
Lehrer gegen Hitler:
Pädagogen im Widerstand
Die Braunschweiger Ausstellung
"Lehrer gegen Hitler" zeigt, dass sich nicht alle Lehrer dem
Nationalsozialismus beugten: Aus dem Kreis der Reformpädagogen kam
Widerstand. Die Tochter eines Lehrerehepaares erzählt.
Von Andreas Speit
Ihren Vater hat Marie Halberschmidt nie
kennengelernt. "Und als ich meine Mutter nach dem Krieg wieder sah,
war sie mir fremd", berichtet die fast Siebzigjährige von der ersten
Begegnung in Helmstedt. 1945 war Marie Halberschmidt ein verstörtes
fünfeinhalbjähriges Mädchen. Mehrere Jahre musste sie bei Verwandten
leben. "Erfreut waren sie nicht", sagt Halberschmidt, doch sie
scheint darüber keinen Groll zu empfinden: "Es war eine andere Zeit,
wer will da schon ein uneheliches Kind von Kommunisten, die in Haft
saßen".
Die Eltern von Marie Halberschmidt, Otto Meyer und Anna-Luise
Haaris, wurden als Reformpädagogen von den Nationalsozialisten in
Braunschweig verfolgt. Über hundert Lehrer ließ der NS-Innen- und
Volksbildungsminister Dietrich Klagges aus dem Schuldienst des
Landes Braunschweig entfernen. Die Ausstellung "Lehrer gegen
Hitler", die derzeit in der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig
gezeigt wird, dokumentiert erstmals die Schicksale der
Braunschweiger Reformpädagogen, die mit dem Kreis der Hamburger
Schulreformer zusammenarbeiteten. Ziel der Reformer war es, die
Schule nach "dem Kind" auszurichteten. Nachdem 1930 die "Bürgerliche
Einheitsliste" und die NSDAP die Landesregierung stellten, entließen
sie reformpädagogische Lehrkräfte und verboten entsprechende
Lehrbücher.
Drei Jahre vor der Machtübernahme kam es zu Protesten gegen die
Verfolgung der Reformer. An die 4.000 Eltern demonstrierten gegen
die Entlassungen, ein Schulstreik folgte. Die Behörden reagierten
hart: Eltern wurden verhaftet, 2.700 Strafbefehle wurden ausgestellt
und die weltlichen Schulen nach und nach geschlossen.
Für die damalige Landesregierung führte die Pädagogik "Vom Kinde
aus" in eine "verhängnisvolle Richtung". 1933 folgte mit der
Einführung des "Gesetzes zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums" die Ausgrenzung jüdischer Lehrer.
"Nicht alle Schicksale konnten nachgezeichnet werden", sagt die
Sozialwissenschaftlerin Bernhild Vögel, die die Ausstellung im
Auftrag des "Arbeitskreises Andere Geschichte e.V." und der GEW
Braunschweig konzipiert hat. In Briefen von Überlebenden und Notizen
von Verwandten fand sie viele Hinweise. "Die Entlassung war für die
Betroffenen eine schwere Belastung", sagt sie. Die Pädagogen und
ihre Familien waren Hausdurchsuchungen ausgesetzt, einige kamen ins
Gefängnis, einige wurden in Konzentrationslagern getötet. Manche
versuchten, möglichst wenig aufzufallen und traten in die NSDAP ein,
manche schafften es dank der Beziehungen zu den Hamburger
Reformpädagogen, im "Hanseatischen Schuldienst" unterzutauchen.
Manche Reformpädagogen aber gingen auch in den Widerstand wie
Halberschmidts Eltern. Anna-Luise Haaris und Otto Meyer wirkten 1931
in Hannover bei der "Revolutionären Gewerkschaftsopposition" mit.
1933 wird 0tto drei Monate im KZ Mohringen inhaftiert. Über die
Schweiz, erzählt die Tochter, sind die Eltern nach Belgien geflohen,
wo sie 1938 geboren wird.
Nach dem Einmarsch der Wehrmacht geht die Flucht weiter durch
Südfrankreich, doch weil ihnen das Geld ausgeht, müssen sie nach
Brüssel zurück. Die Gestapo erwischt sie 1941. Wegen "Vorbereitung
des Hochverrats" werden die Eltern verurteilt, die
zweieinhalbjährige Tochter wird Verwandten übergeben. Nach einer
Odyssee durch Gefängnisse stirbt Otto im KZ Sachsenhausen, Haaris
überlebt im KZ-Außenlager Salzwedel.
"Über die Gefängnisse und KZs konnte meine Mutter nicht sprechen",
erzählt Halberschmidt. Wenn die Tochter wegen der Haft nachfragte,
wehrte die Mutter ab. "Da traut man sich nicht weiter", sagt
sie."Ein Teil von ihr ist damals gestorben."
Die Ausstellung dokumentiert nicht nur einzelne Schicksale zwischen
Anpassung und Widerstand. Sie skizziert auch, welche Wege die
überlebenden Reformpädagogen nach 1945 gingen, um ihre Idee von
einer freien Schule zu verwirklichen.
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09-03-2005 |