Bayerisches Staatsministerium des Innern
Pressestelle, Pressemeldung zum Verfassungsschutz / PM 112/05 vom 11.03.05
Beckstein im Bundestag: "Gemeinsam erreichte Lösung zu
begrüßen, wenngleich nicht alle Forderungen berücksichtigt – Beendigung der
rechtsextremistischen Heß-Veranstaltungen in Wunsiedel seit langem
wesentliches bayerisches Anliegen" Zwar spät aber
immerhin in die richtige Richtung:
Änderung des Versammlungsrechts
"Dass sich die Regierungskoalition nach langem Hin und Her
doch noch auf ihre Verantwortung im Kampf gegen den Rechtsextremismus
besonnen hat, ist zu begrüßen. So konnte gemeinsam eine Lösung erreicht
werden, die den Umgang mit rechtsextremistischen Versammlungen zumindest
erleichtert, auch wenn leider nicht alle unsere Forderungen Berücksichtigung
fanden", betonte Bayerns Innenminister Dr. Günther Beckstein im Deutschen
Bundestag am 11. März 2005 anlässlich der Behandlung der Änderung des
Versammlungsrechts. Insbesondere
begrüßt Beckstein die im Versammlungsgesetz geschaffene Verbotsmöglichkeit
für Versammlungen an Orten, die als Gedenkstätten von historisch
herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen
Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
erinnern. Als erfreulich bezeichnet der Minister, dass es nunmehr den
Ländern überlassen wird, durch Gesetz derartige Gedenkstätten zu bestimmen.
Beckstein: "Besonders wichtig ist es für mich als Bayerischen Innenminister,
dass der Entwurf nunmehr eine Regelung für die unsäglichen Aufmärsche der
rechten Szene zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Heß in Wunsiedel
vorsieht. Dieses alljährliche unwürdige Spektakel zu beenden, ist mir seit
langem ein wesentliches Anliegen." Beckstein hätte zwar den
"Wunsiedel"-Vorschlag des Bundesinnenministers und der
Bundesjustizministerin insofern bevorzugt, als er in einem neuen § 130
Absatz 4 des Strafgesetzbuches (StGB) auch die Verharmlosung der
nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellte,
und zudem einen neuen, damit korrespondierenden Verbotsgrund im
Versammlungsgesetz vorsah.
Nachdem der Begriff der Verharmlosung bereits im geltenden § 130 StGB
enthalten ist, sei nicht nachvollziehbar, warum er nicht auch im erweiterten
§ 130 StGB aufgenommen wurde. "Die letztlich gefundene Lösung stellt jedoch
einen akzeptablen Kompromiss dar", so Beckstein.
Beckstein bezeichnete den Gesetzentwurf alles in allem als Schritt in die
richtige Richtung. Er kritisierte allerdings, dass die Regelungen für diese
inhaltlich unerträglichen, provokativen rechtsextremistischen Versammlungen
erst so spät kommen. Die Gesetzesänderungen hätten schon lange - ohne Hektik
und zeitlichen Druck - vorgenommen werden können. "Denn es ist schon seit
Jahren offenkundig, dass das geltende Recht nicht ausreicht, um
rechtsextremistische Umtriebe bei Versammlungen in den Griff zu bekommen.
Entsprechende Forderungen Bayerns lagen seit langem auf dem Tisch", so der
Minister. Auch die Innenminister der Länder waren sich hier einig. Die
Innenministerkonferenz (IMK) hielt es bereits in ihrer Sitzung am 24.
November 2000 für geboten, Versammlungen zu verhindern, die gegen die
Grundlagen der menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit
gerichtet sind und insbesondere Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlichen
oder verharmlosen. Seither ist der Bundesinnenminister laut Beckstein
aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Versammlungsgesetzes
einschließlich der Problematik einer Erweiterung der Verbotsgründe
vorzulegen. Die dazu schließlich eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe
schloss ihre Beratungen bereits im Frühjahr 2004 ab. Auf der letzten IMK am
18./19. November 2004 in Lübeck kündigte der Bundesinnenminister endlich an,
"alsbald das förmliche Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des
Versammlungsgesetzes einzuleiten". Nach drei weiteren Monaten hat er dann -
vor dem Hintergrund der am 8. Mai zu erwartenden rechtsextremistischen
Aufmärsche am Brandenburger Tor und in der Nähe des Holocaust-Mahnmals -
zusammen mit der Bundesjustizministerin in einer Bundespressekonferenz
Vorschläge zur Änderung des Versammlungsrechts und des Strafgesetzbuches
vorgestellt. Beckstein zeigte sich darüber verwundert, dass die rot-grüne
Regierungskoalition den eigenen Bundesinnenminister und die
Bundesjustizministerin zurückpfiffen, obwohl deren Vorschlag eindeutig
verfassungskonform war.
Zu den alljährlichen rechtsextremistischen Aufmärschen in Wunsiedel wies
Beckstein darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht seit den Jahren
2000/2001 mit mehreren Beschlüssen in Folge die Anforderungen an ein
Versammlungsverbot immer weiter verschärft hat. Seither wird die bayerische
Kleinstadt Wunsiedel, deren einzige Gemeinsamkeit mit Heß darin besteht,
dass der Hitler-Stellvertreter dort begraben ist, am Todestag von Heß
jährlich von tausenden Rechtsextremisten heimgesucht. Schon im Jahr 2001,
als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das vom Landratsamt Wunsiedel
verfügte Verbot der Heß-Gedenkveranstaltung aufhob, marschierten nach
10-jähriger "Pause" wieder 800 Rechtsextremisten aus dem ganzen Bundesgebiet
durch Wunsiedel. Im vergangenen Jahr zählte man bereits etwa 3.800
Rechtsextremisten, die aus dem Inland und dem europäischen Ausland angereist
waren. In wenigen Jahren hat sich die Teilnehmerzahl somit mehr als
vervierfacht.
"Hier wird deutlich: Die rechtsextremistische Szene sieht das Gedenken an
den Todestag von Heß als überregionales Großereignis an", so Beckstein. Zu
dem verheerenden Eindruck in der Öffentlichkeit und dem Imageschaden, der
dadurch für ganz Deutschland entsteht, kommt laut Beckstein noch ein anderer
Faktor hinzu: "Die Bevölkerung von Wunsiedel leidet unter dem
belagerungsähnlichen Zustand. Die Menschen trauen sich nicht mehr auf die
Straße. In einer Kleinstadt wie Wunsiedel mit ca. 6.500 Einwohnern im
eigentlichen Kernstadtgebiet und vielfach engen Straßenzügen bedeutet eine
Versammlung mit mehreren tausend Rechtsextremisten eine erhebliche
Beeinträchtigung. Leider scheiterten alle Versuche des Landratsamts
Wunsiedel, die Heß-Gedenkveranstaltung auf Basis des geltenden Rechts
gerichtsfest zu verbieten. Da zu befürchten ist, dass der Aufmarsch künftig
als zentrale Propagandaplattform weiter an Bedeutung gewinnen und noch mehr
Radikale anziehen wird, war die wehrhafte Demokratie dringend zum Handeln
aufgerufen."
hagalil.com
11-03-2005 |