EU-Nachbarschaftspolitik:
Das operative Programm macht sich auf den Weg
Von Sami Ravel, Haaretz
Der Beginn der Umsetzungsphase des "operativen Programms"
mit Israel im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik ist am 14. April
2005, wenn in Jerusalem der bilaterale Kommunikationskomitee zusammentritt.
Damit wird der hoch entwickelten Infrastruktur der Beziehungen mit der EU-
die das im Jahre 2000 in Kraft getretene Handelsabkommen, die Teilnahme
Israels am europäischen Forschungs- und Entwicklungsprogramm sowie am
europäischen Satellitenprojekt "Galileo" umfasst- eine weitere Ebene
erhalten.
Dabei wird sich auf die Essen-Erklärung der EU gestützt, die
im Jahre 1994 festsetzte, "dass Israel aufgrund seines hohen Niveaus der
wirtschaftlichen Entwicklung einen Sonderstatus in den Beziehungen mit der
EU erhalten muss."
Im Zeitalter der Globalisierung ist die Festigung der
israelischen Zusammenarbeit mit der EU ein grundlegendes Bedürfnis auf
vielen und vielseitigen Bereichen- angefangen von der Terrorbekämpfung, über
den Kampf gegen Kriminalität und Geldwäsche, bis hin zur Steigerung der
industriellen Konkurrenz. Um dies praktisch voranzutreiben, werden schon in
den kommenden Monaten professionelle Teams beider Seiten ihre Arbeit
aufnehmen und die Prioritätenliste im Rahmen des "operativen Programms"
aufstellen- auf dem politischen Bereich, wie auch zu Themen wie Handel und
Industrie, finanziellen Fragen, Dienstleistungen, Landwirtschaft,
Umweltschutz, Erziehung und Kultur, Wissenschaft, Justiz u.m.
Darüber hinaus beinhaltet die europäische
Nachbarschaftspolitik auch die Vision eines stufenweisen Beitritts zu einem
einheitlichen europäischen Markt, der die Bewegungsfreiheit von Personen,
Waren, Dienstleistungen und Kapitel innerhalb der EU gewährleistet.
Gleichzeitig muss betont werden, dass ein solcher Beitritt nicht über Nacht
geschehen kann, denn er hängt von der Überprüfung und der Annahme Tausender
Seiten europäischer Gesetze ab. (...)
Über den Aspekt der bilateralen Beziehungen hinaus sollte
auch noch in Betracht gezogen werden, dass die neue Nachbarschaftspolitik
vor dem Hintergrund der Erweiterung der EU von 15 auf 25 Staaten entstanden
ist, die im Mai 2004 abgeschlossen wurde. Diese Erweiterung machte die EU zu
einem riesigen Block, dessen Bevölkerung über 475 Millionen Personen zählt,
und sie erweiterte in großem Maße auch die geographischen Grenzen. Darüber
hinaus werden sich in den nächsten Jahren weitere Staaten der EU
anschließen, darunter Rumänien, Bulgarien und Kroatien, und auch die
Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei stehen auf dem Programm, ein
Schritt mit weitgehenden Auswirkungen auf die Färbung und Stabilität der
gesamten Region.
Im Hinblick auf diese historischen Entwicklungen ist die EU
daran interessiert, ihre Beziehungen zu den neuen Nachbarn zu festigen, im
Osten Europas, im Kaukasus und im Mittelmeerraum. Vor allem betonen die
Führer der EU ganz offen, dass die Vorantreibung der Demokratie, der
Menschenrechte und des Rechtsstaats in ihren Nachbarländern das Rückgrat
ihrer Politik ist, neben dem Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus. Die
dramatischen politischen Entwicklungen der letzten Zeit in einer Reihe der
Zielstaaten der Nachbarschaftspolitik, darunter der demokratische Durchbruch
in der Ukraine und in Georgien, und die ersten Anzeichen einer Veränderung
in den arabischen Staaten, geben der Vorantreibung der neuen Politik
Rückenwind.
Die Absicht der EU ist es also, die Weltanschauung zu
"exportieren", die dem europäischen Integrationsprozess zugrunde lag, dem
zufolge wirtschaftliche Interessen ein Hebel für die Erreichung
langfristiger Stabilität in Regionen sein kann, in welchen jahrelang blutige
Kriege stattfanden. In unserer Region begann die EU diese Strategie mit dem
Barcelona-Prozess, der dieses Jahr sein 10-jähriges Bestehen begeht, und der
mit beschränktem Erfolg versuchte, Sicherheit, Stabilität,
Wirtschaftswachstum und kulturelle Toleranz im Mittelmeerraum
voranzutreiben. Jetzt, mit der neuen Nachbarschaftspolitik, will die EU die
Probleme bewältigen, die den Barcelona-Prozess erschwert haben, indem vor
allem politische und wirtschaftliche Reformen gefördert werden, die in den
arabischen Staaten erforderlich sind.
Der große Vorteil der neuen Nachbarschaftspolitik der EU
liegt aus israelischer Sicht also in der bedeutenden Höherstufung der
bilateralen Beziehungen mit der EU, wie auch in der Hoffnung auf eine
Erweiterung des Kreises der Demokratisierung und Stabilität über die Grenzen
der EU hinaus, unter anderem auch auf den Nahen Osten.
Der Verfasser ist Leiter der Abteilung für europäische
Organisationen im Außenministerium.
Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv
hagalil.com 07-04-2005 |