Überblick:
Aktueller Antisemitismus am Balkan
Von Max Brym
Shqiptar Oseku schrieb am Freitag den 13.05.05 einen
Artikel in der kosovarischen Tageszeitung Koha Ditore (Tageszeitung) zum
Thema Antisemitismus am Balkan. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass
antisemitische Tendenzen überall in der Region zunehmen, besonders aber in
Kroatien, Serbien und Griechenland. Nach Oseku "wurde seit sechzig Jahren in
den genannten Staaten keine wirkliche Aufarbeitung der Vergangenheit
betrieben".
Die Legende von den antifaschistischen Slawen und Griechen
wurde gepflegt. Höchstens über die Kollaboration der kroatischen Ustaschi
und der serbischen Tschetniks mit den Nazis wurde gesprochen. Verschwiegen
wurde aber, dass der nazistische Antisemitismus auch in den genannten
Balkanstaaten ein erfolgreiches Exportprodukt der Nazis war und die
Kollaborationsbereitschaft förderte. Aus Serbien konnte im Jahr 1942 an das
RSHA in Berlin gemeldet werden: "Juden- und Zigeunerfrage vollständig
gelöst". Ohne massive Beteiligung von großen Teilen der Bevölkerung wäre
diese Meldung nicht möglich gewesen.
Dies steht in völligem historischen Gegensatz zur
damaligen Entwicklung in Albanien. In Albanien gab es nach der Befreiung vom
Hitlerfaschismus wesentlich mehr Juden als vor der faschistischen Besatzung.
Im damaligen albanischem Massenbewusstsein gab es keinen Antisemitismus, der
Antisemitismus war unbekannt. Durch die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung
konnten die Faschisten in Albanien keine Juden gefangen nehmen, ermorden
oder deportieren. Die damalige archaische albanische Gesellschaft, die nicht
mit der negativen Dialektik der Aufklärung in Berührung kam, rettete vielen
Juden das Leben. In Albanien gab es keine antisemitische Literatur und
keinerlei antisemitische Tradition und Bewegung. Nicht einmal Kollaborateure
wagten es, sich an der Judenverfolgung zu beteiligen. Sie fürchteten,
dadurch in der albanischen Gesellschaft völlig isoliert zu werden und sich
dem Gesetz der Blutrache auszusetzen. Der uralte Kanun der Albaner sagt:
"Das Haus gehört Gott und dem Gast". Wer das Gastrecht verrät, an dem gilt
es die Blutrache zu vollziehen. Davor hatten selbst die albanischen
Faschisten Angst und ignorierten daher Befehle durch die Besatzungsmacht.
Bei den albanischen Partisanen unter Führung von Enver Hoxha stellte sich
diese Frage sowieso nicht.
Aktueller Antisemitismus
Herr Oseku weist als Beleg für den stärker werdenden
Antisemitismus in seinem Artikel nicht nur auf die Vergangenheit in der
Region hin. Er benennt die tiefe ökonomische Krise und das Vorhandensein
diversester nationalistischer Strömungen als Ursache für das "Fischen im
Trüben mittels des Antisemitismus". Er liefert viel Faktenmaterial über die
aktuellen Vorgänge in verschiedenen Staaten des Balkans.
Kroatien
Die Tourismusbranche in Kroatien hat ihre Probleme mit
einer Unzahl von antisemitischen Schmierereien an Hafenanlagen und
Touristenattraktionen in Kroatien. Die Branche befürchtet dadurch
Einnahmeverluste. Besonders intensiv wird immer wieder die Synagoge in
Dubrovnik mit nazistischen und antisemitischen Parolen verunstaltet. Einige
Juden in Dubrovnik bekundeten öffentlich ihre Angst, in die Synagoge zu
gehen. Der Literaturmarkt in Kroatien bietet fast alles, wonach es dem
antisemitischen Gemüt dürstet. Die berüchtigte antisemitische Hetzschrift
"Die Protokolle der Weisen von Zion" sind ebenso zu finden, wie die
"Erinnerungen des Ustaschi Führers Ante Pavlovic". Einer der größten Verlage
des Landes hat Hitlers "Mein Kampf" ins Kroatische übersetzt und wird das
Pamphlet bald auf den Markt werfen. Die Werbekampagne dafür läuft in vollen
Zügen. Daneben erhalten die Juden in der Stadt Osijek zunehmend anonyme
schriftliche Drohungen. In den Texten steht: "Verschwindet bevor wir euch
töten, denkt an Hitler und Pavlevic". Es gibt in Kroatien aber auch eine
stärker werdende "Jugendantifa", die oftmals in Verbindung mit alten
Partisanen sich dieser Entwicklung entgegenstellen.
Serbien
Die Organisation zur "Verteidigung der Menschenrechte" in
Serbien benennt in einer Erklärung den Antisemitismus zu einem Phänomen,
dass besorgniserregende Ausmaße angenommen hat. Nach dem Verband wird vor
allem in Belgrad besonders eifrig antisemitische Literatur vertrieben. Dabei
gibt es eine spezielle Mischung aus antijudaistischer und
rassistisch-antisemitischer Literatur, darunter auch Hitlers "Mein Kampf".
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde mit ihren 3.000 registrierten
Mitgliedern spricht von einer "ernsten Gefahr für die Juden in Serbien". Im
Internet verbreiten serbische Faschisten Namen von Juden, "die es zu
liquidieren" gelte. Die serbischen Faschisten können gegenwärtig wie die
Fische im Wasser schwimmen, denn sie werden von der Regierung toleriert und
von der größten Oppositionspartei der "Serbischen Radikalen Partei" indirekt
unterstützt.
Die SRS ist selbst Bestandteil des Netzwerkes europäischer
rechter Parteien. Es bestehen brüderliche Beziehungen zu Le Pen in
Frankreich und zu Schirinowski in Rußland. Den deutschen Altnazi Franz
Schönhuber machte die SRS vor einiger Zeit zum Ehrenmitglied. Im Fokus der
aktuellen antisemitischen Kampagne steht der Unabhängige Radiosender B92.
Immer wieder attackieren die serbischen Faschisten den Sender als "Agentur
des Judentums" und greifen den Eigentümer als "Juden" an.
Besonders auffällig nennt Oseku in seinem Artikel die
Symbiose von Antisemitismus und Islamophobie in der Propaganda der
serbischen Rechten. In der Tat, Oseku hat allen Grund, dies für Serbien und
teilweise für Kroatien zu diagnostizieren. Im Krieg in Bosnien sprach die
serbische Propaganda von "minderwertigen Türken und Moslems". Ihre
chauvinistische Haltung gegenüber den Albanern schritt gleichfalls mit
antiislamischen Vorurteilen einher. Dazu ist der Antisemitismus kein
Gegensatz sondern der logische Überbau. Da den "Moslems und Türken" (Bosnier
und Albaner) keine besonderen Fähigkeiten zugeschrieben werden, landen die
Agitatoren schnell im Fabulieren über eine angebliche "Jüdische
Weltverschwörung".
Griechenland
Nach Oseku ist die antisemitische Welle gegenwärtig am
stärksten in Griechenland. Selbst die EU war entsetzt über die Häufigkeit
antisemitischer Attacken und physischer Angriffe auf Juden im Jahr 2004. In
drei großen Tageszeitungen und Medien Griechenlands werden antisemitische
Karikaturen und Kommentare in absoluter Regelmäßigkeit abgedruckt. Der
ultranationalistische griechische EU-Parlamentarier Jorgo Karaxaferi von der
Partei LAOS betont öffentlich: "Die Juden greifen laufend die Welt an".
Jeder griechischen Regierung wird vorgeworfen, "Marionetten des israelischen
Faschismus zu sein".
Der Antisemitismus in Griechenland ist oft links
verkleidet. Unter der Parole des "Antizionismus" finden sich
Pressekarikaturen unter der Überschrift: "Jüdischer Faschismus", darunter
sieht man Krematorien in die Palästinenser getrieben werden. Der Musiker und
Sänger Mikis Teodorrakkis erklärte vor einiger Zeit offen: "Die Juden sind
ein kleines Volk, aber sie sind für alles schlechte in dieser Welt
verantwortlich." Der gewählte christdemokratische Abgeordnete aus Kreta für
das griechische Parlament betonte: "Unser Volk hier hasst die Juden". Die
griechische Linke stellt sich äußerst selten direkt gegen Chauvinismus und
Rassismus auf. Viele Gewerkschafter beteiligen sich statt dessen an
Hetzjagden gegen Albaner, die ihnen angeblich die Löhne am Bau versauen.
Bosnien und Kosova
Am schwächsten treten gegenwärtig antisemitische Tendenzen
am Balkan in Bosnien und in Kosova auf. Die christlich geprägten
Gesellschaften am Balkan sind wesentlich anfälliger für den Antisemitismus
als die Bevölkerung, die mehrheitlich moslemisch ist. Zwar versuchen über
"humanitäre Organisationen" aus islamischen Ländern, Fundamentalisten
Einfluss zu erlangen, aber ihre Versuche haben bis dato nur marginalen
Erfolg. Das könnte sich allerdings ändern, wenn es weiterhin keine
ökonomische und politische Perspektive für die Bevölkerung in Bosnien und
Kosova gibt. In diese Lücke könnte der islamische Fundamentalismus
hineinstoßen und als spezifisches Produkt der konterrevolutionären
Verzweiflung Anhänger gewinnen.
[FORUM]
hagalil.com 18-05-2005 |