Frankreich:
Verfolgt von jüdischen Meinungsmachern
Kulturskandale zwischen Antisemitismus,
Kommunitarismus und höchster politischer Konfusion
Von Bernhard Schmid, Paris
Ein Schriftsteller, der jüngst für einen Skandal sorgte,
erklärt: "Ich schäme mich nicht für meine eigenen Faschismen" (Plural im
Original), "sie sind da, in mir drinnen. Sie drücken einen Teil meiner Natur
aus, ich betrachte sie nicht als unnatürlich, sie sind fester Bestandteil
meiner Psyche." (Zitiert aus "Chronic'Art" vom März 2005.) Und ein
Theatermacher, der vor zehn Jahren noch als Bannerträger des Antirassismus
galt und den Kampf gegen den rechtsextremen Front National zu seiner
persönlichen Angelegenheit erhob, erkennt heute in dem neofaschistischen
Funktionär Bruno Gollnisch seinen Leidensgenossen. Der Grund dafür soll
darin liegen, dass beide in Frankreich von jüdischen Meinungsmachern
verfolgt und ihrer Redefreiheit beraubt würden.
Beide Protagonisten schwingen sich zu selbsternannten Sprechern der
Underdogs, der Nachfahren der Opfer von Sklaverei und Kolonialismus auf
und verkörpern doch allenfalls eine auf den Höhepunkt getriebene politische
Konfusion. So lassen sich zwei der jüngsten Affären resümieren, die die
französische Kulturwelt erschütterten. Der französische Premierminister
Jean-Pierre Raffarin nannte sie jüngst in einem Atemzug, als er Mitte
Februar vor der Gefahr antisemitischer Tendenzen warnte.
Romantitel: "Pogrom"
Am 3. Januar 2005 erschien bei dem renommierten Pariser
Verlag Flammarion das 248 Seiten umfassende Buch des jungen Autors Eric
Bénier-Burckel, das den bezeichnenden Titel Pogrom trägt. Der Name ist
tatsächlich Programm. Allerdings hat der 33jährige Philosophielehrer
Bénier-Burckel kein ideologisches Pamphlet antisemitischer oder anderer
Art - verfasst, sondern eine fiktive Handlung niedergeschrieben, die vor
Hass in vielfacher Hinsicht nur so trieft. An chronologisch erster Stelle
stehen die Geringschätzung des Autors für Frauen und seine scheinbare
Verachtung für Großbürger: Der fiktive Romanheld, der vom Erzähler stets in
der zweiten Person angesprochen und gesiezt wird, der aber aufgrund
mehrfacher augenzwinkender Hinweise und biographischer Details leicht als
Wiedergänger des Autors selbst auszumachen ist, unterrichtet als Lehrer an
einer Oberstufenschule im Großraum Paris. Genau wie Bénier-Burckel selbst.
Die Hauptfigur seines Romans lernt eine reiche Erbin im wohlhabenden 6.
Pariser Bezirk kennen, die sich aus unerfindlichen Gründen in ihn verliebt.
Sie ist alles andere als attraktiv, doch der Protagonist zieht in ihre
Wohnung ein und macht sich finanziell von ihr abhängig. Denn die Liaision
erlaubt ihm, endlich von Geldzwängen unabhängig zu werden und sein großes
Lebensprojekt zu verfolgen nämlich einen Roman zu schreiben. Von dem Text,
den er verfasst, erfährt die Leserin nichts, abgesehen davon, dass er von
überbordendem Hass geprägt ist. In Wirklichkeit ist es Bénier-Burckels Buch
selbst, das sich auf dieser Weise in der eigenen Handlungsdarstellung
widerspiegelt. Über endlose Seiten hinweg beschimpfen L'inqualifiable (Der
Unbeschreibliche) und l'hôtesse (Die Gastgeberin) sich ausgiebig, beweisen
sich ihre abgrundtiefe Verachtung füreinander.
Das ist auch schon fast alles: Die Romanhandlung ist furchtbar einfach
gestrickt und daneben noch hundsmiserabel geschrieben, mit einer Anhäufung
von schrägen Metaphern und aneinandergereihten Adjektiven. Wahrscheinlich
ist es das, was den Roman für einige Kritiker attraktiv machte, die darin
ein neues Genre von "literarischem Trash" erblickten. Zu einem solchen
Konzept bekennt sich auch Bénier-Burckel, der sich als "zur Generation
<American Psycho> gehörend" bezeichnet, in Anspielung auf den Trashroman von
Bret Easton Ellis. Von diesem Stil ist auch Frédéric Beigbeder geprägt, der
im Jahr 2000 seinen provokatorisch gemeinten Banalitätenroman <99 francs>
veröffentlichte und später als literarischer Direktor bei Flammarion
eingestellt wurde dank ihm konnte <Pogrom> dort überhaupt erscheinen.
Kontroverse um antisemitische Passagen
Zu Anfang blieb der Roman, der aufgrund seiner literarischen
Qualitäten nach allgemeiner Ansicht der Kritiker wenig Beachtung bedient,
fast unbemerkt. Dann aber zogen die beiden linken Schriftsteller Bernard
Comment und Olivier Rolin durch einen Gastbeitrag in "Le Monde" vom 11.
Februar das Augenmerk auf Passagen, die neben der allgemeinen hasserfüllten
Atmosphäre des Romans auch spezifisch antisemitische Passagen enthalten. Die
Gründe dafür, dass Rolin und Comment so die öffentliche Aufmerksamkeit auf
den Roman zogen, sind umstritten: Manche Kritiker weisen darauf hin, dass
sie eine literarische Reihe beim Verlag Le Seuil leiten, die vor kurzem ihre
prestigereichste Autorin Catherine Millet an den Konkurrenzverlag Flammarion
verlor so dass ihnen eine Gelegenheit nur recht kam, diesem eins
auszuwischen. Dieselben Kommentatoren sind der Ansicht, dass sich ohne
Comments und Rolins Intervention niemand wirklich für <Pogrom> interessiert
hätte. Die beiden Autoren kontern jedoch mit dem Hinweis, dass der
prominente Fernsehmoderator Michel Field bereits vor dem Ausbruch des
Skandals im Februar die Werbetrommel für <Pogrom> rührte. Tatsächlich hat
der ex-Linke Moderator Bénier-Burckel bereits im Januar ins Studio
eingeladen und ihm augenzwinkernd versichert: "Sie haben eine Chance von
eins zu zwei, dass ihnen von was weiß ich für einer Organisation was weiß
ich für ein Prozess gemacht wird."
Tatsächlich sind die umstrittenen Passagen mehr als
skandalös. Zunächst tritt der Freund des "Unbeschreiblichen" auf, ein
gewisser Mourad, "ein Araber". Diesem werden eindeutig antisemitische
Passagen in den Mund gelegt: "Das ist ihnen noch nicht aus dem Kopf
gegangen, der Genozid. Sie wiederkäuen ihn nach jeder Melodie, mit jeder
Sauce, und schön laut, damit man sie beklagt. (...) Mit der Shoah haben die
Anhänger der überlegenen Rasse 10.000 Jahre Straflosigkeit gewonnen. Und sie
wundern sich, dass man ihnen die Hose herunterziehen und sie in den Arsch
ficken will, von Paris bis Wladiwostok mit Umweg über Berlin, Rom, Moskau
und sogar Kuba." Ansonsten hätten sie einen Haufen Kohle und "Referenzen
überall in der Welt", die ihnen zu einem "unschlagbaren Lebenslauf"
verhülfen. Im Anschluss schlägt Mourad, der den Protagonisten anpumpen will,
ihm käuflichen Sex mit einer Jüdin namens "Rachel" vor. Auf mehreren Seiten
wird ausführlich beschrieben, wie erst einer der Hunde des Roman-Mourad,
dann dieser selbst und am Ende der "Unbeschreibliche" die Nämliche von
hinten besteigen. Die drei Hunde heißen Pétain, Drumont und Brasillach. Der
Marschall Philippe Pétain, ab 1940 Chef des Vichy-Regimes, ist allgemein
bekannt. Edouard Drumont verfasste um 1880 das Grundlagenwerk des modernen
Antisemitismus in Frankreich, La France juive. Robert Brasillach war ein
antisemitischer Schriftsteller und Nazikollaborateur, der im Februar 1945
erschossen wurde.
Angeblicher Einsatz für "die Schwarzen und die Araber"
In Interviews versuchte der Autor - nachdem der Skandal durch
den Gastbeitrag in "Le Monde" sowie die Äußerungen des Premierministers
ausgebrochen war - sich dadurch zu rechtfertigen, dass er sich die
antisemitischen Auslassungen einer Romanfigur als Verfasser nicht zu eigen
mache. Er zeige nur eine Realität auf, die nun mal leider so sei "ich
unterrichte in den Banlieues" -, auch wenn es die Pariser Bürger in ihrem
behüteten Milieu schockiere. Gegen diese Darstellung sprechen aber mehrere
Gründe, so die allzu deutliche Wiederspiegelung des Autors selbst in seinem
zentralen Romanhelden.
Aber auch die Widmung, die Bénier-Bürckel verfasste, ist keinem Zufall
geschuldet. Man kann es als Demagogie bezeichnete, wenn er sein Buch "Den
Schwarzen und den Arabern" widmete, denn diesen angeblichen und zum Teil
auch tatsächlichen Underdogs der französischen Gesellschaften legt er
seine eigenen Hassbotschaften in den Mund. Dabei erweist er auch zweifellos
den von rassistischen Diskriminierungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt
Betroffenen keinerlei guten Dienst, wenn er seine Romanfigur Mourad als
angeblich typischen Vertreter einer Bevölkerungsgruppe hinstellt: "Mourad
repräsentiert die muslimische, pro-palästinensische Community". Dabei ist
die Gesellschaft der Einwanderer aus mehrheitlich moslemischen Ländern in
Frankreich sehr heterogen und komplex, und lässt sich keinesfalls auf die
Anhänger antijüdischer Hassgefühle die es gibt reduzieren.
Dieudonné, Meister der politischen Konfusion
Einer, den sich Bénier-Burckel unterdessen tatsächlich zum
Vorbild nehmen könnte, ist der schwarze französische Schauspieler und
frühere Fernsehkomiker Dieudonné M'bala M'bala. Der Mann, der allgemein
unter seinem Vor- und Künstlernamen bekannt ist, steigert sich seit
anderthalb Jahren in einen immer schriller werdenden Hassdiskurs gegen die
französischen Juden hinein. Diese beschuldigt er, daran Schuld zu tragen,
dass er einen Film über die Geschichte der Sklaverei aus finanziellen
Gründen nicht realisieren konnte "zionistische Autoritäten" in der
französischen Kinowelt hätten ihn daran gehindert. Dieudonné wirft den Juden
Frankreichs vor, diese hätten an der Sklaverei verdient und damit
Finanzimperien errichtet, obwohl die Autoren des "Code noir", des
französischen Skalvereigesetzes im 17. und 18. Jahrhundert, auch direkt
antijüdische Verordnungen in Frankreich und seinen damaligen Kolonien zu
verantworten hatten.
Den Hintergrund dafür bietet eine Art von "Opferkonkurrenz", wie sie auch
schon vor längerem unter den Minderheiten in den USA beobachtet wurde,
angeheizt vom antisemitischen Prediger Louis Farrakhan: Manche Schwarze
beschuldigen die Juden, durch ihren "Opferstatus" aufgrund der Shoah das
Leiden der Menschheit "zu monopolisieren" und dadurch am Schweigen über die
Unterdrückung der Schwarzen wesentlich schuldig zu sein.
Nunmehr ermittelt die französische Justiz gegen Dieudonné: Der hatte sein
neuestes Theaterstück Mes excuses "Meine Entschuldigung", in dem er sich
aber keinesfalls entschuldigt, sondern seine Anklagen zuspitzt Mitte
Februar zum ersten Mal außerhalb Frankreichs aufgeführt, und zwar in Algier.
Aus diesem Anlass hatte er bei einer Pressekonferenz den aktuellen
politischen Diskurs über die Shoah als "Erinnerungspornographie" bezeichnet
und von einer "Überdosis" der Erinnerung gesprochen. Zugleich hatte er in
einer biologistischen Metapher vom Zionismus als dem "AIDS des Judentums"
gesprochen die AIDS-Metapher lässt Dieudonné seit Anfang des Jahres nicht
mehr los, als er in einem Fernsehauftritt durchblicken ließ, für ihn seien
die von ihm attackierten Lobbys für die Ausbreitung der Epidemie in Afrika
verantwortlich.
Dieudonné ist mittlerweile politisch isoliert: Die
Palästina-Solidaritätsgruppen, um die er sich anfänglich bemühte, haben
schon vor Monaten mit ihm gebrochen und ihm vorgeworfen, mit dem Feuer des
Antisemitismus zu spielen. Selbst die selbst sehr kommunitaristisch
ausgerichtete Kleinpartei "Euro-Palestine", die von den linkeren
Palästinagruppen ihrerseits höchst argwöhnisch betrachtet wird, gab Ende
Oktober vorigen Jahres seinen Ausschluss bekannt. Zu befürchten ist
allerdings, dass er unter den marginalisierten Jugendlichen in den
Banlieue-Trabantenstädten als ein "Held" in Erinnerung bleiben könnte, der
"den Mut hatte, sich gegen die Mächtigen zu stellen, und dafür abgestraft
wurde".
Dieudonné und Gollnisch: Wenn zwei "Verfolgte" sich einig wissen...
Aber in der Ungemach hat Dieudonné, der in den letzten Wochen
auch zwei mal auf Flughäfen im französischen Überseedépartement La
Martinique und in Paris von Mitreisenden oder Anwesenden attackiert worden
ist, einen Leidensgenossen entdeckt.
Der rechtsextreme Parteifunktionär Bruno Gollnisch, der wegen
Holocaustleugnung für 5 Jahre vom Hochschuldienst suspendiert worden ist,
werde "in unglaublicher Weise" drangsaliert, bemerkte Dieudonné vor
Journalisten am Pariser Flughafen, eilig versichernd, er teile seine
politischen Ideen ansonsten natürlich nicht. Gollnisch bemerkte seinerseits
anerkennend, "von Raymond Barre bis Dieudonné" hätten sich Persönlichkeiten
für seine Meinungsfreiheit eingesetzt Barre ist der wirtschaftsliberale
frühere Oberbürgermeister von Lyon, der seinen Universitätskollegen
Gollnisch als Ehrenmann bezeichnete. Vor zehn Jahren noch war Dieudonné in
FN-Kreisen "der Neger, der die nationale Rechte herausfordert"; damals
reiste der Theatermacher nach Dreux (80 Kilometer westlich von Paris), um
1996 in dieser damaligen FN-Hochburg gegen die extreme Rechte zu
kandidieren. Wie sich die Zeiten doch ändern können.
Wenn die "Verfolgten" zusammenstehen und sich als vermeintliche Opfer
jüdischer und anderer Lobbys gegenseitig auf die Schulter klopfen, dann gilt
wohl: Und ist der letzte Rest politischen Bewusstseins erst völlig ruiniert,
dann lebt's sich völlig ungeniert.
hagalil.com 23-03-2005 |