"Komiker" Dieudonné und neofaschistischer Politiker Bruno
Gollnisch:
Wenn zwei "Verfolgte" zueinander finden
Von Bernard Schmid, Paris
Und ist der letzte Rest politischen Bewusstseins erst
völlig auf den Hund gekommen, dann lebt sich's gänzlich ungeniert: Unter
dieses Leitmotto könnte man die Entwicklung des französisch-kamerunischen
Theatermachers Dieudonné M'bala M'bala stellen.
Noch vor zehn Jahren hatte er sich den Kampf gegen die extreme Rechte zur
persönlichen Priorität gesetzt und in Dreux (einer Hochburg, wo die
rechtsextreme Partei damals noch um die 40 Prozent der Stimmen erhielt)
gegen den Front National kandidiert. Heute bescheinigen Dieudonné der Mann
ist allgemein unter seinem Vor- und Künstlernamen bekannt und Bruno
Gollnisch, die "Nummer Zwei" in der Parteihierarchie des Front National,
sich gegenseitig, in Frankreich von Juden verfolgt zu werden und eine Art
Märtyrer für die Meinungsfreiheit zu sein.
Dieudonné: Ein kurzer Rückblick
Dieudonné war seit dem Jahreswechsel 2003/04 wegen wiederholter
antisemitisch inspirierter Äußerungen unter erheblichen Druck aus der
Politik und Kulturwelt geraten. Zuletzt hatte er im Februar dieses Jahres,
anlässlich der ersten Aufführung seines neuen Stücks "Mes excuses" ("Meine
Entschuldigung", in dem er sich aber in Wirklichkeit alles andere als
entschuldigt und keinerlei Selbstkritik übt) außerhalb Frankreichs, die ihn
nach Algier führte, weiteres Öl ins Feuer geschüttet. Dabei und aus Anlass
einer Pressekonferenz in der algerischen Hauptstadt hatte er u.a. in
heftigen Worten eine "Erinnerungs-Pornographie" bezüglich des Holocaust
angeprangert. Diese Worte (pornographie mémorielle) bezogen sich entgegen
allerersten Meldungen in der Internetzeitung Proche-orient.info zwar nicht
auf die Shoah selbst, sondern auf einen politischen Diskurs über die
Erinnerung an die Vernichtung der Juden Europas. Dennoch war die Absicht
hinter den Worten Dieudonnés "wir wollen davon nichts mehr hören" recht
eindeutig, zumal er auch noch den Begriff "overdose" (Überdosis) benutzte.
Ferner hatte Dieudonné damals, Mitte Februar 2005, "zionistischen
Autoritären" in der französischen Kulturwelt die Schuld daran gegeben, dass
er nicht wie angeblich geplant einen Film über die Geschichte der
Versklavung der Schwarzen drehen konnte. Den Zionismus bezeichnete er in
einem Interview mit einer biologistischen Metapher als "das AIDS des
Judentums".
Die Empörung darüber war in der französischen Politik und der Presse jedoch
so gut wie allgemein gewesen. Die liberale Pariser Abendzeitung 'Le Monde'
übertitelte einen Leitartikel in der letzten Februarwoche: "Dieudonné,
assez!" (Dieudonné, es reicht!) Und die auf Satire und politische
Enthüllungen spezialisierte Wochenzeitung "Le Canard enchaîné" druckte Ende
Februar auf ihrer Titelseite die Artikelüberschrift: "Dieudonné, c'est nul"
(ungefähr: Dieudonné ist unter aller Sau).
Die französische Justiz leitete auf Anordnung des konservativen
Justizministers Dominique Perben hin ein strafrechtliches
Vorermittlungsverfahren ein. Ob das Verfahren allerdings zu einem
gerichtlichen Abschluss kommt, ist deswegen noch offen, weil Dieudonné seine
Äußerungen im Ausland von sich gab. In einem solchen Fall ist die
strafrechtliche Ahndung delikater: Es ist grundsätzlich möglich, auf
ausländischem Boden getätigte Äußerungen vor einem französischen Gericht zu
ahnden aber die Anforderungen an die Beweiserhebung sind dann weitaus
strenger. Das hat grundsätzlich einen guten Grund, da nämlich die meisten
Augen- und Ohrenzeugen der Szene am Gerichtsort nicht zugegen sein können
und weil die französische Justiz nur durch den "Filter" von Medienberichten
Kenntnis von einer möglichen Straftat an ausländischem Ort erhielt. Im
vorliegenden Falle liegen jedoch Tonbandaufnahmen der Pressekonferenz von
Algier vor. Eine davon hat Dieudonné bei seiner Rückkehr selbst präsentiert;
sie scheint jedoch nur in geringem Maße brauchbar zu sein, da die akustische
Qualität der Aufnahme denkbar schlecht ist.
Bruno Gollnisch
Der Politiker mit dem zweihöchsten Rang in der Parteihierarchie des Front
National ist zugleich Professor für japanisches und internationales Recht an
der Universität Lyon-III. Am 11. Oktober 2004 hatte er auf einer
Pressekonferenz am Lyoner Parteisitz des FN faktisch die Existenz der
Gaskammern und die Zahl der Toten des Holocaust in Frage gestellt: Es
handele seinen Worten zufolge, um eine Materie, über die "Historiker"
endlich "frei debattieren" können müssten. Nicht zufällig haben auch
Hardcore-Auschwitzleugner die Auslassungen Gollnischs als Unterstützung für
ihre Thesen bzw. ihre Propaganda aufgefasst. So unterstützte die einschlägig
bekannte Zeitschrift "Dubitando" (Der Zweifelnde), die auf Negationismus
also Leugnung des Holocaust spezialisiert ist, eine
Unterstützungserklärung für Gollnisch. Bezüglich dieser doch wenig
reputierlichen Unterstützer hat Gollnisch bislang jedweden Kommentar
verweigert.
Am 4. März 2005 hat der Disziplinarausschuss der Universität Lyon-III
beschlossen, Gollnisch als Sanktion für diese Äußerungen für die Dauer von 5
Jahren vom Hochschuldienst zu suspendieren. Während dieser fünf Jahren wird
Gollnisch sein Professorengehalt weiterhin beziehen, aber um die Hälfte
gekürzt. (Hochschullehrer verdienen in Frankreich bei weitem nicht so üppig
wie deutsche Professoren.) Die Anhörung vor dem Ausschuss, dessen
Entscheidungskompetenz Gollnisch von Anfang bis Ende vehement bestritt,
hatte geschlagene neun Stunden gedauert.
Es handelt sich um die erste Suspendierung eines Universitätsprofessor wegen
Holocaustleugnung, seitdem die Universität Lyon-III im Jahr 1990 den
Rechtsextremen Bernard Notin, freilich für eine kürzere Dauer (ein Jahr),
vorübergehend aus dem Dienstverhältnis entfernt hatte. Bernard Notin war
damals für einen antisemitischen Hetzartikel vom Lehrdienst suspendiert
worden, für den er bereits zuvor strafrechtlich verurteilt worden war. Die
Entscheidung des Disziplinarausschusses war damals jedoch einige Zeit später
wegen eines Formfehlers von der landesweiten Hochschul- und
Forschungskommossion (Cneser) aufgehoben worden. Auch Gollnisch hat noch
Berufswege offen stehen, er kann seinerseits noch den Cneser sowie die
staatliche Justiz anrufen und von ihnen verlangen, die Entscheidung zu
revidieren. Es ist aber fraglich, ob er damit durchkommt.
Zwei "Verfolgte" klopfen sich auf die Schulter
Trotz allen politischen Irrsinns, in den Dieudonné sich in den vergangenen
Monaten hineingesteigert hat, hätte man "vernünftiger Weise" denn doch nicht
damit rechnen müssen, dass er nunmehr in dem Rechtsextremen Gollnisch seinen
Leidensgenossen wieder erkennt. Doch die Wirklichkeit übertrifft manchmal
noch die böswilligen Karikaturen, die einem vorschweben mögen... Tatsächlich
hat Dieudonné auch diesen Schritt noch zurückgelegt.
Am Freitag, 4. März kehrte Dieudonné aus dem französischen
Übersee-Département La Martinique (in der Karibik) zurück. Dort war er bei
seiner Landung Ende Februar von vier Personen körperlich attackiert worden,
die angaben, ihm gefolgt zu sein und ihn wegen seiner vorherigen Äußerungen
bestrafen zu wollen. (Der Prozess darüber beginnt am 18. März in der
Bezirkshauptstadt von La Martinique, Fort-de-France. Dieudonné hat bereits
angekündigt, dann erneut auf die Karibikinsel zu kommen.)
Auf dem Rückflug bzw. der Landung auf dem Flughafen von Paris-Orly musste
Dieudonné erneute Ungemacht erleben. Während er einer Flughafenangestellten
ein Autogramm ausstellte, wurde er von einem Passagier desselben Fluges
angesprochen: "Na, kleiner Nazi aus Kamerun, sind wir gut gereist?" Das
"klein" bezieht sich auf die lächerlich machende Endung in "nazillon", nicht
auf die Körpergröße Dieudonné ist eher von mächtiger Statur. Der Vater
Dieudonnés stammte aus Kamerun, seine Mutter dagegen aus der Bretagne. Es
ist jedoch unrichtig, zu behaupten, Dieudonné komme "aus Kamerun": Er ist im
südlichen Pariser Umland geboren und aufgewachsen und lernte das
Herkunftsland seines Vaters erst im Heranwachsenden-Alter kennen. -
Dieudonné hat deswegen Strafanzeige gegen den Mann erstattet, den er der
erstaunten Flughafenangestellten mit den Worten präsentierte: "Sehen Sie
sich an, was ein zionistischer Extremist und negerfeindlicher Rassist ist."
(Der Mann soll darauf geantwortet haben: "Dass Sie eine Frisur wie eine
Klobürste haben, berechtigt Sie nicht, alle Leute als Rassisten zu
beschuldigen.")
Aus demselben Anlass erwarteten ihn mehrere Dutzend (laut seiner
Unterstützer-Homepage "Les Ogres" angeblich "300 bis 400") Unterstützer, die
ihm in der Empfangshalle des Flughafens applaudierten. Dabei erklärte
Dieudonné unter anderem: "Ich habe in Dreux politisch gegen die extreme
Rechte gekämpft. Ich habe entgegen gesetzte Positionen. Aber wenn ich sehe,
was mit Herrn Gollnisch passiert ist: Jemandem seine Arbeit wegzunehmen,
ohne dass die Justiz ein Urteil gefällt hätte... Wir sind in einem
Rechtsstaat, (aber) unter dem Druck einer Lobby, die glaubt, ihr sei alles
erlaubt in diesem Land." Dieudonné fuhr fort: "Es geht nicht darum, die
politischen Ansichten (Bruno Gollnischs) zu verteidigen, aber ich finde das
unglaublich. Das ist dasselbe wie das, was man mir anstellt: Man hindert
mich daran, in Theatersälen zu spielen, nur weil ich einer kleinen Gruppe
von Individuen nicht passe."
Den Vergleich seiner eigenen Situation mit der des Rechtsextremen Bruno
Gollnisch hat der "Komiker" also tatsächlich von selbst und unzweideutig
gezogen.
Umgekehrt haben auch die Rechtsextremen den Nutzen erkannt, den sie aus
einem (und sei es verbalen und demagogischen) Hinweis auf die
"Benachteiligung" Dieudonnés ziehen können. Vor zehn Jahren war der Mann
noch "der Neger, der den FN herausfordert". Heute ist er plötzlich ein
Ehrenmann...
So erklärte Bruno Gollnisch: "Was ich feststelle, ist, dass von Raymond
Barre bis zu Dieudonné Leute für mich Partei ergreifen. Es ist im Übrigen
skandalös, Dieudonné an seinen Aufführungen zu hindern." (Zitiert nach dem
Wochenmagazin "Le Point".) Raymond Barre ist der wirtschaftsliberale
ehemalige Oberbürgermeister von Lyon und Premierminister Frankreichs (von
1976 bis 81), der vor wenigen Wochen Gollnisch "als Universitätskollegen"
eine Ehrenbezeugung ausgesprochen hat.
Der rechtsextreme Regionalparlamentarier in Lyon und Chef des
Unterstützerkomitees für Gollnisch, Hugues Petit, erklärte seinerseits (laut
"Libération"): "Ich werde Dieudonné vorbehaltlos unterstützen, wenn er im
Namen der <Loi Gayssot> für seine jüngsten Äußerungen verfolgt wird." Bei
diesem Gesetz vom 13. Juli 1990, das nach dem kommunistischen Abgeordneten
und späteren Transportminister (1997 bis 2002) benannt worden ist, handelt
es sich um eine Verschärfung des Antirassismus-Gesetzes von 1972. Die Loi
Gayssot stellt insbesondere die "Auschwitzlüge" unter Strafe und sieht eine
Strafverschärfung bei bestimmten Delikten, wenn sie aus rassistischem Hass
heraus begangen werden, vor. Die extreme Rechte fordert seit jeher die
Abschaffung dieser Gesetzgebung deren Entstehung im Übrigen ziemlich
direkt mit den Neofaschisten zusammen hängt. Die Verabschiedung der Loi
Gayssot im Frühsommer 1990 war eine Reaktion auf die Schändung des jüdischen
Friedhofs im südfranzöisschen Carpentras (dabei wurde die Leiche eines
83jährigen auf einen Lampenschirm aufgespießt), die von Neonazi-Tätern
begangen worden war; letztere wurden im Juli 1996 gefasst. Die Schändung in
der Nacht zum 8. Mai 1990 erfolgte ziemlich genau zeitgleich zu einem
spektakulären Fernsehauftritt des damaligen und heutigen (mittlerweile aber
alternden) Rechtsextremen-Chefs Jean-Marie Le Pen. Deswegen wurde damals in
breitesten Kreisen eine Verbindung zwischen den rechtsextremen Hasstiraden
und der Friedhofsschändung ("Le Pen, die Worte Carpentras, die Tat")
hergestellt, und in Paris demonstrierten 200.000 Menschen gegen die extreme
Rechte, gegen Rassismus und Antisemitismus.
Heute scheint dieser Konsens an manchen Stellen dünn und brüchig geworden zu
sein. Und es ist Dummkopf wie Dieudonné, der im Namen unterdrückter
Minderheiten (die im wirklichen Leben tatsächlich rassistischen
Diskriminierungen ausgesetzt sind) zu sprechen vorgibt, der ihn vollends zu
ruinieren droht. Die extreme Rechte darf sich im Prinzip freuen, über solch
einen nützlichen Idioten zu verfügen. Zu hoffen ist nur, dass Dieudonné seit
seinen jüngsten Worten definitiv als ernst zu nehmende Figur des
gesellschaftlichen Lebens "erledigt" ist.
Gollnisch für 5 Jahre von Universität ausgeschlossen:
Sanktion für
Holocaust-Leugnung
Am Freitag, 4. März fiel die Entscheidung: Der
Disziplinarausschuss der Universität Lyon III hat beschlossen, den
rechtsextremen Hochschullehrer Bruno Gollnisch (gleichzeitig "Nummer Zwei"
in der Parteihierarchie des Front National) für 5 Jahre vom Dienst zu
suspendieren...
Rückfällig:
Dieudonné, der
gar nicht lustige Komiker
Dieudonné M'bala M'bala spricht vom Gedenken an die Shoah als
"Erinnerungs-Pronographie" Sturm der Entrüstung in Frankreich...
Nachfolgend einige Links zu den Originaldokumenten:
1)
Indymedia-Artikel: "Dieudonné solidarisiert sich mit Gollnisch"
Indymédia = créer des médias libres faits pour tous ET par tous ...
... Dieudonné solidaire de Gollnisch. Dans des propos raportés par Les
Ogres, site de soutien à Dieudonné, ce dernier apporte son soutien à
Gollnisch ...
paris.indymedia.org/article.php3?id_article=33456 - Pages similaires
2) Die entsprechenden Äußerungen Dieudonnés sind auch auf der, zu seiner
Unterstützung eingerichteten Webpage "Les Ogres" wieder gegeben (siehe
folgenden Ausschnitt). "Les Ogres" bedeutet "Menschenfresser" und ist eine
ironische Anspielung auf den Rassismus gegen Schwarze. Zugleich steht der
Name der Webpage als Abkürzung für: "Geographische, religiöse, ethnische und
soziale Öffnung". (Anm. B.S.)
[Les OGRES] Dieudonné ovationné à Orly (photos) : Ce que retient ...
... Un homme interpellé après avoir agressé verbalement Dieudonné à Orly ...
mais quand je vois ce qui se passe aussi avec M. Gollnisch, retirer son
travail ...
lesogres.org/article.php3?id_article=190 - 38k - En cache - Pages similaires
>>> Ausschnitt:
(....)
Avant cet incident, interrogé sur son agression en Martinique mardi dernier,
Dieudonné avait fait un parallèle entre sa situation et celle de Bruno
Gollnisch, numéro 2 du Front national, récemment exclu pour cinq ans de
l'université Lyon III à la suite de ses propos controversés sur les chambres
à gaz.
"Je me suis battu politiquement contre l'extrême droite en France, à Dreux.
J'ai des positions politiques qui sont radicalement opposées, mais quand je
vois ce qui se passe aussi avec M. Gollnisch, retirer son travail à
quelqu'un sans que la justice ait pu se prononcer. On est dans un Etat de
droit, sous la pression d'un lobby qui se croit tout permis dans ce pays",
avait-il affirmé.
Dieudonné avait ajouté : "ce n'est pas pour défendre les opinions politiques
(de Bruno Gollnisch), mais je trouve ça incroyable. C'est ce qu'on me fait à
moi, on m'interdit de jouer dans des salles simplement parce que je déplais
à un petit groupe d'individus".
hagalil.com
16-03-2005 |