Hitler und Konsorten:
Als Deutscher in Kairo
Ich kann nur für mich sprechen, aber auf meinen ersten
Reisen in andere Länder begleitete mich stets ein ungutes Gefühl. Eigentlich
hat sich das bis heute nicht geändert. Das Wissen, aus dem Land zu stammen,
dessen Großväter die Urheber der Shoah waren, verursacht bei mir eine
Mischung aus dem Bewußtsein von Angreifbarkeit und Beklommenheit.
Vom Reisen selbst lasse ich mich dadurch nicht abhalten. Gerade hatte ich
die Gelegenheit, dem Berliner Winter den Rücken zu kehren und den
angenehmeren Teil des Jahres um zwei Monate vorzuverlegen. Nach Kairo.
In einer Stadt wie Kairo kommt man nicht umhin, einen Großteil seiner Zeit
in Taxen zu verbringen. In Gesprächen mit den Fahrern bot sich ausreichend
Gelegenheit festzustellen, dass meine üblichen Reisebegleiterscheinungen
hier gänzlich fehl am Platze sind. Wir Deutsche haben einen guten Namen, und
das nicht nur der deutschen Autos wegen.
Es ist fast eine Art Gesetzmäßigkeit, dass die Unterhaltung recht schnell
auf ein bestimmtes Thema gesteuert wird. Mit den Niederungen der jüngeren
deutschen Geschichte ist man auch in einem Land mit dreißigprozentiger
Analphabetenquote bestens vertraut, Hitler und Konsorten haben vor den
Kaffeehäusern Kairos nicht Halt gemacht. Das hatte ich auch eigentlich nicht
erwartet, im Gegenteil. Ich wußte lange vor meiner Reise um das gespannte
Verhältnis zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, von den
antisemitischen Klischees in der hiesigen Presse, Literatur und den
Schulbüchern. Was mich erstaunte, war deshalb weniger das Grinsen im Gesicht
eines Mannes, der mir sein Wissen über das Dritte Reich kundtun wollte.
Nicht die weiterführenden fiesen Erläuterungen.
Es war vielmehr die erschreckende Häufigkeit dieses Erlebnisses. Ab einem
bestimmten Zeitpunkt wollte ich mich diesem Prozedere entziehen, das bei mir
zunächst zu Verwunderung, irgendwann zu Zorn und schließlich zu Ratlosigkeit
führte. Ich kann nicht sagen, dass ich bei der zwangsläufigen Frage "Enta
min i?" (Wo kommst du her?) immer souverän geantwortet habe. Mehrere Male
gab ich mich als Schweizer aus.
Oft ließ es sich dennoch nicht vermeiden. Viele der Situationen, die mir im
Verlauf meines Aufenthalts widerfahren sind, werden bleibenden Eindruck
hinterlassen und die Erinnerungen an die Zeit in Kairo prägen. Etwa das Bild
von dem stiernackigen Kerl mit dem dünnen Oberlippenbart und den lieben
Augen, der auf seine Schischa vor sich zeigt und unter keifendem Lachen
"This is a bomb!" prustet, um mir die Pseudo-Argumentation der
amerikanischen Nahostpolitik zu veranschaulichen und anschließend etwas von
den „jüdischen Drahtziehern“ zu faseln. Oder die sympathischen Studenten,
die mich über die gemeinsamen Ursprünge von Islam und Christentum aufklären
und beleidigt abwinken, als ich auf den religiösen Ursprung und die
theologische Nähe zum Judentum zu sprechen komme. Und der ältere Herr vor
dem Nilpferdkäfig im Zoo, der vor einer Schar von Kindern das Vieh hinter
dem Zaun mit dem israelischen Premier Scharon vergleicht, was sofort zu
brüllendem Gelächter führt und mir zeigt, daß in Ägypten derlei Anspielungen
bereits von den Kleinsten verstanden werden.
Ich weiß, daß ich vielen Menschen in Ägypten mit diesen Schilderungen
Unrecht tue. Natürlich gibt es sie, die Ägypter, zumeist Angehörige der
intellektuellen Oberschicht, die Verschwörungstheorien als das entlarven,
was sie sind: hanebüchener Unsinn. Sie decken die inkohärente
Argumentationsweise der weit verbreiteten Verschwörungstheorien auf und
legen ihren antisemitischen Kern frei. Sie werden nicht müde darauf
hinzuweisen, daß der so gesäte Haß von den wahren Problemen ablenkt und
Energien bündelt, die an anderer Stelle dringender benötigt würden. Aber sie
sind in der Unterzahl und finden nicht ausreichend Gehör. Im schlimmsten
Fall werden sie als Teil der Verschwörung abgestempelt. Mich hingegen
beeindruckt ihre Standhaftigkeit. Sie gibt Anlaß zur Hoffnung.
Und trotzdem. Es ist jetzt etwa zwei Uhr nachts, und ich komme nicht zur
Ruhe. Ich finde keinen Schlaf in Ermangelung einer Antwort. Ich grübele
darüber nach, wie mein persönliches Verhältnis zu den Menschen aussehen
soll, die mir hier als unbedingt liebenswürdig und wertvoll erscheinen und
dort ihren Nachbarn in Israel die Pest an den Hals wünschen. In Deutschland
mache ich es mir nicht so schwer. Den Kontakt zu Zeitgenossen, die
vergleichbares Gedankengut hegen, breche ich ab. In dem ein oder anderen
Fall sehe ich es ihnen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, der
Indoktrinierung ihrer Jugend und der nie wirklich begonnenen
Vergangenheitsbewältigung nach. Hier meide ich bestimmte Themen und sage mir
und meinem schlechten Gewissen, daß nach dem Krieg schließlich ein ganzes
Land wiederaufgebaut werden mußte. Und daß ich außerdem meinen Großvater
nicht einfach einen alten Mann sein lassen und ihn mit einer Mißachtung
strafen kann, deren Gründe er nie nachvollziehen könnte. Hier in Ägypten
greifen meine ansonsten bewährten Maßnahmen allerdings zu kurz. Die Mehrheit
der Bevölkerung Ägyptens und des Nahen Ostens kann ich nicht einfach
ignorieren, zumal mir diese Menschen ans Herz gewachsen sind.
Als der Schlaf endlich kommt, bin ich zu keinem Ergebnis gekommen. Und ich
ahne, daß ich auf diese Frage in absehbarer Zeit keine befriedigende Antwort
finden werde.
JPH
hagalil.com 11-04-2005 |