Kidrontal:
Weltkulturerbe auf der Schutthalde
Von Ulrich W. Sahm
Archäologen lieben Müllhalden. Je älter desto besser. Denn
da, wo Menschen ihren Abfall wegwarfen, finden sich zwischen Scherben auch
Kämme, Münzen und gebrauchtes Werkzeug. Doch die Müllhalde im Kidrontal
lässt das Herz des Archäologen Gabriel Barkay von der Bar Ilan Universität
keineswegs höher schlagen. "Die Palästinenser betreiben eine kulturelle
Intifada. So wie sie den Holocaust negieren und das Existenzrecht des
jüdischen Volkes in Frage stellen, tilgen sie jede Spur jüdischer Präsenz,
wo sie nur können", sagt der Wissenschaftler mit "Wut im Bauch".
Sonst mische er sich "nie" in die Politik ein. Das Vorgehen
der muslimischen Behörde auf dem Jerusalemer Tempelberg im November 1999
verletzte jedoch jegliches "kultivierte" Verhalten. Nachdem Präsident
Clinton vorgeschlagen hatte, den Moslems die Souveränität der
"überirdischen" Bauwerke zu überlassen und den Juden alles "Unterirdische",
hätten die Moslems die "Ställe Salomons" in der Südostecke des Tempelberges
zur "größten unterirdischen Moschee der Welt" ausgebaut. Ohne sich mit der
Antikenbehörde zu beraten erteilte Ministerpräsident Ehud Barak die
Genehmigung, einen "Notausgang" einzurichten, da die "Ställe" nur über eine
steile Treppe erreichbar waren, wo die "Krippe Jesu" stand.
Mit Baggern wurden in einer Nacht und Nebelaktion rund 300
Lastwagen mit historischem Schutt beladen. "Auch wenn die Südostecke des
Tempelbergs von den Römern zerstört und seitdem von Moslems, Kreuzfahrern
und Osmanen aufgefüllt wurde, so ist für Archäologen entscheidend, in
welchem historischen Kontext etwas gefunden wird", sagt Barkay. "Mir wäre es
lieber gewesen, der historische Schutt wäre bis zur Ankunft des Messias oder
für eine archäologische Ausgrabung an besseren Tagen am Ort liegen
geblieben." Ohne Baugenehmigung und fachgerechte Überwachung hätten die
Moslems anstelle eines "Notausgangs" einen "monumentalen Eingang" zu ihrer
neuen Moschee errichtet und dafür "rücksichtslos Bauten der Kreuzfahrer und
Osmanen" zerstört.
Mit Spendengeldern, einer Genehmigung der Bar Illan
Universität und Volontären begann Barkay fünf Jahre später einen Teil des
Tempelberg-Aushubs wieder auf Lastwagen zu laden und zu einem freien Gelände
nahe dem Palace Hotel zu karren. Der Schutt wurde gesiebt: große Steine und
Säulenreste, kleinere Steine wie Mosaiksteinchen mit Goldblatt, Erde mit
Miniaturfunden. Seit Wochen weichen 20 Volontäre die Erde auf und gießen sie
in feinmaschige Siebe. Mit einem Wasserstrahl wird alles ausgewaschen. "Das
ist moderner Asphalt", sagt abschätzig Barkay, als wir ein rußgeschwärztes
Etwas herauspicken. Die Glasscherbe eines römischen Riechfläschchens mit
leuchtender Oxidierung identifiziert der erfahrene Archäologe als Rest einer
Cola-Flasche.
In einem braunen Holzkasten bewahrt Barkay "sensationelle"
Funde aus drei Jahrtausenden auf. Für ein Foto breitet er Pfeile aus. Neben
Pfeilspitzen der Kreuzfahrer und einem aus hellenistischer Zeit, liegt da
ein grün-oxidierter "Scito" der Babylonier unter König Nebukadnazer( 6.
Jahrhundert vor Chr.). "Diese Erfindung aus dem Gebiet des heutigen Irak war
teuflisch. Sie zerriss das Fleisch, wenn man versuchte, den Pfeil aus dem
Körper herauszuziehen", sagt Barkay. Ein israelischer Reporter fantasiert:
"Das waren also biblische Dum-Dum-Geschosse". Ein unscheinbarer Stein trägt
althebräische Buchstaben: "Aijn" und "He". Barkay weiß aus Erfahrung: "Die
Textur und die Schriftart sind einwandfrei aus der Zeit des Königs Salomon."
Eine winzige durchlöcherte Scherbe begeistert Barkay. "In der Zeit des
Königs Herodes und des Jesus wurden Pötte durchlöchert, um sie für profanen
Gebrauch außerhalb des Tempels ungültig zu machen." Heute werden so Pässe
und Kreditkarten ungültig gemacht. Ein winziger Ziegenkopf aus Ton hat zwei
Löcher zwischen den Ohren "für Hörner aus anderem Material". Barkay erwähnt
den biblischen Jesajas: "Die Propheten wetterten gegen solche Götzenbilder."
Auch die gefundenen Münzen liefern den Beweis für das, was
die muslimischen Behörden vertuschen wollten. Die erste gefundene Münze aus
der Zeit der jüdischen Revolte gegen die Römer trägt die Aufschrift
"Freiheit für Zion". Aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert stammt eine
Hasmonäer-Münze mit einem fünfzackigen Stern und der hebräischen Aufschrift
"Jerusalem". Eine andere Münze ist "Jochanan, dem Hohepriester und der
jüdischen Gemeinde" gewidmet. "Das sind keine seltenen Münzen. Wir kennen
sie von anderen Ausgrabungen", sagt Barkay und legt ein christliches Amulett
aus der Kreuzfahrerzeit, ein Kreuz der Freimaurer, die sich als die
"Nachfolger der Bauherren Salomos" betrachten, und sogar eine Goldmünze mit
dem Abbild von Napoleon III auf den Deckel seines Holzkastens. "Unter
Napoleon wurde Nicht-Moslems erlaubt, den Tempelberg zu besuchen", sagt
Barkay. Die Funde überraschten ihn nicht. "Die Gesamtsammlung ist eine
Sensation: Sie bestätigt den Tempel Salomos, des Herodes und unser übriges
Wissen über die Geschichte des Tempelberges."
Jerusalems Tempelberg war schon den Jebusitern heilig. Davids
Sohn Salomon errichtete dort den ersten Tempel. König Nebukadnazer zerstörte
ihn und trieb die Israeliten ins babylonische Exil. Später wieder errichtet
und von Herodes ausgebaut, lehrte Jesus im Tempel und warf die Tische der
Geldwechsler um. Von den Römern 70 n. Chr. zerstört, wurden dort ab dem 6.
Jahrhundert der Felsendom und die El Aksa Moschee über herodianischen Ruinen
errichtet. Heute verleugnen die muslimischen Behörden jegliche Existenz
eines biblischen Tempels, womit sie die Bibel und Jesus in Frage stellen.
Der Tempelberg, allen drei monotheistischen Religionen heilig, ist das
bedeutendste Areal des Weltkulturerbes der Menschheit. Die politisch
motivierte Zerstörung verursacht unwiderbringlichen Schaden auf dem Gelände,
wo noch nie wissenschaftliche archäologische Ausgrabungen genehmigt worden
sind.
hagalil.com 21-04-2005 |