Minderheitendasein:
Niedergang des Christentums im Heiligen Land
Von Ulrich W. Sahm
Der Pomp der brokatbestickten Gewänder orthodoxer Bischöfe
bei ihren Ostergottesdiensten kann nicht über den Niedergang der
Christenheit im Heiligen Land hinwegtäuschen. Kirchtürme bestimmen das
Panorama Jerusalems. Die Verkündungskirche ist das Wahrzeichen von Nazareth.
Doch arabische Christen werden bald nur noch "Museumswächter" sein für leere
Gebäude mit zweitausendjähriger Tradition.
Ein Pogrom im galiläischen Dorf Magar im Februar warf kurz Licht auf den
prekären Zustand der Christen in Israel. Angeblich hatte ein Christ eine
Fotomontage nackter Frauen mit den Gesichtern drusischer Schülerinnen ins
Internet gestellt. Beleidigte Drusen rückten mit Feuer, Äxten und Knüppeln
gegen Christen vor. Dutzende Autos wurden zerstört. Wohnungen und Geschäfte
gingen in Flammen auf. Mehrere Menschen wurden verletzt. Ermittlungen der
Polizei ergaben, dass die Fotomontagen ein falsches Gerücht waren.
Der drusische Verleger Samih Natur aus Daljat el Carmel sagt: "Die
Spannungen zwischen Drusen und christlichen Arabern dauern schon viele Jahre
an. Ein kleiner Funke reicht für den Ausbruch schwerer Zusammenstöße, wie in
Maghar."
"Die Israelis wollten 1948 alle Araber aus Galiläa vertreiben", sagt Natur.
Die Drusen jedoch nutzen ihre Kontakte und bewahrten ihre arabischen
Nachbarn vor der Vertreibung. Beduinen und Drusen werden zum Militär
eingezogen, während die übrigen Araber ausgeschlossen bleiben.
Seit Ausbruch der Intifada verschärften sich die Spannungen. Während Drusen
im Grenzschutz oder in der Armee den Aufstand niederschlugen und viele
Palästinenser töteten, solidarisierten sich die israelischen Araber mit den
Palästinensern. Die Drusen wurden "Mörder" geschimpft und von ihren
arabischen Nachbarn zunehmend diskriminiert.
"Unsere Söhne dienen drei Jahre, während die Araber studieren oder ein
Berufsleben aufbauen. Die Christen sind dank ihrer kirchlichen Schulen viel
intelligenter als wir Drusen. Deshalb sitzen sie in Spitzenpositionen bei
den Behörden", sagt Natur. "Arabische Beamte in der Verwaltung drangsalieren
die Drusen bei jeder Gelegenheit."
Ein Spiegelbild dieser schweren Beschuldigungen liefert voller Sorge Fuad
Farach, Leiter der orthodox-christlichen Gemeinschaft in Israel. Verachtung
über ihre nicht-christlichen Nachbarn äußern Christen nur hinter
vorgehaltener Hand. Der Hass unter den Minderheiten beruht auf
Gegenseitigkeit, sagt Farach, wobei die Christen sich schutzlos den Anderen
ausgeliefert fühlen. "Warum werden immer nur Christen angegriffen, während
die es niemals wagen, zurückzuschlagen?" Die arabischen Christen, eine
Minderheit in der Minderheit, stellen heute knapp 9 Prozent der
nicht-jüdischen Bewohner Israels und nur 1,7 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Ihre Zahl schwindet, zumal eine christliche Frau durchschnittlich weniger
Kinder gebärt (2,3) als eine jüdische (2,7) oder eine muslimische (4,5). Die
Zahl der Abiturienten ist unter den Christen höher als im jüdischen Sektor.
Hinzu kommt, dass die Zahl unverheirateter Frauen über 35 bei den Christen
dreimal zu hoch ist, wie bei Moslems und Drusen. Chatam Khouri,
stellvertretender Stadtdirektor in Haifa, hatte 1989 durch eine Umfrage
festgestellt, dass Moslems kaum an Auswanderung denken, jedoch 28 Prozent
der Christen schon Pläne für ein Leben anderswo machten. Ihre
Sprachkenntnisse, ihre hochqualifizierte Schulbildung, durch die Kirchen
bedingte Kontakte ins Ausland fördern diesen Willen, zumal die Christen
selbst nach bestem Universitätsabgang als Araber schlechte Berufschancen in
Israel haben. Viele Jobs bleiben ihnen "aus Sicherheitsgründen"
verschlossen.
Das physische Schrumpfen der Christengemeinschaft und mangelnde
Zukunftsaussichten gesellen sich zu einem hausgemachten Problem. Keine
andere ethnische oder religiöse Gruppe in Israel ist so zersplittert, wie
die christliche. Da gibt es nicht nur die evangelischen und katholischen
Westkirchen, mitsamt ihren Unterabteilungen, sondern auch das halbe Dutzend
uralter orthodoxer Ostkirchen der Griechen, Armenier und Jakobiner. Hinzu
kommt das Abwerben von Gemeindegliedern, wobei die Katholiken sogenannte
"unierte" Kirchen für Armenier und Griechen geschaffen haben. Die exotische
Vielfalt führt dazu, dass niemand die gemeinsamen Interessen der 117.000
arabischen Christen vertritt, weder gegenüber den Staatsbehörden, noch
gegenüber Moslems oder Drusen. Als am Wochenende bei einem Christentreffen
in Haifa die Idee eines gemeinsamen Komitees aufkam, wurde scharfer
Widerspruch laut. Da wurde vor einer "Libanonisierung" gewarnt und einer
Spaltung der "arabischen Minderheit" in Israel, obgleich die Moslems mit
zwei islamistischen Bewegungen durchaus eigene Vertretungen gegründet haben.
Während die alte christliche Gemeinschaft schwindet, ist Israel dennoch das
einzige Land im ganzen Nahen Osten, wo die Zahl der Christen steigt. Das ist
kein Widerspruch, sondern den Russen zu verdanken, die als Angehörige von
Juden einen Anspruch auf Einwanderung nach Israel wahrnehmen.
hagalil.com 24-03-2005 |