Zum Tod von Johannes Paul II.:
Der Papst und Israel
Von Ulrich W. Sahm
Papst Johannes Paul II. hat Schritte getan, die seit dem
ersten Papst, dem Heiligen Petrus, kein anderer gewagt hat. In Rom begab er
sich erstmals als Papst in eine Synagoge. Petrus war ja selber noch Jude und
hat selbstverständlich in der Synagoge gebetet.
Viel gemunkelt wurde über das Verhältnis zwischen "Lolik"
(Wojtyla) und seiner drei Jahre älteren Nachbarstochter Ginka in der zweiten
Etage des Hauses in der Kutschielna Strasse Nr 2 in Vadowice. "Sie lasen
zusammen Gedichte und spielten im Schultheater." Ginka Bers Tochter Ofra
versichert, dass es zwischen beiden keinen "Roman" gegeben habe. Der junge
Lolik, dessen Mutter starb, als er acht Jahre alt war, habe regelmäßig bei
den Bers am Freitag Abend das Sabbatessen genossen. Eines Tages, als er
schon Theologiestudent in Krakau war, habe er sich über seine Jugendfreundin
"beklagt". Sie sei "wie alle anderen Mädchen". Was er damit wohl gemeint
hatte?
Krischer Roman aus Tel Aviv bewahrt in einer Ecke neben der
Eingangstür seiner bescheidenen Wohnung Skibretter der Marke "Extra" aus dem
Jahr 1937. "Das ist mein Talisman. Damit sind wir zusammen in den Bergen Ski
gefahren", erzählt der 80 Jahre alte Sportler. Bei einem Ski-Wettbewerb sei
"Karol" deutlich besser gewesen als er. Und wenn bei der jüdischen
Fußballmannschaft beim Kampf gegen die katholische Mannschaft ein Spieler
ausfiel, sprang Karol als "Torwart der jüdischen Mannschaft" ein.
Edith Zierer aus Haifa war 15 Jahre alt, als sie verhungert
und fast erfroren auf einem Bahnhof in Polen hockte, kurz nachdem sie als
"Skelett" aus dem Konzentrationslager freigelassen worden war. Es war im
Januar 1945. Ein junger Priester kam und brachte ihr Brot. Er fragte sie
nach ihrem Namen. "Er war der erste nach vielen Jahren, der mich wieder beim
Namen nannte und nicht als Nummer", erinnert sich Edith Zierer. Der junge
Priester hüllte sie in seinen schwarzen Mantel und trug sie zehn Kilometer
weit auf dem Rücken bis nach Warschau. Er hieß Karol Jozef Wojtyla.
Diese Menschen traf der Papst wieder, als er Israel im Jahr
2000 besuchte. Manche seiner besten Freunde waren Juden aus Polen. Er hielt
mit ihnen Kontakt, auch als Pontifex.
Das mag der persönliche Hintergrund gewesen sein für seine
unermüdlichen Vorstöße in Richtung Judentum und dem jüdischen Staat Israel.
Vor zehn Jahren setzte er eine Anerkennung des jüdischen Staates Israel
durch, wogegen sich bis dahin der Vatikan aus theologischen Gründen
aufgelehnt hatte. Papst Paul VI noch weigerte sich 1956 während seines
Besuches im Heiligen Land, in Israel zu übernachten.
Die Errichtung eines jüdischen Staates widersprach den Lehren
der Kirche, wonach die Juden bis zur Rückkehr des Messias in der Verstreuung
zu leben hätten. Die jüdische Diaspora, die ständigen Vertreibungen und
Verfolgungen, waren ein steter Beweis für den Sieg der Ekklesia über die
verstoßene Synagoga, wie es Figuren am Straßburger Dom und anderen Kirchen
darstellen. Da sieht man eine blendende Frau mit Kreuz und eine zweite, mit
einer Binde über den Augen und einem zerbrochenen Stab in der Hand.
Mit der gegenseitigen diplomatischen Anerkennung wurde auch
der Kulturaustausch zwischen dem Vatikan und Israel vorangetrieben. Der
Vatikan lud 1994 die israelische Fotografin Varda Polak-Sahm ein, ihre Fotos
zum Thema "Vom Brot allein" auszustellen. Achinoam Nini, eine aus dem Jemen
stammende Popsängerin wurde mehrmals eingeladen, vor dem Papst das "Ave
Maria" auf Hebräisch zu singen.
Ein Höhepunkt der Beziehungen war die Pilgerreise des Papstes
nach Israel und Palästina. Der Papst entzündete das ewige Feuer in der Yad
Vaschem Holocaust-Gedenkstätte und besuchte die Oberrabbiner in ihrem
Amtssitz in Jerusalem. An der Klagemauer hinterlegte er einen historischen
Brief, in dem er die Verantwortung der Kirche für die an den Juden
begangenen Sünden übernahm. Ausdrücklich erwähnte er die spanische
Inquisition, eines der großen Traumata des jüdischen Volkes zwischen der
zweifachen Zerstörung des Jerusalemer Tempels und dem Holocaust. 1492 wurden
alle Juden Spaniens vor die Alternative gestellt, zum Christentum zu
konvertieren oder zu fliehen. Seitdem leben die "sephardischen" (spanischen)
Juden über alle Welt verstreut.
Papst Johannes Paul II konnte gewiss nicht alle Wunden der
letzten 2000 Jahren heilen, aber er hat unter dem Eindruck des von ihm
erlebten Holocaust in Polen gewaltige Schritte in Richtung Judentum und zu
den Ursprüngen des Christentums des ersten Papstes Petrus getan.
hagalil.com 03-04-2005 |