich weitere Aussagen von Gottbergs, mit denen
sich die Landesregierung und die niedersächsische CDU längst hätten
beschäftigen müssen. Darunter ein geschichtspolitischer Text, in dem sich
von Gottberg auch Argumentationen aus der Publizistik von Holocaust-Leugnern
bediente und den Holocaust mit Begriffen wie "Mythos", "Dogma" und (man
beachte die Anführungszeichen) "jüdische 'Wahrheit'" belegte – Begriffe, die
die historische Tatsache der Vernichtung der europäischen Juden in Zweifel
ziehen.
Wilhelm von Gottberg bediente sich ihrer im Leitartikel des
Ostpreußenblatts, in dem er die Lage der Nation im neuen Jahrtausend
beleuchtete. Nicht nur, um denjenigen den Wind aus Segeln zu nehmen, die
apologetisch davon reden wollen, hier würden Zitate aus dem Zusammenhang
gerissen, hier ein längeres Zitat aus von Gottbergs Text, mit Zitat im Zitat
– so kann man von Gottberg bei seiner Arbeit am Text über die Schulter
schauen. Die Passage weist einige Merkwürdigkeiten und Tücken auf, die
geduldige Lektüre erfordern:
"Bedeutsam für die
Zukunft der Deutschen ist die Frage, wie lange noch die nachwachsende
Generation mit dem Makel der Schuld für zwölf Jahre NS-Diktatur belastet
wird. Man müsse auch heute tiefe Scham wegen der Ereignisse im Dritten Reich
empfingen, so der ehemalige Bundespräsident v. Weizsäcker und auch seine
beiden Nachfolger. Nach unserer Meinung ist dies eine intellektuelle
Verbrämung der Kollektivschuld-These. Eine Kollektivschuld aber gibt es
nicht. Schuld sind nur die Schuldigen. Als wirksames Instrument zur
Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte wird immer noch – auch
56 Jahre nach Ende des Dritten Reiches – der Völkermord am europäischen
Judentum herangezogen. Mario Consoli schreibt in 'L’uomo libero' Nr. 41/96:
'Sechs Millionen eine runde schreckenerregende Zahl. Männer, Frauen, Greise
und Kinder – alle wurden sie ausgerottet, nur weil sie Juden waren! Der
Holocaust ist heute ein Bleigewicht, das für alle Zeiten am Fuß Deutschlands
und Europas hängen bleiben soll (...). Jeder noch so fadenscheinige Vorwand
(...) ist gut genug, um den Holocaust in Erinnerung zu rufen. Die
Propaganda-Dampfwalze wird mit den Jahren nicht etwa schwächer, sondern
stärker, und in immer mehr Staaten wird die jüdische 'Wahrheit' über den
Holocaust unter gesetzlichen Schutz gestellt (...). Der Holocaust muß ein
Mythos bleiben, ein Dogma, das jeder freien Geschichtsforschung entzogen
bleibt. Bricht dieses Dogma zusammen, gerät nämlich die ganze heutige
Deutung des Zweiten Weltkrieges ins Wanken (...). Damit kämen jene Werte
wieder zu Ehren, die im Gegensatz zum Internationalismus das Recht der
Völker auf Wahrung ihrer Identität und auf Unabhängigkeit gewährleisten.'
(Zitiert nach Burschenschaftliche Blätter 2/99, S. 118.)
Wir haben dem nichts
hinzuzufügen.
Der beschlossene Bau
des Mahnmals zur Erinnerung an den Holocaust im Herzen Berlins am
Brandenburger Tor hat unausgesprochen das eigentliche Ziel, auch die
Nachwachsenden mit dem Schuldkomplex zu belasten."
Festzuhalten ist zuerst, dass sich von Gottberg positiv und zustimmend auf
Mario Consoli bezieht. Dafür spricht erstens, dass er das Consoli-Zitat
distanzlos mit der neutralen Formulierung "Mario Consoli schreibt" einführt.
Zweitens muss die Kommentierung, er habe "dem nichts hinzuzufügen", als
Zustimmung verstanden werden. (Ein dritter Beleg wird sich uns später noch
erschließen.)
In diesem Zitat Consolis fallen schon bei der ersten Lektüre einige
Formulierungen ins Auge: Da ist, mit abfälligen Anführungszeichen versehen,
von einer "jüdischen 'Wahrheit' über den Holocaust" die Rede. Der Holocaust
sei "ein Mythos", "ein Dogma, das jeder freien Geschichtsforschung entzogen"
bleibe. Die Gegenüberstellung vom Holocaust als "Mythos" und sogenannter
"freier Geschichtsforschung" entstammt dem Argumentationsarsenal der
Holocaustleugner, die ihre obskuren Darlegungen mit dem Euphemismus "freie
Geschichtsforschung" bezeichnen – ein wichtiges Organ der Holocaustleugner
trägt den Titel Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung.
Diese Formulierungen geben Anlass, die Herkunft des Zitates (sowie seinen
Urheber und seine Verbreiter) genauer zu verfolgen – diese Spurensuche führt
tatsächlich, wie einige Formulierungen bereits ahnen lassen, ins Milieu der
Auschwitz-Leugner.
An der angegebenen Stelle in den Burschenschaftlichen Blättern findet
sich tatsächlich besagtes Zitat. Es steht dort in einem Artikel von Rudolf
Großkopf,
der "Kommentar zur Tagung des AfbA über das Strafrecht und die Freiheit der
Wissenschaft" überschrieben ist. Großkopf überliefert den Text Mario
Consolis
etwas ausführlicher als von Gottberg dies tut:
"Die Begriffe
'Faschist' und 'Nazi' sind heute jeglichen politischen Inhalts entleert und
zu Totschlagvokabeln geworden, mit denen man jeden Gegner niederknüppelt,
also jeden, der sich der internationalen und multikulturellen Demokratie
entgegenzustellen wagt (...). Mit Hilfe unglaublicher Manipulationstechniken
haben es die Sieger des Zweiten Weltkriegs fertiggebracht, nicht nur eine
Wiedergeburt des Faschismus und des Nationalsozialismus zu verhindern,
sondern auch der traditionellen kulturellen Werte, welche das Leben Europas
unzählige Jahre hindurch geprägt haben. Dabei bediente man sich folgender
Methode: Man verknüpfte traditionelle Werte wie Liebe zur Heimaterde und zur
Familie, Heroismus, Ehrlichkeit, Pflichtbewusstsein und Spiritualismus mit
dem Faschismus und dem Nazismus, mit Mussolini und Hitler. Nachdem diese
Gleichsetzung erst im Unterbewusstein der Massen verankert war, reichte eine
Steigerung der antifaschistischen Propaganda vollkommen aus, um eine
Wiedergeburt der für die Machthaber gefährlichen Werte im Keim zu ersticken.
Indem man das im Zweiten Weltkrieg besiegte Europa mit dem Bösen
gleichsetzte, erreichte man weit mehr als die bloße Ächtung des Faschismus
und des Nationalsozialismus. Man setzte zugleich das ganze Wertesystem außer
Kraft, das jahrtausendelang eine Zivilisation von weltgeschichtlich
einzigartiger Grossartigkeit aufrechterhalten hatte.
Mit Mussolini und
Hitler wurden auch Plato und Dante, Macchiavelli [sic] und Nietzsche, Rom
und das Heilige Römische Reich an den Pranger gestellt (...). Als wirksames
Instrument zur Kriminalisierung des Faschismus und des Nationalsozialismus
erweist sich aber seit dem Nürnberger Prozess die Anklage des Völkermordes
an den Juden (...). [Ab hier zitiert von Gottberg im Ostpreußenblatt: AS]
Sechs Millionen – eine runde, schreckenerregende Zahl. Männer, Frauen,
Greise und Kinder – alle wurden sie ausgerottet, nur weil sie Juden waren!
Der Holocaust ist heute ein Bleigewicht, das für alle Zeiten am Fuß
Deutschlands und Europas hängen bleiben soll (...). Jeder noch so
fadenscheinige Vorwand (...) ist gut genug, um den Holocaust in Erinnerung
zu rufen. Die Propaganda-Dampfwalze wird mit den Jahren nicht etwa
schwächer, sondern stärker, und in immer mehr Staaten wird die jüdische
'Wahrheit' über den Holocaust unter gesetzlichen Schutz gestellt (...). Der
Holocaust muß ein Mythos bleiben, ein Dogma, das jeder freien
Geschichtsforschung entzogen bleibt. Bricht dieses Dogma zusammen, gerät
nämlich die ganze heutige Deutung des Zweiten Weltkriegs ins Wanken (...).
Damit kämen jene Werte wieder zu Ehren, die im Gegensatz zum
Internationalismus das Recht der Völker auf Wahrung ihrer Identität und auf
Unabhängigkeit gewährleisten."
Consolis Text ist deutlich erkennbar im Blick auf die ja auch explizit
erwähnte herrschende Gesetzeslage hin formuliert. Dies gilt erst recht für
seine deutsche Überlieferung bei Großkopf, dessen Text ja "Kommentar zur
Tagung des AfbA über das Strafrecht und die Freiheit der Wissenschaft"
überschrieben ist.
Entsprechend fallen Sätze, die man bei flüchtiger Lektüre dahingehend
missverstehen könnte, als erkenne der Text die historische Tatsache der
6 Millionen ermordeten Juden an. (Und mit einem solchen Satz setzt auch von
Gottbergs Zitat ein.) Schaut man genauer hin, erkennt man im Ausgangstext
den betreffenden Satz allerdings als bloßes Referat der "Anklage
[Hrvh. v.A.S.] des Völkermordes an den Juden" "seit dem Nürnberger Prozess",
d.h. als "wirksames Instrument der Kriminalisierung des Faschismus und des
Nationalsozialismus". Faschismus und Nationalsozialismus gelten dem Text
nicht als per se kriminell, sondern ihre Kriminalität sei erst von den
Siegern des 2. Weltkrieges mittels "unglaublicher Manipulationstechniken"
durchgesetzt werden.
Bei von Gottberg wird dies leicht abgemildert, er paraphrasiert den
betreffenden Satz Consolis (nebenbei der dritte Beleg für die Feststellung,
dass von Gottberg sich allgemein zustimmend auf diesen bezieht). Aus
Consolis Satz "Als wirksames Instrument zur Kriminalisierung des Faschismus
und des Nationalsozialismus erweist sich aber seit dem Nürnberger Prozess
die Anklage des Völkermordes an den Juden" wird bei von Gottberg: "Als
wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte
wird immer noch – auch 56 Jahre nach Ende des Dritten Reiches – der
Völkermord am europäischen Judentum herangezogen."
Entsprechend rollt dem Text zufolge (und dies auch in von Gottbergs
Textübernahme) bis heute eine "Propaganda-Dampfwalze". Die habe dafür
gesorgt, dass in "immer mehr Staaten" Holocaust-Leugnung bestraft werde.
Spätestens an dieser Stelle gewinnt der Text deutliche Schlagseite, und dies
gilt auch für von Gottbergs durch Zitatschnitt und Paraphrase eines Satzes
leicht abgemilderte Version. Denn er spricht nicht von der juristischen
Sanktionierung von Holocaust-Leugnung sondern davon, dass – und hier müssen
die diskriminierenden Anführungszeichen Beachtung finden – "die jüdische
'Wahrheit' über den Holocaust unter gesetzlichen Schutz gestellt" werde. Die
historische Tatsache der Judenvernichtung wäre demzufolge lediglich eine
"jüdische 'Wahrheit'", also – wenn Wahrheit, wie dies allgemein geschieht,
als universelle (und nicht ethnisch partikulare) Geltung einer Behauptung
verstanden wird – keine Wahrheit.
Damit gewinnen auch die folgenden Sätze in von Gotbergs Text ihren Sinn: Die
Behauptung, der Holocaust müsse "ein Mythos bleiben", ist keineswegs eine
bloß ungeschickte Formulierung, dass die Erinnerung an die Shoah Kern der
"institutionellen Geschichtsfiktion" (wie es in der Theorie und Analyse
institutioneller Mechanismen heißt) der Bundesrepublik Deutschlands sei und
zur institutionellen Gründungserzählung, ("Mythos" im übertragenen Sinn) der
Bundesrepublik Deutschland gehöre. "Mythos" steht im vorliegenden Text
deutlich als Gegenbegriff zu "historischer Wahrheit", der nächste Satz macht
dies deutlich, denn eine historische Wahrheit bedarf nicht der Erhebung zum
Dogma (im Sinne eines unanfechtbaren Glaubenssatzes), sie braucht keinen
Schutz vor seriöser historischer Forschung (die mit der Formel "freie
Geschichtsforschung" im Text Consolis und von Gottbergs auch nicht gemeint
ist): "Der Holocaust muss ein Mythos bleiben, ein Dogma, das jeder freien
Geschichtsforschung entzogen bleibt."
Dieser Satz kann nicht mehr als verunglückte Formulierung jenes
institutionenanalytischen Grundgedankens über institutionelle
Gründungserzählungen gelten, der Text schließt sich nicht der normativen
Forderung an, die Erinnerung an die Shoah müsse bleiben, sondern referiert,
was er als herrschende Meinung versteht und kritisiert; die herrschende
Meinung und ihr Niederschlag in der Gesetzgebung fixierten dem Text zufolge
nämlich ein "Dogma, das jeder freien Geschichtsforschung entzogen bleibt" –
eine äußerst merkwürdige Interpretation der Gesetzeslage und der
Rechtssprechung, die keineswegs seriöse und in ihren Interpretationen der
Tatsachen pluralistischen Forschung über die Vernichtung der europäischen
Juden verbietet, sondern lediglich die mit wissenschaftsförmig aufbereiten
Pseudobestreitungen historischer Tatsachen arbeitende antisemitische
Propaganda von Scharlatanen und Amateurhistorikern unter Strafe stellt.
Gewiss würde von Gottberg empört bestreiten, dass er sich mit diesem Text
auf die Seite der Holocaust-Leugner stelle und dabei vermutlich darauf
verweisen, dass in seinem Text doch vom "Völkermord" (als Tatsache) und
nicht bloß, wie bei Consoli, von der "Anklage des Völkermordes" die Rede
ist, dass in seinem Text – im Zitat Consolis – die sechs Millionen Opfern
angesprochen werden,
und dass eingangs des Textes auch vom "unbegreiflichen Holocaust" die Rede
ist.
Nur stehen diese Aussagen, versteht man sie wohlwollend als Anerkennung der
historischen Tatsachen, in krassem Widerspruch zum dann folgenden: Wenn von
Gottbergs Text die Vernichtung von sechs Millionen Juden als eine
historische Tatsache ansieht, dann kann diese Wahrheit nicht wenige Zeilen
später zur "jüdischen 'Wahrheit'", zum "Mythos" und zum "Dogma"
heruntergeredet werden, denen Ergebnisse der "freien Geschichtsforschung"
entgegengestellt werden. Da der Text die Vernichtung der europäischen Juden
zu einer "jüdischen 'Wahrheit'", einem "Mythos" und einem " Dogma, das jeder
freien Geschichtsforschung entzogen" bleibe, erklärt, bleibt der Verdacht,
dass die knappen Hinweise auf den Völkermord und die Opferzahl als bloße
Schutzbehauptungen fungieren.
Da von Gottberg Textvorlage, Rudolf Großkopfs "Kommentar zur Tagung des AfbA
über das Strafrecht und die Freiheit der Wissenschaft" deutlich im Blick auf
die in der Bundesrepublik herrschende Gesetzeslage formuliert ist, liegt es
nahe, auch von Gottberg zu unterstellen, ebenfalls mit Blick auf die
herrschende Gesetzeslage zu formulieren bzw. zu zitieren.
Zudem zielt sein Text ja auf die Reetablierung der Werte, die "wieder zu
Ehren" kämen, wenn das "Dogma" zusammenbrechen würde:
"Der Holocaust muss
ein Mythos bleiben, ein Dogma, das jeder freien Geschichtsforschung entzogen
bleibt. Bricht dieses Dogma zusammen, dann gerät nämlich die ganze heutige
Deutung des 2. Weltkriegs ins Wanken (...) Damit kämen jene Werte wieder zu
Ehren, die im Gegensatz zum Internationalismus das Recht der Völker auf
Wahrung ihrer Identität und auf Unabhängigkeit gewährleisten."
Das schließt an die Zeilen Johann Gottlieb Fichtes über "Deutschlands
Zukunft" und des "Volkes Auferstehn" an, die von Gottberg seinem Text
voranstellte.
Wie gesehen, kommentierte von Gottberg sein ausführliches Zitat mit der
zustimmenden Formel "Wir haben dem nichts hinzuzufügen." Man mag ihm
angesichts dieses Satzes fast einen Sinn für Ironie zugestehen, denn die
harte Eingangspassage im Consoli-Zitat in den Burschenschaftlichen
Blättern ließ er weg. Es blieb dennoch genug übrig: von Gottberg würzt
seinen Ausblick auf die deutsche Nation im neuen Jahrtausend mit einer ganz
kräftigen Prise vom Salz des harten Geschichts-"Revisionismus". Einem Leser
des Ostpreußenblatts war dies ein großes Lob wert: Prof. Dr. h.c.
Hans Rothe aus Bonn sprach in einem Leserbrief von einem "großen Leitartikel
[...], in dem Wilhelm v. Gottberg die Analyse der Zukunft ganz unverhüllt
gibt, dazu mit dem lesenswerten Zitat von Mario Consoli über
Wahrheitsfindung".
Trotz dieses geschichtspolitischen Ausfalls und manch anderer politischer
Positionen von Gottbergs, die geeignet sind, das gute nachbarliche
Verhältnis zu Polen und die Beziehungen zu Russland zu stören und das
friedliche Zusammenleben in Europa zu gefährden, gilt von Gottberg
prominenten Christdemokraten bisher als guter Umgang. So hielt der
brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm am 22. April 2005 beim
"Königsberg-Kommers", der von der Deutschen Burschenschaft (Herausgeber der
Burschenschaftlichen Blätter, die den Holocaust-Leugner Großkopf
publizierten) und der Ostpreußischen Landsmannschaft unter Vorsitz Wilhelm
von Gottbergs veranstaltet wurde, trotz vorheriger deutlicher Hinweise
auf die Verstrickungen der Veranstalter ins rechtsextreme Milieu die
Festrede.
Wer auf die Stimmen der organisierten Vertriebenen zählt, muss wohl die Rede
eines Ostpreußen-Hardliners vom Holocaust als "Mythos" übersehen oder in
Kauf nehmen. Das gilt, allen Beteuerungen der Parteivorsitzenden Angela
Merkel im Zuge des Skandals um den dann aus der Partei ausgeschlossenen
Abgeordneten Martin Hohmann zum Trotz, wohl bis heute für die CDU, auch die
in Niedersachsen unter Führung des bundesweit Sympathieträger Christian
Wulf.
Alfred Schobert ist Mitarbeiter beim
Duisburger Institut für Sprach- und
Sozialforschung (DISS)
Anmerkungen:
Vgl. vom Vf.
"Schönbohm fischt im Trüben. Brandenburgs Innenminister pflegt Kontakte nach
Rechtsaußen. In: Neues Deutschland vom 20.2.2005, S. 4 (zu finden
unter
www.zukunft-ostpreussenmuseum.de/pressestimmen/artikel41.html).
Vgl. zum ersten
Prozesstag "Hohmann-Streitfall für die Justiz. 'Neues Deutschland' und
Wilhelm von Gottberg vor dem Landgericht". In:
Landeszeiung (Lüneburg) vom 9.3.2005; zu finden unter
www.zukunft-ostpreussenmuseum.de/pressestimmen/artikel51.html.
Siehe
"Niederlage für von Gottberg. 'Neues Deutschland' gewinnt Rechtsstreit". In:
Landeszeitung (Lüneburg) vom 11.5.2005; nachlesbar unter
www.zukunft-ostpreussenmuseum.de/pressestimmen/artikel52.html.
Zum Skandal der
Entlassung von Kabus mag man sich auf der eigens aus diesem Anlass
eingerichteten Homepage
www.zukunft-ostpreussenmuseum.de
informieren.
"Vor diesem
Hintergrund" habe sich die Landesregierung, so der Minister weiter, Land
"sofort mit dem Bund und dem Freistaat Bayern über die Notwendigkeit
abgestimmt", die Stiftungssatzung dahingehend zu ändern, dass der Vorsitz
nicht mehr automatisch dem Ostpreußen-Anführer "als 'geborenem
Vorsitzenden'" zufalle.
Wilhelm von
Gottberg: Zum Geleit: ... und der Zukunft zugewandt. In:
Ostpreußenblatt 1/2001, S. 1-2. Zu Beginn des Consoli-Zitats fehlt
gegenüber der Vorlage ein Gedankenstrich: "Sechs Millionen – eine runde
schreckenerregende Zahl..."
Ohne Hinweise
und Hilfe von Anton Maegerle und Martin Dietzsch, die mich in der
März-Ausgabe der Archiv-Notizen auf die Fährte brachten, wäre die
Spurensuche mit den nun folgenden Ergebnissen nicht möglich gewesen.
Großkopf ist
pensionierter Physiker, Mitglied der Burschenschaft Thuringia Braunschweig
und lebt in Königsbronn. Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelt gegen ihn
wegen des Verdachts der Beihilfe zur Volksverhetzung. Vorgeworfen wird
Großkopf die Unterstützung des bekanntesten deutschen Holocaust-Leugners,
Germar Rudolf. Rudolf hatte sich in die USA abgesetzt. Großkopf war
Bevollmächtigter für sein Konto bei der Heidenheimer Volksbank, über das
Rudolfs Verlag Castle Hill Publishers seine deutschen Geschäfte abwickelte.
Holocaust-Leugnung ist ein einträgliches Geschäft, die Staatsanwaltschaft
beschlagnahmte über 200.000 Euro. Großkopf wurde im Oktober 2004 nach fast
einem Monat Untersuchungshaft gegen eine Kaution von 300.000 Euro
freigelassen. In der rechtsextremen Publizistik war Großkopf in den
vergangenen Jahren durch gelegentliche Leserbriefe präsent. So behauptete er
in der Jungen Freiheit: "In der BRD werden Andersdenkende
ausgegrenzt, verfolgt und von der Justitz bestraft. Die BRD ist in wichtigen
Teilbereichen des öffentlichen Lebens kein normaler Staat" (Junge
Freiheit 26/1997). Ganz auf dieser politischen Linie unterzeichnete er
im Februar 2004 einen Appell, der "Freiheit für Horst Mahler, Reinhold
Oberlercher und Uwe Meenen" fordert.
Consoli ist ein
italienischer Rechtsradikaler. Zur Quelle, der Zeitschrift L'Uomo libero
("Freier Mensch") , schrieb das Institute for Jewish Policy im Dezember
1996, es handle sich um ein antisemitisches Organ, das Holocaust-Leugnung
betreibe (siehe ausführlicher
www.axt.org.uk/antisem/archive/archive1/italy/index.htm).
Rudolf
Großkopf: Kommentar zur Tagung des AfbA über das Strafrecht und die Freiheit
der Wissenschaft. In: Burschenschaftlichen Blätter 2/1999, S. 118.
Eine erste deutsche Fassung des Zitats findet sich in der 1997 publizierten
Broschüre "Vom Untergang der Schweizerischen Freiheit" des flüchtigen
Schweizer Holocaust-Leugners Jürgen Graf. Eine englische Übersetzung des
Zitats fand sich Anfang 2001 unter dem Titel "Why the Holocaust Must Remain
a Dogma" auf der Homepage des kalifornischen Institute for Historical
Review, einem der wichtigsten Zentren der internationalen
Holocaust-Leugner-Szene. Der Text sei dem Hausorgan, dem Journal for
Historical Review, entnommen.
In der
englischen Übersetzung beim Institute for Historical Review steht nicht der
deutsche Euphemismus "freie Geschichtsforschung; da bedient man sich der
Wissenschaftlichkeit suggerierenden Formel "Revisionismus": "The Holocaust
must remain a myth, a dogma, sheltered from all revisionist and truthful
scrutiny."
"Sechs
Millionen – eine runde, schreckenerregende Zahl. Männer, Frauen, Greise und
Kinder – alle wurden sie ausgerottet, nur weil sie Juden waren!" Wenn dies
als konstatierende Aussage über die historische Tatsache der Shoah gelten
soll, fragt man sich, was in diesem Kontext die Qualifizierung der Opferzahl
als "rund" soll; Sinn macht die Qualifizierung der Opferzahl als "rund" und
"schreckenerregend" allerdings, wenn man den Holocaust lediglich als
"wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer
Geschichte" betrachtet.
Die
Formulierung fällt in einer fiktiven Passage, im Rahmen einer hypothetischen
Überlegung: "Die Menschen im Deutschen Reich vor hundert Jahren hätten alle
für geisteskrank erklärt, die im Januar 1901 vorausgesagt hätten, daß das
große Land in Europas Mitte 1945 zwei Kriege sowie fast die Hälfte seines
territorialen Besitzstandes verloren haben würde. Ebenso undenkbar auch die
Prognose, wonach Deutschland zwölf Jahre Diktatur mit dem unbegreiflichen
Holocaust überstehen müsse." Merkwürdig, dass es um die Prognose geht,
wonach "Deutschland [Hrvh. v. A.S.] zwölf Jahre Diktatur mit
dem unbegreiflichen Holocaust überstehen müsse" – als wäre "Deutschland" in
die Gaskammern getrieben worden. Oder geht es von Gottberg auch in dieser
Passage darum, dass "Deutschland" nach 1945 und bis heute den Umgang mit
"zwölf Jahre[n] Diktatur mit dem unbegreiflichen Holocaust überstehen
müsse"? Er spricht schließlich von der Belastung durch den Holocaust als
"Bleigewicht" und davon, dass der "beschlossene Bau des Mahnmals zur
Erinnerung an den Holocaust im Herzen Berlins am Brandenburger Tor [...]
unausgesprochen das eigentliche Ziel" habe, "auch die Nachwachsenden mit dem
Schuldkomplex zu belasten".
Dieser
Leitartikel von Gottbergs ist zudem nicht der einzige Text im
Ostpreußenblatt, in dem mit obskuren Formulierungen Zweifel an der
historischen Tatsache der Vernichtung der europäischen Juden gesät werden.
Im März 2000 erschien im Ostpreußenblatt ein nicht namentlich
gezeichneter Artikel über den Londoner Irving-Prozess, der ebenfalls sehr
heikle Passagen enthielt (der Text ist dokumentiert in Martin
Dietzsch/Alfred Schobert [Hg.], Ein "jüdischer David Irving"? Norman G.
Finkelstein im Diskurs der Rechten – Erinnerungsabwehr und Antizionismus.
Duisburg: DISS 2001, S. 70).
Vgl. Alfred
Schobert: Schönbohm fischt im Trüben. Brandenburgs Innenminister pflegt
Kontakte nach Rechtsaußen. In: Neues Deutschland vom 20.2.2005, S. 4
(zu finden unter
www.zukunft-ostpreussenmuseum.de/pressestimmen/artikel41.html) u.
Andreas Speit: Schöner Gast beim Kommers Zusammenschluss schlagender
Verbindungen erinnert morgen an "750 Jahre Königsberg". Brandenburgs
Innenminister Schönbohm (CDU) hält die Festrede. In: taz (Hamburg)
21.4.2005, S. 21 (siehe
www.taz.de/pt/2005/04/21/a0070.nf/text.ges,1).
Vgl. Andreas
Speit: In vollem Wichs. Königsberg-Kommers der Burschenschaften: Protest von
allen Seiten, GAL greift CDU wegen Schönbohm-Auftritt an. In:
taz (Hamburg) 25.4.2005, S. 21 (siehe
www.taz.de/pt/2005/04/25/a0059.nf/text.ges,1).
hagalil.com 17-05-2005 |