antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Versöhnung:
Mit Lebensgeschichten Feindschaften abbauen

Der israelische Psychologe Dan Bar-On sammelt Erfahrungen mit psychosozialen Aussöhnungsprozessen.

Von Willi Herzig
Basler Zeitung, 13.04.2005

Ohne Prozess der Versöhnung kann ein Konflikt nicht dauerhaft gelöst werden. Diese Einsicht leitet die Arbeit des israelischen Psychologen Dan Bar-On, der sich mit Aussöhnung in Theorie und Praxis befasst.

"Den Abgrund überbrücken", heißt ein von Dan Bar-On verfasstes Buch. Der Titel umschreibt die Zielsetzung des 67-jährigen Psychologen. Und der Untertitel präzisiert die Methode: "Mit persönlichen Geschichten politischen Feindschaften begegnen". Der Israeli, Psychologieprofessor an der Universität Beersheva, hat einen psychosozialen Prozess zum Abbau von Feindschaften entwickelt. Er nennt ihn TRT; das Kürzel steht für "to reflect and trust" - nachdenken und vertrauen. Die baz hat Bar-On in Genf an einer Tagung des Schweizerischen Roten Kreuzes getroffen, wo er zum Thema Konflikte und Versöhnungsprozesse sein Konzept vorstellte.

Der TRT-Prozess beruht auf dem Dialog zwischen Menschen verfeindeter Gesellschaften, die mit ihrer gemeinsamen, aber gegensätzlich erlebten Vergangenheit konfrontiert werden. "Der Dialog ist ein schmerzhafter Lernprozess", sagt Bar-On: "Die Menschen erzählen ihre Lebensgeschichte in einer Umgebung, die Sicherheit bietet, und hören die Geschichte der Gegenseite. Das kann eine Heilung einleiten."

Nazi-Opfer und -Täter. Bar-On hat den TRT-Prozess im Umgang mit einer Vergangenheit entwickelt, die Teil seiner eigenen Biografie ist: Seine Eltern, deutsche Juden, wanderten 1933 nach Palästina aus, weil der Vater als Arzt in Hamburg nicht mehr frei praktizieren konnte, und Dan Bar-On kam 1938 in Haifa zur Welt. Nach seiner Ausbildung arbeitete er in einer therapeutischen Praxis in Israel mit traumatisierten Holocaust-Überlebenden. 1985 reiste er zum ersten Mal nach Deutschland und führte 90 Interviews mit erwachsenen Kindern von Nazi-Tätern.

1992 wagte Bar-On eine Premiere: Er organisierte in Wuppertal eine mehrtägige Begegnung von 18 Opfer- und Täterkindern. "Die Konfrontation mit den einzelnen Lebensgeschichten löste heftige Emotionen aus", erinnert er sich. "Aber das Offenlegen von Verschwiegenem, Verdrängtem wirkte befreiend." Aus dem gegenseitigen Zuhören, dem Ausdrücken und Aushalten erlittener Schmerzen sei Verständnis gewachsen. Unter der Bezeichnung TRT traf sich die Gruppe danach jedes Jahr, bis sie beschloss, ihre Erfahrungen mit der Aufarbeitung von Traumata an Dritte zu vermitteln, die in aktuelle Konflikte verstrickt sind: 1998 traf sich die Gruppe in Hamburg mit Katholiken und Protestanten aus Nordirland, Schwarzen und Weißen aus Südafrika, Israelis und Palästinensern.

Den Frieden sichern. Dan Bar-On betrachtet den TRT-Prozess als ein Modell für die Arbeit an der langfristigen Überwindung von ethnischen, nationalen, religiösen Konflikten: "Ein von Politikern beschlossenes Friedensabkommen bleibt brüchig, wenn es von den Menschen im Konfliktgebiet nicht mitgetragen wird." Notwendig sei ein Prozess zur Aussöhnung, in dem die gegensätzlich erlebte Vergangenheit im Dialog aufgearbeitet werden könne.

Auf diesem Feld sammelt der Psychologe praktische Erfahrungen. Den Anstoß dazu gab das erwähnte Hamburger Treffen, wo der Israeli einen Palästinenser kennen lernte: Aus der Begegnung mit Sami Adwan, einem Professor für Pädagogik an der Universität Bethlehem, entstand in Jerusalem das private Forschungsinstitut "Prime" (Peace Research Institute in the Middle East), das sich der israelisch-palästinensischen Verständigung und Versöhnung verschrieben hat. Finanzielle Unterstützung erhält "Prime" von einer amerikanischen Stiftung, die dem US-Außenministerium nahe steht.

Ein "Prime"-Projekt ist dem emotional explosiven Problem der Palästinaflüchtlinge gewidmet. In Haifa, wo noch eine kleine arabische Minderheit lebt, wurden zwischen 2002 und 2004 je 150 Interviews mit israelischen Juden und Palästinensern aufgenommen. Sie erzählen ihre Lebensgeschichte, die vom Schlüsseljahr 1948 geprägt worden ist: Im Zuge der israelischen Staatsgründung und im ersten arabisch-israelischen Krieg wurden auch in Haifa die meisten Palästinenser zu Flüchtlingen und Vertriebenen, in deren Häuser Holocaust-Überlebende einzogen. "Nach den Interviews haben wir begonnen, Begegnungen zu organisieren", erzählt Bar-On: Unter der Obhut von Mediatoren lernen sich Juden und Palästinenser aus drei verschiedenen Generationen kennen. Sie breiten gegenseitig ihre Biografien aus und besuchen einander in ihren Wohnvierteln. "So erfahren sie, dass es neben dem, was sie für die einzig wahre Geschichte halten, eine andere Geschichte gibt, die größtenteils widersprüchlich und deshalb schwer auszuhalten ist." Der Austausch soll in den kommenden Jahren ausgeweitet werden und dazu beitragen, dass unter jüdischen Israelis und Palästinensern "eine differenziertere, von gegenseitigem Verstehen geprägte Debatte über die Flüchtlingsfrage in Gang kommt, ohne die eine beidseits akzeptable Regelung unvorstellbar ist", wie Bar-On sagt.

Neue Schulbücher. Aussöhnende Wirkung soll von einem weiteren "Prime"-Projekt ausgehen: Im Rahmen eines Sechsjahresprogramms (2002- 2007) erarbeiten palästinensische und jüdisch-israelische Historiker gemeinsam Broschüren für den Schulunterricht, in denen die Nahost-Geschichte des 20. Jahrhunderts in zwei Versionen aufgerollt wird. Damit sollen 15- und 16-jährige Schüler die jeweils andere Schilderung der Vergangenheit kennen lernen: Jüdische Israelis werden vertraut gemacht mit der palästinensischen Erinnerung, in deren Zentrum die "Katastrophe" von 1948 steht; palästinensische Schüler erfahren vom Holocaust und dem Beweggrund für die Gründung Israels, der Schaffung einer Heimstatt für verfolgte Juden. Ziel ist die Ausbildung aller Oberstufenlehrer auf der Grundlage dieser doppelten Geschichtsschreibung.

Langer Atem. Aufgrund seiner Erfahrungen formuliert Bar-On mehrere Grundsätze für Versöhnungsarbeit:

- Jeder Konflikt hat seine eigene "Biografie": Aussöhnungsprozesse müssen den örtlichen kulturellen, religiösen und historischen Bedingungen angepasst werden. Bar-On: "Die in Südafrika mit Erfolg eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission lässt sich nicht eins zu eins auf andere Konflikte übertragen." Der Begriff der Versöhnung ist im christlichen Glauben verwurzelt; in anderen Religionen gibt es indes ähnliche Konzepte und Traditionen (zum Beispiel die "Sulha" bei den Muslimen).

- Grundlage jeder Versöhnungsarbeit ist die Enttabuisierung und Aufarbeitung der Vergangenheit sowie der Aufbau von Vertrauen im Dialog.

- Werden politische Konfliktlösungen von dritter Seite erzwungen, zum Beispiel im Namen der internationalen Gemeinschaft, so fehlen in der Regel selbst Ansätze zu einem Versöhnungsprozess, und der Frieden bleibt zerbrechlich. Als Beispiele nennt Bar-On die Situation in Bosnien und im Kosovo. Auch der Libanon liesse sich anfügen, wo die Zeit des 15-jährigen Bürgerkriegs ebenfalls nie aufgearbeitet worden ist.

- Gesellschaftliche Aussöhnung benötigt viel Zeit, und dem entsprechend auch eine dauerhafte Lösung langjähriger Konflikte. "Das ist keine Frage von Monaten, sondern von 10, 20 oder 30 Jahren. Die Öffentlichkeit hat, zum Teil von den Medien geschürt, irreale Erwartungen", bedauert Bar-On. Gerade der Verlauf des Jahrhundertkonflikts im Nahen Osten zeige, dass es auf absehbare Zeit nicht um Krieg oder Frieden gehe, sondern eher um Phasen unterschiedlich starker Gewalt. "Aber das Denken in langen Fristen darf uns nicht davon abhalten, permanent an Versöhnung zu arbeiten."

Weitere Informationen:
www.vispo.com/PRIME

© Basler Zeitung; 13.04.2005

hagalil.com 19-04-2005

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved