Skandalautomat:
Im Gespräch
Über die Funktion
des Interviews in der neurechten Wochenzeitung "Junge Freiheit"
Von Alfred Schobert
Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung,
22.04.2005 Interviews geben -
wer sich auf dem Markt der Meinungen und Positionen behaupten will, giert
danach: Politiker, Verbandsvertreter, Künstler, Literaten, Wissenschaftler
und wer sonst meint, etwas zu sagen zu haben. Häufig ist das kaum der Rede
wert, erst recht keine Nachricht. Eine spezielle Sorte Interviews freilich
ist seit vielen Jahren immer wieder einmal eine Nachricht wert. Wenn sich
ein Prominenter aus Politik oder Kultur auf die Interviewseite einer
rechtsradikalen Postille wie der Jungen Freiheit (JF)
verirrt oder dieses Podium gezielt gesucht hat, reagiert der Medienbetrieb
bei nachrichtenarmer Lage gierig. Selten mit kompetenter Kritik, häufig nur
mit Geschnatter.
Im Fall Hochhuth ging es wenigstens noch um
den Gehalt des Interviews statt nur um die Tatsache, dass er es gewährt hat.
Sein Lob auf David Irving, dessen zentrale Rolle in der internationalen
Szene der Auschwitz-Leugner sich noch nicht bis zu dessen Freund, Hochhuth
als dem "geschichtsmächtigsten" Autor seiner Generation (Martin Walser),
herumgesprochen hatte, verdient wahrlich heftige Kritik. Viele Publizisten
beschränkten ihre Lektüre indes kurzatmig auf ausgewählte
Interview-Fragmente. Man könnte dies nachhaltigen Umgang mit Ressourcen
nennen. Denn so war es Ralph Giordano möglich, Ende März eine neue Runde zu
eröffnen. Das mit einigem Pathos vorgebrachte Geständnis, vor seiner
massiven Kritik an Hochhuth dessen Interview gar nicht komplett gelesen zu
haben, gab ihm nun Gelegenheit, Hochhuth als Vertreter der
"Kollektivschuld"-These zu feiern.
Der allerdings stieg derweil ganz tief in den
Untergrund antisemitischen Ressentiments und brachte seine Schürfung in der
Schweizer Weltwoche ans Tageslicht. "Gäbe es in Deutschland nicht
Paul Spiegel - gäbe es dort auch keine Antisemiten!", legte er dem
französischen Politologen Alfred Grosser in der Mund. So knetete sich
Hochhuth einen prominenten jüdischen Emigranten als Zeugen dafür, dass am
Antisemitismus "die Juden" selbst schuld seien. Grosser bestreitet, Hochhuth
dieses angebliche "Trostwort" übermittelt zu haben.
Die vom Medienbetrieb geförderte und
honorierte Mischung aus Eil- oder Nichtlektüre, Schnellschreiberei und nicht
zuletzt Kumpanei hatte es Hochhuth zuvor leicht gemacht, sich mit
fadenscheinigen Argumenten zu verteidigen. So ließ man ihm unwidersprochen
durchgehen, er habe die JF vor diesem Interview nicht gekannt. Wenn
im heiß laufenden Betrieb schon kaum Zeit ist, den eine Zeitungsseite
umfassenden Diskussionsgegenstand komplett zu lesen, ist wohl erst recht
kaum Gelegenheit, auch nur Kleinigkeiten zu recherchieren. So wies (fast)
niemand darauf hin, dass Hochhuth bereits im Oktober 2000 mit einem
Interview in der JF präsent war. Der Gewinner bei diesen
Blitzgefechten im Feuilleton ist jedes Mal die JF, die nach
Medienresonanz lechzt und mit ihren Interviews einen Mechanismus gefunden
hat, Resonanz zu erzeugen.
In einigen Fällen wäre Schweigen tatsächlich
die angemessene Reaktion. Wenn ein abgehalfterter Sozialdemokrat und
Ex-Minister wie Professor Friedhelm Farthmann mit seinen Thesen gegen
Rot-Grün gerade mal noch im Wochenblatt der in die Jahre gekommenen
Jungrechten mit Latinum ein Podium findet, sollte dieser Kanalarbeiter-Mief
aus Gründen der Luftreinhaltung auch nicht weiter verbreitet werden. Egon
Bahrs Interview-Äußerungen mögen Nostalgikern der Ära Brandt noch etwas
bedeuten, sonst aber kaum jemand interessieren, um von den Bekenntnissen des
späten Peter Glotz in der JF erst gar nicht zu reden. Die bekannten
Positionen des Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD)
fanden per Interview im Wochenblatt des völkischen Nationalismus gleichfalls
ihre Heimstätte, wenn auch leider nicht ihr Endlager. Buschkowsky hat sich
mittlerweile mit einer persönlichen Erklärung entschuldigt. Merkwürdig
bleibt, dass er ebenfalls die Zeitung zuvor nicht gekannt haben will, obwohl
doch vor seinem Interview die JF-Auftritte seiner prominenten
Parteifreunde gerade in der Hauptstadt-Presse Thema gewesen waren. Schon
peinlich, dass die SPD in einer kürzlich präsentierten Broschüre zum Kampf
gegen Rechtsextremismus gerade auch den eigenen Mitgliedern empfehlen muss,
rechtsradikalen Blättern keine Interviews zu geben.
Um mehr als nur Resonanz in der
Öffentlichkeit geht es der JF in anderen Interviews. In mehreren
Gesprächen mit CDU-Politikern holte sich das Blatt politische Rückendeckung.
Während die Verfassungsschutzämter von Nordrhein-Westfalen und
Baden-Württemberg vor der JF als Teil der "Neuen" Rechten
beziehungsweise der extremen Rechten warnen, fraternisiert Jörg Schönbohm im
Kampf gegen den "Kampf gegen Rechts" mit dem Chefredakteur des Blattes. Warb
die JF früher mit einem Foto vom gemeinsamen Auftritt ihres Chefs
Dieter Stein mit Horst Mahler bei der Frankfurter Buchmesse 1998 (das heißt:
nach Mahlers antisemitischem coming out), saßen sich im November
2000 Stein und der brandenburgische Innenminister zu Interview und
Foto-Shooting einträchtig gegenüber und entlarvten den Kampf gegen Rechts
als strategisches Manöver gegen die Unionsparteien. Kaum unterscheidbar von
der geschichtspolitischen Linie der JF meinte Schönbohm, "wir
sollten ... endlich lernen, wieder unbefangen stolz auf unser Land sein zu
können". Besser als der für Verfassung und Verfassungsschutz zuständige
Minister kann man nicht praktisch bestätigen, was der
Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg für das Jahr 2000
feststellte: "Die Redaktion der JF ist ... bemüht, extremistisches
Gedankengut als national-konservatives zu verschleiern und bedient sich
hierzu immer wieder der Bereitschaft von Politikern und sonstigen Personen
zu Interviews."
Schönbohm blieb nicht der einzige
Unionspolitiker, der im Kampf gegen den Kampf gegen Rechts gemeinsame Sache
mit der JF machte. Und da blieb es nicht bei Interviews, da geht es
um mehr als Fehlgriffe, die gelegentlich das Feuilleton erhitzen, um mehr
auch als missverständliche Formulierungen und nur sporadische, punktuelle
Übereinstimmungen. Als der CSU-Abgeordnete Wolfgang Götzer im Februar 2003
zum Interview in der JF antrat, bezog er sich nicht nur positiv auf
Schönbohms Interview, sondern verlängerte dessen Linie. Götzer bedauerte
ausdrücklich, dass der Kampf gegen Rechts nicht "am Ende" sei. Doch die
Fragestunde im Bundestag, bei der Unionsabgeordnete die Förderung
zivilgesellschaftlicher Initiativen skandalisierten, sei "ein Anfang". Die
Fortsetzung reichte die CDU/CSU-Fraktion im Dezember 2004 in Gestalt einer
Großen Anfrage ein. Deren Blaupause, Kolportagen über vermeintlichen
Linksextremismus vieler vom Bündnis für Demokratie und Toleranz geförderter
Initiativen, war zuvor als Artikel in der JF erschienen. Das zu
erkennen, erfordert aber Zeit, die weite Teile des Medienbetriebs sich nicht
nehmen wollen.
Der Autor ist
Mitarbeiter beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)
und Mitautor von Martin Dietzsch u.a.: Nation statt Demokratie.
Sein und Design der "Jungen Freiheit", Unrast, Münster,
2004.
"Nation statt Demokratie":
Wenn
die 'Junge Freiheit' das Gespräch sucht...
Nach mehrjährigem Probebetrieb in Freiburg
zunächst in Potsdam, dann in Berlin installiert, liefert die "Junge
Freiheit" wöchentlich Recycling-Produkte aus der sogenannten "Konservativen
Revolution" der 20er und 30er Jahre...
hagalil.com 27-04-2005 |