Israelisches Eishockey:
Das Eis wird dicker
Von Martin Krauss
Jungle World 17 v.
27.04.2005
Es ist nicht alles Gold, von dem die Jerusalem Post
behauptet, es sei Gold. Zumindest ist die Schlagzeile "Eishockeynationalteam
gewinnt WM-Gold", die das Blatt Mitte April druckte, nur für den Leser nicht
irreführend, der über die Zusatzinformation verfügt, dass die israelische
Eishockeynationalmannschaft ihren sensationellen Triumph auf der in Belgrad
ausgespielten Weltmeisterschaft der Zweiten Division, Gruppe B, errang. Das
ist in etwa das, was früher als C-WM bezeichnet wurde. Die Mannschaft
spielte gegen Teams aus Island, Südkorea, Serbien-Montenegro, Belgien und
Spanien.
Trotz des Sieges auf diesem Turnier stellt das kleine Land
vom Mittelmeer nicht gerade eins der besten Eishockeyteams der Welt. Die
stammen immer noch traditionell aus Ländern wie Russland oder Kanada. Doch
genau da kommen die gut gepolsterten israelischen Cracks ja auch her.
Der Kapitän der israelischen Auswahl ist Sergej Belo, heute
35 Jahre alt. Geboren wurde er in Leningrad, wo er als Siebenjähriger in der
sowjetischen Kinderliga anfing. Über die Juniorenliga kam er bei ZSKA
Leningrad in die erste Mannschaft und wurde "Profi", wie er seinen damaliges
Arbeitsverhältnis selbst beschreibt. "Mit 19 verletzte ich mich schwer am
Rückenmark, und es sah so aus, als wäre es mit dem Eishockey vorbei."
Belo musste sich umorientieren, und als Jude emigrierte er
bald nach Israel. Dort baute er einen Handel für Medizintechnik auf. "Dass
ausgerechnet Israel mir eine sportliche Zukunft im Eishockey bieten könnte,
hätte ich nie geglaubt." Aber 1995 begann er hier wieder mit seinem Sport.
Avishai Geller ist 26 Jahre alt, kommt aus Kalifornien und
gilt als einer der talentiertesten israelischen Spieler. "Fast nur Russen
spielen hier", sagt er. "Oder die Kinder von Russen." Weil es sprachlich
einfacher ist, zählt man Ukrainer und Weißrussen auch zu den Russen. In der
Nationalmannschaft, so schätzt Kapitän Belo, sind über fünfzig Prozent
Russen, der Rest kommt aus den USA und Kanada – und neuerdings sogar aus
Israel.
Bei dem Turnier in Belgrad war Torwart Evgeni Gussin der
Star. Auf dem Eis brillierten mit Belo und Sergej Frenkel zwei weitere
Russen, aber auch die in Israel geborenen Alon und Oren Eisenman, die
übrigens als einzige außerhalb Israels spielen, Alon beim französischen Club
Tour, Oren in einer amerikanischen College-Mannschaft.
Avishai Geller arbeitet in Tel Aviv als
Software-Programmierer und spielt bei Makkabi Lod. "Es ist ein gutes
Niveau", sagt er zum sportlichen Stand des israelischen Eishockeys. "Aber es
ist schlechter als die Minor League in Amerika." Dort, in der Vorstufe des
professionellen nordamerikanischen Eishockeys, hat Geller früher gespielt.
"Ich wusste, als ich auswanderte, nur, dass es in Israel eine Eishalle
gibt." Von einer Liga und einer Nationalmannschaft ahnte er nicht einmal
etwas.
Die einzige Eishalle Israels, die so groß ist, dass man dort
Eishockey spielen kann, findet sich in Metulla, einem Ort im Norden, nahe
der libanesischen Grenze. Die Halle gehört zum Canada Centre. Dieses gibt es
seit Mitte der neunziger Jahre, den israelischen Eishockeyverband bereits
seit 1991. Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, vorwiegend Russen,
brachten den Sport mit. Zunächst spielten sie in Bat Yan, dort gab es ein
kleines Eisfeld, das nicht die vorgeschriebene Größe aufwies. Vor drei
Jahren wurde die Halle in Bat Yan geschlossen, andere kleinere Hallen, wie
etwa in Lot oder in Ma'alot, dienen als Trainingshallen, auch für die
Nachwuchsarbeit.
Aber die meisten der gegenwärtig etwa 250 Männer, die in
Israel den Eishockeysport betreiben, kommen auch zum Training nach Metulla.
Und die Ligaspiele werden ohnehin hier ausgetragen. Zweimal im Monat ist
Ligatag, dann gibt es in Metulla zwei Partien hintereinander, das fünfte
Team der Liga hat frei.
"Wir benötigen unbedingt mehr Eisfläche", sagt Sergej Matin,
der Präsident des israelischen Eishockeyverbandes. "Die Immigranten aus
verschiedenen Ländern warten nur darauf", meint er, der aus Russland stammt.
"Weil das Eis fehlt, wird mittlerweile in Israel auch viel Inline-Hockey
gespielt." Matin ist 45 Jahre alt und lebt seit 1990 in Israel. In der
Sowjetunion spielte er in der zweiten Liga, "Profi war ich nicht." Heute ist
er Geschäftsmann und seit 1998 Präsident. Anfangs kamen gute jüdische
Spieler aus dem nordamerikanischen Eishockey zum Einsatz. "Aber die haben
wegen der Playoffs meistens keine Zeit", sagt Matin, "und wir haben auch
kein Geld, sie einfliegen zu lassen."
Was sich der Verband für die so erfolgreich absolvierte WM
der Zweiten Division in Belgrad leisten konnte, war, Jean Perron als Trainer
zu verpflichten. Er hat 1986 die Montreal Canadiens zum Stanley Cup geführt,
und als Trainer des bislang noch nie so richtig ernst genommenen
israelischen Eishockeynachwuchses der U 18 hatte er zuletzt auch
bemerkenswerten Erfolg: Seine Mannschaft gewann Bronze in der WM der Dritten
Divison.
Zu den größten Talenten des israelischen Eishockeys gehört
Raviv Bul. Er ist 17 Jahre alt, sehr lang und sehr schlaksig. Er hat noch
alle Zähne, und kräftig gebaut ist er auch nicht. Raviv Bul ist Kapitän des
Junioren-Nationalteams, aber er spielt auch in der ersten israelischen Liga,
seit er zwölf ist. Er stammt aus einem Kibbutz in der Nähe von Metulla. "Ich
war zehn Jahre alt, da ging ich mit Freunden zum Eishockey in die neue Halle
hier", sagt er. "Wir wollten mal was Neues ausprobieren. Nicht immer nur
Fußball und Basketball." Nun hat er dreimal pro Woche Training, aber er
selbst hält sich nicht für einen guten Spieler. Der israelische Verband
schickte ihn einmal in ein internationales Trainingslager für Kids,
veranstaltet vom Weltverband für die jeweils besten Nachwuchsspieler der
Länder. "Ich war überrascht, was die konnten", sagt Raviv Bull über die
Teenager, die er dort erlebte. Seither will er nicht mehr Profi werden.
Sergej Belo, der ehemalige Profi, gibt dem israelischen
Eishockey sehr wohl eine Perspektive. "Es müssen nur mehr Hallen gebaut
werden", sagt er, "nicht nur hier im Norden, sondern auch in den größeren
Städten wie Tel Aviv, Jerusalem oder Haifa."
Verbandspräsident Matin drückt die Perspektive in Zeiträumen
aus: "In sieben, acht Jahren werden wir das israelische Eishockey richtig
gut entwickelt haben." Er gehe auf Sponsorensuche vor allem in den USA und
Kanada. "Eine Profiliga ist unsinnig", sagt Matin, "ich hoffe aber, dass wir
in einigen Jahren Halbprofis haben werden." Das heißt für ihn: Es gibt ein
paar gute und voll bezahlte Spieler, die meisten erhalten Geld, gehen aber
nebenher noch arbeiten.
Zur Zeit machen alle alles ehrenamtlich im israelischen
Eishockey: die Trainer, die Spieler, die Funktionäre. "Manchmal finden wir
wenigstens für die Reisekosten einen Sponsor." Das soll und muss sich bald
ändern. Mit dem "WM-Gold" von Belgrad erreichte Israel immerhin den Aufstieg
in die Erste Division des internationalen Eishockeys. Das ist faktisch die
Zweite Liga. Hier spielen die israelischen Amateure gegen Vollzeitprofis.
hagalil.com 01-05-2005 |