Diskussion über die Spielarten des Antisemitismus:
"Was habe ich mit den Juden zu tun?"
Von Karl Pfeifer
Seit einigen Wochen wird im "spectrum", Wochenendbeilage
der Wiener Presse, eine Diskussion über die Spielarten des Antisemitismus
geführt. Ausgelöst hat die Debatte der Schriftsteller Robert Menasse, der
mit Recht aufzeigte, dass Antisemitismus in Österreich nicht strafbar ist,
wenn man aber jemand beschuldigt, er/sie sei Antisemit, man eine saftige
Strafe erhalten könne.
Menasse wies auch darauf hin, dass man in Österreich den
Antisemitismus häufig auf den Nationalsozialismus reduziert, obwohl doch
lange vor Aufkommen dieser "Bewegung" und bis heute Antisemitismus nicht aus
Medien und Politik des Alpenlandes verschwunden ist.
Nun hat Thomas Rothschild ebenfalls einen Beitrag dazu im
"sprectrum" publiziert. Zu seiner Person: "In Glasgow 1942 geboren.
Aufgewachsen in Wien. Dr. phil. Lehrt Literaturwissenschaft an der
Universität Stuttgart. Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik.
Bücher: zuletzt, im Promedia Verlag Wien, der Essayband "Das große Übel der
Bourgeoisie".
Rothschilds Artikel ist unter dem Titel "Die armen Ariseure"
erschienen und sein folgendes Pauschalurteil, das durch keine repräsentative
Meinungsforschung gestützt ist, wird Widerspruch erregen: "Dass die Juden
eigentlich nicht einen christlichen Staat gehören, ist der weit verbreitete
Konsens in Österreichs Bevölkerung. Da hat sich seit Arthur Schnitzlers
"Professor Bernhardi" nichts geändert. Juden werden aus dem öffentlichen
Leben ferngehalten. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel."
Zunächst einmal hat mich diese Stellungnahme zum Thema Juden
und Antisemitismus überrascht. Ich erinnere mich, dass ich während der
achtziger Jahre einmal Thomas Rothschild und Franz Schuh in der Tram Nr. 37
getroffen habe. Auf seine Frage was ich tue, antwortete ich, Redakteur des
offiziellen Organs der jüdischen Gemeinde zu sein und sagte ihm, dass ich
ihm gerne ein Exemplar der von mir redigierten Zeitschrift zuschicken würde.
Rothschilds Antwort war verblüffend: "Was habe ich mit den Juden zu tun?"
Ich habe kein Problem mit einer radikalen Kritik Österreichs,
wenn diese auf Tatsachen gründet. Bei Rothschild aber – das spürt man aus
seinem Artikel – schwingt eine persönliche Beleidigtheit mit, die ihn nicht
nur zu Pauschalurteilen, sondern auch zur Denunziation verleitet: "Wieso
aber ist die Erforschung jüdischer Kultur, des Schicksals jüdischer
Exilanten ohne Juden möglich?" Was geht in den Köpfen derer vor, die daran
keinen Anstoß nehmen, die sich Pfründen sichern, indem sie die verjagten
Juden ein weiteres Mal ausbeuten und den lebenden Juden jene Chancen
vorenthalten, die sie selbst in Anspruch nehmen? Ihr Verhältnis zum
Antisemitismus ist opportunistisch und zynisch. Es ist ihnen nie um mehr
Gerechtigkeit für Juden gegangen, sondern stets nur um Stellen."
Hier scheint Rothschild etwas auf andere zu projizieren, was
vielleicht ihn bewegt. Im 21. Jahrhundert kann bei der Berufung auf eine
wissenschaftliche Stelle die Zugehörigkeit zu einer Religion oder ethnischen
Gruppe in Österreich kein Kriterium sein. Aber das ist nicht alles, alle
diejenigen, die sich mit jüdischer Kultur in Österreich beschäftigen als
schäbige Opportunisten anzuschwärzen ist einfach ungeheuerlich. Ich werde
hier nur ein Beispiel für viele nennen, Univ.Prof. Dr. Kurt Schubert, der
bereits während der Naziherrschaft angefangen hat Hebräisch zu lernen und
dessen Lebenswerk für sich spricht.
Doch damit begnügt sich Thomas Rothschild nicht und setzt
noch ein Pauschalurteil: "Und wie das profitable Interesse für tote Juden
mit der Diskriminierung lebender Juden vorzüglich vereinbar ist, so sind
auch Antisemitismus und Sympathien für Israel nicht nur kein Widerspruch,
sondern zwei Seiten einer Medaille."
Wenn also jeder Nichtjude, der sich mit jüdischer Kultur und
Geschichte beschäftigt, dies nur aus pekuniären Interesse tut, dann müssen
ja Sympathien für Israel auch unbedingt ein Zeichen für Antisemitismus sein.
Es ist bedauerlich, wenn ein Akademiker zu so wenig Differenzierung wie
Thomas Rothschild fähig ist. Meine Erfahrung ist, dass die meisten
derjenigen Nichtjuden, die Sympathie für Israel hegen, auch Empathie für die
hier lebenden Juden zeigen und sie keineswegs aus der Gesellschaft
ausgrenzen. Im Gegenteil. Immerhin ist Israel, der Staat, der den
Überlebenden des Völkermords eine Heimat bot.
Rothschild geht noch darüber hinaus und denunziert aus
Stuttgart: "Auch die paar Juden, die in Österreich leben, haben kein
Interesse daran, solche Fragen zu stellen. Nur keine schlafenden Hunde
wecken. Vielleicht wird man ja verschont, wenn man dem Wirtsvolk (?) ein
gutes Zeugnis ausstellt."
Auch hier projiziert anscheinend Rotschild seine eigene
Mentalität verallgemeinernd auf die österreichischen Juden. Ich verwehre
mich als jüdischer Österreicher/österreichischer Jude gegen diese
Beschuldigung. Nicht nur ich habe mich – lange Jahre bevor sich Thomas
Rothschild dafür interessiert hat – mit diesen Themen öffentlich
beschäftigt. Viele Österreicher – darunter auch Antisemiten – beklagen sich,
dass Österreich immer wieder als antisemitisches Land hingestellt wird,
obwohl die seriösen Medien das nicht tun, sondern differenziert und sachlich
berichten. Thomas Rothschild hingegen, hat diesen Klagen neue Nahrung
gegeben. Für eine sachliche und faire Debatte zu diesem Problem der
österreichischen Gesellschaft ist sein Beitrag eher kontraproduktiv.
Am 11. April 2009 bat Thomas Rothschild darum,
folgende Text als Reaktion zu veröffentlichen:
Seit nunmehr vier Jahren steht Karl Pfeifers Verleumdung
im Netz. Da ich weiß, wer Karl Pfeifer ist, und mich bisher damit
getröstet habe, dass - jedenfalls in Wien - jeder weiß, wie man ihn
einschätzen muss, habe ich bislang nicht darauf reagiert. Dass ich
nichts mit den Juden zu tun hätte, ist bei meinem Namen, meiner Nase und
meinen Veröffentlichungen so offensichtlich unsinnig, dass ich auf das
kritische Vermögen der Leser vertraut habe. Was ich tatsächlich zu
Pfeifer gesagt habe, als er mich wieder einmal nervte, ist dies: "Was
habe ich mit der Kultusgemeinde zu tun?" Dazu stehe ich bis heute. Weder
bin ich an einem Kultus, welchen Zuschnitts auch immer, interessiert,
noch möchte ich mit einem Verein zu tun haben, für den Leute wie Karl
Pfeifer in der Öffentlichkeit auftreten. Aber Pfeifers verleumderische
"Verwechslung" ist wahrscheinlich kein Versehen, sondern typisch für die
Kultusgemeinde und ein weiterer Grund, mit ihr nichts zu tun haben zu
wollen: dass sie mit einer ungeheuren Anmaßung vorgibt, "die Juden", und
zwar die gläubigen wie die Agnostiker, zu repräsentieren. |
hagalil.com 10-04-2005 |