
Nicht zu Lasten des
deutschen Volkes:
Jüdisches Geld für Hitlers Krieg
Was geschah eigentlich genau mit den
Besitztümern der Juden?, fragte sich der Zeithistoriker Götz Aly vor einigen
Jahren. Am 10. März erschien seine Studie "Hitlers
Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus". Darin
untersucht er, wie die Nazis in allen Ländern Europas den jüdischen Besitz
"geräuschlos" in die Staatskassen transferierten. Durch seine
Archivrecherchen hat er neue Erkenntnisse über die Politik der "Regierung
Hitler" gewonnen. Le Monde diplomatique druckt drei Auszüge.
Von Götz Aly
Neben
möglichst langfristigen Krediten benötigte Göring 1938 für den Import
dringend Devisen. Nur damit konnten die für die Aufrüstung notwendigen
Rohstoffe und Lebensmittel gekauft werden, und zwar sowohl für den laufenden
Bedarf als auch für die im Hinblick auf den Krieg anzulegende
Reichsgetreidereserve. Deshalb forderte er am 25. Juli, also sechs Tage vor
der Abgabefrist, die Vermögensdeklarationen der Juden "mit größter
Beschleunigung" auf ausländische Wertpapiere durchzusehen.
Den Besitzern
war demnach mitzuteilen, dass sie die entsprechenden Effekten "binnen einer
Woche" der Reichsbank "anzubieten und auf deren Erfordern zu verkaufen"
hätten.(1) Auch dafür erhielten die jüdischen Zwangsverkäufer im Gegenzug
Reichsschatzanweisungen. Wenige Tage später forderte der für wirtschaftliche
Fragen im ehemaligen Österreich zuständige Minister Fischböck einen
leitenden Reichsbankbeamten an, der in der von Eichmann errichteten
"Judenauswanderungsstelle" die Devisenabteilung übernehmen sollte.(2)
Die "Judenbuße" von einer Milliarde Reichsmark, die die Reichsregierung am
12. November 1938 verhängte, erhöhte die laufenden Reichseinnahmen mit einem
Schlag um gut sechs Prozent. Damit sollte das akute Kassendefizit überbrückt
werden. Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk hatte im Jahr 1938 vor
allem mit Haushaltssperren, mit dem Verbot öffentlicher Neubauten und mit
dem Kürzen schon bewilligter Etatansätze regiert, um die Staatsfinanzen
nicht völlig außer Kontrolle geraten zu lassen. Die Adressaten seiner
geheimen Sparbeschlüsse vertröstete er mit einem Göring-Wort: "Die Lösung
der verbleibenden Aufgaben wird später umso sicherer gelingen, je rascher
und vollkommener jetzt erst einmal die Arbeiten durchgeführt werden, die den
Bestand der Nation gegen alle Eventualitäten gewährleisten sollen."
Im Jahresbericht für 1938, den Walther Bayrhoffer, der Vertreter des
Reichsfinanzministeriums im Reichsbankdirektorium, formulierte, stellte sich
die öffentliche Finanzlage bezeichnenderweise ausgerechnet Mitte November
1938 als "katastrophal" dar: "Es bestand kassenmäßig ein Defizit von etwa RM
2 Milliarden; die Möglichkeit, dass das Reich zahlungsunfähig wurde, stand
unmittelbar bevor."(3 )Das war der Moment, in dem die "Judenbuße" verhängt
wurde. Deswegen verlangte die Reichsregierung von den Banken, die sich um
den "sachgerechten" Verkauf der Aktien aus dem Besitz von Juden bemühten,
kategorisch einen Überbrückungskredit. Und deswegen wies der Judenreferent
im Reichswirtschaftsministerium, Alf Krüger, in seiner Gesamtrechnung über
die angemeldeten jüdischen Vermögen den liquiden Bestandteil besonders aus.
Er verstand darunter alle Werte, die nicht als Hausbesitz oder
Betriebsvermögen gebunden waren: insgesamt 4,8 Milliarden Reichsmark.(4) Auf
sie konnte umstandslos zugegriffen werden. Am 18. November 1938 notierte
sich der Vertreter des Auswärtigen Amts aus einer intern gehaltenen
Göring-Rede diese Stichwörter: "Sehr kritische Lage der Reichsfinanzen.
Abhilfe zunächst durch die der Judenschaft auferlegte Milliarde und durch
die Reichsgewinne bei Arisierung jüdischer Unternehmungen."(5)
Mit seiner Durchführungsverordnung vom 21. November 1938 gestaltete der
Reichsfinanzminister die "Sühneleistung" zu einer Vermögensabgabe von 20
Prozent aus. Betroffen waren alle Juden, die eine Vermögenserklärung hatten
abgeben müssen, also mehr als 5 000 Reichsmark besaßen. Sie mussten die
fällige Geldsumme in vier Teilbeträgen an das zuständige Finanzamt
entrichten, und zwar "ohne besondere Aufforderung" am 15. Dezember 1938, am
15. Februar, 15. Mai und 15. August 1939.(6) Auf diese Weise trieb der
Fiskus gut 1,1 Milliarden Reichsmark ein und verbuchte sie als "Sonstige
Einnahmen" im Haushalt. Die regulären Reichseinnahmen beliefen sich im
Haushaltsjahr 1938/39 auf etwa 17 Milliarden Reichsmark. Hinzu gerechnet
werden müssen die Einnahmen aus der Reichsfluchtsteuer und sonstige Erlöse
aus der Diskriminierung der Juden im Haushaltsjahr 1938/39, die -
zurückhaltend kalkuliert - mindestens 500 Millionen Reichsmark ausmachten.
Insgesamt stammten also mindestens neun Prozent der laufenden
Reichseinnahmen im letzten Vorkriegshaushalt aus Arisierungserlösen. Dazu
kam der nicht verbuchte Zwangsumtausch der Devisen und eines Teils des
Aktienbesitzes der Juden in Staatspapiere. (Schon die Reichsfluchtsteuer
brachte zwischen 1933 und 1945 knapp eine Milliarde, davon im Haushaltsjahr
1938/39, in dem wegen des Terrors ertragreichsten Zeitabschnitt, 342 621
000,00 Reichsmark.(7)
Wenn man sich einen Moment lang vorstellt, irgendein Finanzminister,
Stadtkämmerer oder Parteischatzmeister in Deutschland oder irgendwo sonst
auf der Welt könnte heute über plötzliche Mehreinnahmen von neun Prozent
verfügen, ohne die eigenen Leute zu belasten, dann offenbart sich sofort,
wie entspannend die "Judenbuße" und die darüber hinausgehenden Enteignungen
der Juden damals für die Haushälter des Reiches gewirkt haben müssen. Die
Deutsche SteuerZeitung merkte an: "Das Aufkommen aus der
Judenvermögensabgabe fließt ausschließlich dem Reiche zu, das es für seine
allgemeinen Aufgaben und damit zum Wohl des gesamten Deutschen Volkes
verwenden wird."(8) Der SD notierte in möglicherweise übertriebener
Verallgemeinerung: Anders als das Pogrom selbst hätten die "Sühnegesetze in
der Bevölkerung überall Anklang gefunden".(9) Schwerin von Krosigk
verbreitete nach dem Krieg in seinen Memoiren: "Ich deckte die Auferlegung
der Buße auch mit meinem Namen. Doch bei mir war damit die Grenze
erreicht."(10) Wie wenig das der Wirklichkeit entsprach, zeigt schon die
Zweite Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden, die bald
nach Kriegsbeginn bestimmte: "Die Judenvermögensabgabe wird zur Erreichung
des Betrags von einer Milliarde Reichsmark von 20 von Hundert auf 25 von
Hundert des Vermögens erhöht." Das Dokument trägt die Unterschrift Schwerin
von Krosigk. Die Zusatzabgabe war binnen vier Wochen fällig und führte dazu,
dass die Reichskasse insgesamt 1 126 612 495,00 Reichsmark aus der
"Judenbuße" vereinnahmte, nach anderen Quellen etwas mehr, nämlich rund 1,2
Milliarden.(11)
Die tausendfachen personellen und geistigen Kontinuitäten, die aus der Zeit
des Dritten Reiches in die Bundesrepublik führen, sind unstreitig; darüber
muss nicht ständig gesprochen werden. Verfolgte man die späteren Karrieren
der in diesem Buch genannten Reichsbank- und Ministerialbeamten, ließe sich
leicht die Hälfte des Platzes mit postfaschistischen Anekdoten und
unglaublich wahren Geschichten füllen. Nur um das anzudeuten, sei hier die
Art geschildert, in der ein Beamter des Bundesfinanzministeriums, ein
gewisser Dr. Siegert, im Sommer 1951 die Erhöhung der Judenvermögensabgabe
von 20 auf 25 Prozent erläuterte, und zwar in einem offiziellen Brief, mit
dem er eine entsprechende Anfrage von amerikanischer Seite beantwortete:
"Grundsätzlich wurde angeordnet, dass die Judenvermögensabgabe so lange
erhoben werden sollte, bis der volle Betrag der Kontribution von einer
Milliarde Mark erreicht war. Wenn daher der einzelne Jude sich durch
unrichtige Anmeldung seines Vermögens oder durch Nichtzahlung ganz oder
teilweise seiner Abgabepflicht entzogen hatte, so ging das nicht zu Lasten
des Deutschen Volkes, sondern zu Lasten der Juden untereinander."(12) (Die
Hervorhebungen entsprechen dem Original, ebenso die Großschreibung des
"Deutschen Volkes".)
In welcher finanziellen Klemme sich der deutsche Staat im November 1938
befand, erschließt sich auch aus der Art, in der die "Judenbuße" mit Hilfe
deutscher Großbanken zwischenfinanziert wurde. Am 14. November 1938 lud die
Abteilung für Kreditwesen des Reichswirtschaftsministeriums (IV Kred) die
Vorstände der fünf Berliner Großbanken zu einer Sitzung am 23. November
vormittags ein. Das waren Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank,
Reichskredit-Gesellschaft und Berliner Handels-Gesellschaft. Laut Protokoll
sprachen die Beteiligten auch über die von Göring "beschlossene Überführung
des gesamten Grundstücks- und Effekten-Vermögens aus jüdischem Besitz in
zunächst staatliche und später vielleicht private Hände".
In Aussicht standen - je nachdem, wie man die Verwertungsmöglichkeiten
beurteilte -, weitere drei bis fünf Milliarden Reichsmark, also eine
Verstetigung der Zusatzeinnahmen für die nächsten Jahre. Die deutschen
Banken gewährten Juden keine Darlehen mehr, weil sie infolge der politischen
Diskriminierung zu - kredittechnisch gesprochen - "schlechten Risiken"
geworden waren. Um die Zwangsabgabe zu bezahlen, mussten die
Tributpflichtigen daher Wertpapiere, Schmuck und Grundstücke veräußern. Das
aber machte die Banker nervös, da sie "überstürzte und unsachkundige
Verkäufe" von Aktien und damit die Gefahr einer "Déroute am Effektenmarkt"
befürchteten. Schließlich ging es um den für damalige Begriffe "ungeheuren
Effektenblock" von 1,5 Milliarden Reichsmark. Die Banker wollten, dass die
Aktienpakete "langsam und unter entsprechender Marktpflege" verkauft würden,
mit der Einschränkung allerdings, "dass ein Kursrisiko irgendwelcher Art den
Banken nicht aufgebürdet werden" dürfe. Zum technischen Vorgehen
beabsichtigten sie, "die so anfallenden Effekten zur Vermeidung unnötiger
Arbeit bei den Hinterlegungsstellen, bei denen sie zurzeit deponiert sind,
zu Gunsten des Reichsfinanzministeriums zu sperren und sie dann je nach Lage
des Kapitalmarktes sachlich und pfleglich zu Gunsten der
Reichsfinanzverwaltung zu veräußern". Aber das Deutsche Reich war bankrott.
In dieser Situation erboten sich die Banken, "der Reichsfinanzverwaltung auf
die abzuliefernden Effekten [der Juden] einen angemessenen Kassenvorschuss
zu gewähren, über dessen Bedingungen eine Verständigung wohl unschwer
erfolgen könnte". So wurde verfahren.(13 )Im Ergebnis führte die Besprechung
mit den Spitzen des deutschen Bankwesens zur Depotpflicht für alle
Wertpapiere in jüdischem Besitz.(14) Damit waren Marktpflege und
vollständige Kontrolle gesichert, und es war garantiert, dass keinerlei
Schuldtitel des Deutschen Reiches in den Börsenhandel gelangen würden. Die
Spitzen der deutschen Großbanken betätigten sich in diesem Fall nicht als
Räuber, wohl aber als Gehilfen, als konstruktive Mitorganisatoren, die das
effektivste Enteignungsverfahren gewährleisteten. Ferner machten sie sich zu
Hehlern. Sie verwandelten das Enteignete in bares Geld. Für den Kundenverrat
berechnete zum Beispiel die Deutsche Bank ein halbes Prozent
Verkaufsprovision zuzüglich Umschreibungsspesen zu Lasten ihrer jüdischen
Kunden. In gepflegtem Bankdeutsch klang das so: "Für unsere
Arbeitsleistungen im Zusammenhang mit derartigen Kontributionszahlungen
durch Wertpapierhergabe wollen wir unseren Auftraggebern, d. h. den
jüdischen Depotinhabern, 1/2 % Provision vom ausmachenden Betrag, mind. RM
1,- pro Wertpapierposten, in Rechnung stellen."(15) Auch belebte der weitere
Handel mit den vorübergehend verstaatlichten Wertpapieren das Geschäft und
eröffnete den Banken die Möglichkeit des privilegierten Zugriffs. In der
Hauptsache jedoch floss der Erlös in die deutsche Staatskasse und minderte
die Lasten für die Allgemeinheit. Dasselbe galt auch für
Lebensversicherungen, die in der weit überwiegenden Zahl der Fälle zum
vertraglich festgelegten Rückkaufswert an den Reichsfiskus ausbezahlt
wurden.
Die Effekten verkaufte die Bank, die das Zwangsdepot in staatlichem Auftrag
und zum Nachteil der ehemaligen Kunden verwaltete, zugunsten des Reiches
oder gab sie an die Preußische Staatsbank (Seehandlung) ab. In anderen
Fällen wurden sie an die Wertpapierabteilung der Reichsbank übergeben und
von dort aus vermarktet. Die Institute rechneten auf einem Vordruck
"Inzahlungnahme von Wertpapieren für die Judenvermögensabgabe" mit
Oberregierungsrat Dr. Bußmann vom Reichsfinanzministerium ab und überwiesen
die Erträge auf das Vorschusskonto "Judenvermögensabgabe, Abschnitt
Wertpapiere" der Reichshauptkasse. Das geschah fortlaufend, bis zum Ende der
NS-Herrschaft.(16) Da die Aktienkurse bis zum Herbst 1941 stark stiegen,
stiegen auch die Einnahmen für das Reich - gelegentlich um mehr als 200
Prozent.(17) Offenbar verkaufte die Reichsbank solche Wertpapiere später
auch an den Börsenplätzen in den besetzten Ländern, etwa in Paris.(18)
Oberregierungsrat Dr. Walter Bußmann war derjenige leitende Beamte, der vom
1. September 1939 bis 1945 zusammen mit seinem Vorgesetzten,
Ministerialdirigent Walther Bayrhoffer, die Kriegsfinanzen managte.
Letzterer leitete seit 1939 das Generalbüro für Allgemeine Finanzierungs-
und Kreditfragen im Reichsfinanzministerium. Am 1. Februar 1939 wurde er
zudem als Vertreter des Finanzministers in das Direktorium der Reichsbank
berufen. Dort zeichnete er für allgemeine Rechts- und volkswirtschaftliche
Fragen verantwortlich, für den baren Zahlungsverkehr und öffentliche
Finanzwirtschaft.(19)
Das Prinzip Staatsraub
Gewöhnlich
verbindet sich die Vorstellung von Arisierungsgewinnlern schnell mit
Konzernmanagern und Bankdirektoren. Die in den späten 1990er-Jahren in
vielen europäischen Staaten und Großunternehmen eingesetzten, aus
Fachhistorikern gebildeten Untersuchungskommissionen zur NS-Zeit verstärkten
den in der Gesamtschau falschen Eindruck. In der etwas differenzierteren
Fachliteratur werden daneben kleinere und größere Nazi-Funktionäre gerne zu
den Absahnern der Arisierung gezählt. Seit einigen Jahren geraten zudem
gewöhnliche deutsche Nachbarn ins Blickfeld, ebenso polnische, tschechische
oder ungarische Nutznießer - Leute, die sich ihre schmutzigen Dienste für
die Besatzungsmacht nicht selten aus "entjudetem" Eigentum vergelten ließen.
Doch führt jede Konzeption, die sich allein auf die privaten Profiteure
konzentriert, in die Irre. Sie verfehlt den Kern der Sache, wenn die Frage
beantwortet werden soll, wo das Eigentum der expropriierten und ermordeten
Juden Europas geblieben ist. […]
In wünschenswerter Klarheit konnte ich den Entscheidungsprozess nur für das
Militärverwaltungsgebiet Serbien aus den Akten rekonstruieren. Dort
ermordeten die Deutschen die Juden ungewöhnlich schnell. Bereits ein Jahr
nach dem Überfall resümierte der Militärverwaltungschef Mitte April 1942:
"Schon vor Monaten habe ich alles an Juden im hiesigen Lande Greifbare
erschießen und sämtliche Judenfrauen und Kinder in einem Lager konzentrieren
lassen und zugleich mit Hilfe des SD einen Entlausungswagen angeschafft, der
nun in etwa 14 Tagen bis 4 Wochen auch die Räumung des Lagers endgültig
durchgeführt haben wird." (Unter "Entlausungswagen" verstand der Chef der
Militärverwaltung einen Gaswagen, in dem die jüdischen Frauen, Kinder und
Alten mit Hilfe von einströmendem Motorgas erstickt wurden.) Wenige Wochen
später waren von den etwa 22 000 serbischen Juden die allermeisten tot. Am
23. Mai stellte der Judenreferent des Auswärtigen Amts fest: "Die Judenfrage
ist in Serbien nicht mehr akut. Es handelt sich dort nur noch um die
Regelung vermögensrechtlicher Fragen."(20)
Für das Konfiszieren der Vermögen war das Referat 17 (später 12) des
Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft in Serbien zuständig. Es wurde
von dem Reichsbankbeamten Hans Gurski geleitet, der vorher im Stab des in
den folgenden Abschnitten noch bedeutsamen Hermann Neubacher in Bukarest
gearbeitet hatte. Kaum hatten Einheiten der Wehrmacht und der SS die
serbischen Juden im Frühjahr 1942 ermordet, beratschlagten die Fachleute der
Besatzungsverwaltung und der Vierjahresplanbehörde die endgültige Verwendung
der materiellen Hinterlassenschaften.(21 )Noch am 23. Mai 1942 ging das
Auswärtige Amt davon aus, das Vermögen würde, sobald die Ansprüche der
Volks- und Reichsdeutschen bedient seien, "in einer Art Stiftung vom Reich
verwaltet werden".(22 )Auch in der Kommissarischen Verwaltung des jüdischen
Haus- und Grundbesitzes rechnete man "mit der Möglichkeit eines späteren
Verfalles des Judenvermögens in Serbien zugunsten des Reiches".(23) Die
meisten Beamten sahen in den potenziellen Arisierungserträgen einen
Vorschuss auf die später noch im Einzelnen festzulegende
"Kriegsentschädigung" Serbiens an den Aggressor Deutschland.
Auch die Vierjahresplanbehörde engagierte sich am 21. März 1942 noch für die
"Verwertung zugunsten des Reichs".(24) Dagegen opponierte das
Reichsfinanzministerium. Dessen Vertreter Christian Breyhan regte im Mai
1942 an, die Erlöse müssten "der Ordnung halber durch den serbischen
Haushalt laufen". Anschließend habe es der Militärbefehlshaber durchaus "in
der Hand, den Verwendungszweck festzulegen und die serbische Verwaltung
entsprechend anzuweisen".(25 )Einen Monat später fand eine weitere
Zusammenkunft zu derselben Frage statt. Darüber berichtete der Vertreter des
Auswärtigen Amtes: "Bei der Besprechung über die Liquidierung des serbischen
Judenvermögens am 19. Juni im Hause des Vierjahresplans wurde auf Grund
verschiedener Vorbesprechungen Folgendes beschlossen: Das Vermögen der Juden
in Serbien ist zugunsten Serbiens einzuziehen. […] Die Einziehung soll
zugunsten Serbiens erfolgen, weil eine Einziehung zugunsten des Reiches der
Haager Landkriegsordnung widersprechen würde. Der Erlös kommt aber mittelbar
uns [den Deutschen] zugute […]."(26) In der Haager Landkriegsordnung heißt
es in Artikel 46 glasklar: "Das Privateigentum darf nicht entzogen werden."
Die Vorschrift gilt allerdings nur für die Besatzungsmacht, nicht für die
nationale Verwaltung des besetzten Landes.
Wenige Tage nach dem Berliner Treffen schloss sich Göring den Einwänden der
Finanzfachleute an und verfügte: Hinfort sei "das jüdische Vermögen in
Serbien […] zugunsten Serbiens einzuziehen", um damit, so begründete er,
"eine finanzielle Hilfe für den durch die Last der Besatzungskosten ohnehin
stark beanspruchten serbischen Staatshaushalt zu ermöglichen".(27) Nun hatte
der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft "die Übergabe der von ihm
verwalteten Judenvermögen südlich der Donau zu beschleunigen, damit Serbien
so rasch wie möglich mit der Verwertung anfangen kann". (Nördlich der Donau
bedienten sich die in der Batschka ansässigen Deutschen mit rabiaten
Methoden.) Im Übrigen wurde festgelegt: "Die serbische Regierung muss eine
Verordnung des in Serbien gelegenen Vermögens von Juden, die am 15. 4. 1941
jugoslawische Staatsbürger waren, zugunsten des serbischen Staates
herausbringen."(28) Der serbische Ministerrat erließ diese am 26. August
1942. Neben den schon genannten Hauptmotiven für den Entschluss - den Dinar
zu stärken und so zu tun, als würde die Haager Landkriegsordnung respektiert
- lag der Besatzungsmacht auch daran, "das Ansehen der serbischen Regierung
Nedic […] durch die Freigabe des Judenvermögens zugunsten Serbiens zu
stabilisieren".(29)
Tatsächlich machten in der zweiten Jahreshälfte 1941 "die Kriegslasten etwa
das Doppelte der bereits nicht gedeckten Normalauslagen im serbischen
Staatshaushalt aus", woraus sich - auch aus deutscher Sicht - sofort "eine
äußerst ernsthafte Gefährdung der Währung" ergab.(30) Bis dahin hatten die
Besatzungskosten monatlich etwa 500 000 Dinar betragen. Das Gesamtvermögen
der serbischen Juden schätzte man im Dezember 1944 auf drei bis vier
Milliarden Dinar.(31 )Zum Zeitpunkt der Berliner Entscheidung reichte es
also, um die Besatzungskosten für ein gutes halbes Jahr zu decken,
beziehungsweise dafür, über einen längeren Zeitraum den Inflationsdruck auf
die serbische Währung zu mindern.(32) Folglich meldete der Vertreter des
Auswärtigen Amtes im September 1942 zu dem in den Monatsberichten regelmäßig
behandelten Punkt "Begrenzung der Besatzungskosten": Das Thema bedürfe
"zurzeit keiner Erörterung".(33)
Solche Sätze, wie sie sich für Serbien dokumentieren lassen, verweisen auf
die generell angewandte, hoch geheime Enteignungsmethode, mit der sich die
Deutschen im ganzen von ihnen beherrschten Europa des jüdischen Eigentums
bemächtigten. Nur anderswo verwischten sie selbst - später auch die
kollaborierenden Finanzverwaltungen und (National-)Banken der unterworfenen
Länder( )- die Spuren gründlich. Die deutschen Besatzer machten nationale
Institutionen, möglichst auf der Basis eigens erlassener nationaler Gesetze,
zu Hehlern, ließen das Geld in das Sammelbecken Staatshaushalt fließen, um
es sich dort in nunmehr von den Spuren der Herkunft gereinigter Form
anzueignen.
Die Früchte des Bösen
Die schon 1938
in Deutschland angewandte Technik der Kriegsfinanzierung mittels der
staatlich verfügten Transformation von Privatvermögen in Staatsanleihen ist
von denjenigen, die sich juristisch, moralisch oder historiografisch mit der
Arisierung beschäftigten, ignoriert worden. Das entsprach dem Willen der
deutschen Führung, die den materiellen Nutzen des Raubes mit Stillschweigen
übergehen wollte. Über die zwangsweise Umwandlung jüdischer Vermögenswerte
in Kriegsanleihen durfte nicht berichtet werden, konkrete Zahlen über die
Erlöse blieben geheim. Stattdessen sollte die Judenverfolgung als rein
ideologische Frage propagiert und aufgefasst werden. Die wehrlosen Opfer
eines heimtückischen Massenraubmords sollten als nichtswürdige Feinde
erscheinen. Auf einer vom Oberkommando der Wehrmacht verfassten Liste von 19
politischen und militärischen Problemen, die unter den Soldaten Unruhe
auslösten und von den Offizieren mit möglichst einheitlichen Antworten
pariert werden sollten, stand 1943 die Frage: "Haben wir uns in der
Judenfrage nicht zu weit vorgewagt?" Die Antwort lautete: "Falsche
Fragestellung! Nationalsozialistischer und weltanschaulicher Grundsatz -
keine Diskussion!"(34) Es besteht kein Grund, die Argumentationshilfe für
nazistische Indoktrinatoren mit der geschichtlichen Faktenlage zu
verwechseln. […]
Die zwölf kurzen Jahre zwischen 1933 und 1945 erlebten die Deutschen als
permanenten Ausnahmezustand. Im Karussell der Ereignisse verloren sie
Gleichgewicht und Augenmaß. "Es kommt mir immer alles wie Kino vor", bemerkt
Victor Klemperers Kaufmann Vogel mitten in der Sudetenkrise 1938.(35) Ein
Jahr später, neun Tage nach dem Beginn des Feldzuges gegen Polen,
versicherte Göring den Arbeitern der Rheinmetall-Borsigwerke in Berlin, sie
könnten sich auf eine Führung verlassen, "die selber vor Energie, ich möchte
sagen, rast".(36 )In seinem Tagebuch sekundierte Goebbels im Frühjahr 1941:
"Am ganzen Tag ein tolles Tempo"; "Jetzt fängt das rasende Offensivleben
wieder an" oder - im antibritischen Siegesrausch -: "Ich verlebe den ganzen
Tag in einem fiebernden Glücksgefühl".(37)
Oft deutete Hitler im engeren Kreis die Möglichkeit seines baldigen Todes
an, um das für die politische Balance erforderliche überdrehte Tempo seines
Regierens zu wahren. Er bewegte sich ähnlich einem dilettierenden
Seiltänzer, der sein Gleichgewicht nur mit Hilfe immer weiterer, immer
schnellerer, schließlich hastig-zielloser Ausgleichsbewegungen halten kann -
und zuletzt notwendigerweise stürzt.
Der Autor
lebt als wissenschaftlicher Publizist und politischer Essayist in Berlin und
ist zurzeit Gastprofessor für interdisziplinäre Holocaustforschung in
Frankfurt am Main. Zuletzt erschien "Im
Tunnel. Das kurze Leben der Marion Samuel 1931-1943", Frankfurt
2004. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005.
Anmerkungen:
(1) Reichswirtschaftsministerium (III. Jd. 29/38) 25. 7. 1938, Politisches
Archiv des Auswärtigen Amtes/Inland IIA/B 26.
(2) Personalakte Richard Buzzi, BA-DH ZA ZE 6175.
(3) Reichsfinanzministerium, RS (Schwerin v. K.), 5. 7., 1. 9., 8. 12. 1938;
RBDirektorium, 29. 12. 1938 an RFM (Bayrhoffer), BA R 2/3847, Bl. 139 ff.,
180 f., 190 ff.
(4) Reichswirtschaftsministerium, Statistik und Begleitbericht [Ende 1938],
BA R 7/4740, Bl. 36 ff.
(5) Auswärtiges Amt (Woermann), 18. 11. 1938, über die Rede Görings vom
Vortag, IMG, Bd. 32, S. 411 ff.
(6) Verordnung über die Sühneleistung der dt. Juden, 12. 11. 1938, RGBl. I,
S. 1579; DVO, 21. 11. 1938, ebd., S. 1638-1640.
(7) Friedenberger u. a. (Hg.), "Die Reichsfinanzverwaltung, im
Nationalsozialismus", Bremen 2002, S. 30.
(8) Regierungsrat W. Donandt, Berlin, RFM: Die Judenvermögensabgabe, 28. 1.
1939, ebd., S. 67 f.
(9) Gestapo Bielefeld an Gestapo Berlin, 26. 11. 1938, Rudolf Stöber, "Die
erfolgverführte Nation", Stuttgart 1998 S. 209.
(10) Schwerin v. K., "Staatsbankrott", S. 279.
(11) RGBl., I/1939, S. 2059; Friedenberger u. a. (Hg.):
"Reichsfinanzverwaltung", S. 21; Nachprüfung der gegen die jüdische
Bevölkerung ergriffenen Maßnahmen auf wirtschaftlichem und finanziellem
Gebiet auf Wunsch von Mr. Kagan durch das Archiv des Bundesministers der
Finanzen (Siegert), 14. 8. 1951, BA R 2/Anh./52, Bl. 9-11.
(12) Ebd.
(13) Sämtliche Zitate über das antijüdische Zusammenwirken von Privatbanken
und Reichsregierung finden sich in der RKG-Akte (Reichskreditgesellschaft),
BA R 8136/3692 (21 Bl.).
(14) Verordnung, 3. 12. 1938, RGBl. I, S. 1710, §§ 11, 12; Schwerin v. K. an
die FÄ des Reiches, 10. 12. 1938, NG-4902.
(15) Rundschreiben der Dt. Bank an ihre Filialen, 13. 12. 1938, BA R
8119/10563, Bl. 99, 180.
(16) Reichsfinanzministerium, 13. 12. 1941, NG-5067; RFM, 1. 9. 1942,
NG-5040, Reichsfinanzministerium, 14. 9. 1942, NG-5000; Alf Krüger, "Die
Lösung der Judenfrage in der deutschen Wirtschaft", Berlin 1940, S. 371 ff.;
selbst noch für das Jahr 1944 finden sich umfängliche Abrechnungen der
Preußischen Staatsbank zur "Inzahlungnahme von Wertpapieren für die
Judenvermögensabgabe", BA R 2/31802, für 1938/39: 14695, 14696, 14697 (bis
dahin Formulare, Vermerke, RS zum Verfahren usw.), 14698; für 1940: 14700;
für 1941: 14710, 14711; für 1942: 31801; zeitlich und inhaltlich gemischt:
14701, 14702, 14699. Gut informiert ist der Zeitungsartikel "Ein circulus"
in der Berliner Börsen-Zeitung, 9. 2. 1939.
(17) Preußische Staatsbank an RFM (Bußmann), 6. 3. 1942, BA R 2/31800, Bl.
99; R 2/31800.
(18) Rundbrief, Wertpapierabrechnungen 272.1941, 10. 4. 1942, NA AJ
40/1125B.
(19) Erklärung Bayrhoffer, 5. 2. 1948, NID-14444.
(20) Übersicht über Maßnahmen gegen Juden in den besetzten Gebieten
(Rademacher), 23. 5. 1942, PA AA R 103285, Bl. 1. Aus einer Anlage vom 17.
9. 1942, die zum Prüfbericht des Rechnungshofs erstellt wurde, geht hervor,
dass die Ghettoisierung und Ermordung der serbischen Juden insgesamt 33 500
000 Dinar kostete, BA R 26/VI/602, Bl. 23; Bericht über die Verwaltung des
Judenvermögens in Serbien (Gurski), 1. 12. 1944, (im Folgenden:
Gurski-Bericht) BA R 26/VI/470, Bl. 51.
(21) Ebd. und RH (Müller) an GBW, Verwaltung des Judenvermögens, 3. 6. 1942,
BA R 26/VI/602, Bl. 2-9.
(22) Vermerk Rademachers, PA AA Pol. Abt. Judenfragen 36/1 (Serbien), Bl.
629-632.
(23) Schlussbericht der Kommissarischen Verwaltung des jüdischen Haus- und
Grundbesitzes, 22. 6. 1943, BA R 26/VI/359, Bl. 87.
(24) GBW (Gurski) an RH, 8. 9. 1942, BA R 26/VI/602, Bl. 12-20.
(25) Reichsfinanzministerium (Breyhan), 22. 5. 1942, BA R 2/30132.
(26) Auswärtiges Amt (AA), HaPol (Pamperrien), 20. 6. 1942, PA AA R 111255;
die Besprechung betraf auch das bewegl. Judenvermögen, RFM (Breyhan), 1. 7.
1942, BA R 2/330, Bl. 33.
(27) Treuhandverwaltung und Judenvermögen, 23. 3. 1945, S. 14f., BA F 627 P.
(28) Vierjahresplan (Gramsch) an Auswärtiges Amt, 20. 6. 1942, ebd.
(29) Gurski-Bericht, Bl. 51 f.
(30) Der Bev. des AA beim MB in Serbien an AA, 13. 9. 1941, ähnlich am 5.
11. 1942, PA AA R 111208.
(31) Gurski, 16. 10. 1944, BA R 26/VI/470, Bl. 68; Gurski an Gramsch (VJP),
30. 4. 1943, ebd., Bd. 364, Bl. 345-357; Karl Heinz Schlarp, "Wirtschaft und
Besatzung in Serbien", S. 294 f. Der reale Ertrag wird geringer gewesen
sein, ebd., S. 297 ff. Wie sich Besatzungskosten und Inflation in Serbien
weiterentwickelten, zeigt der Bericht von Gotthardt (RWM), 15. 1. 1944, BA R
2/14553, Bl. 204-206; das RFM (Breyhan) schätzte das jüdische Vermögen in
Serbien auf 150 Mill. RM (= 3 Mrd. Dinar), 22. 5. 1942, BA R 2/30132.
(32) Schlarp, "Wirtschaft", S. 302.
(33) Woermann (AA) an v. Rintelen (AA), Lage in Serbien, 24. 9. 1942, auf
der Basis des Telegramms von Benzler (Belgrad), 19. 9. 1942, NA T 120/1174,
Aufn. 093 ff.
(34) Wehrmachtsverwaltungsamt, Besprechungspunkte (Mai 1943), NA RG 238, Box
26 (Reinecke-Files).
(35) Victor Klemperer, "Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten, Tagebücher
1933-1941", Berlin 1995, S. 410 (25. 5. 1938).
(36) Völkischer Beobachter, 11. 9. 1939, im Orig. "von Energie".
(37) Goebbels-Tgb., I/9, S. 171, 229, 247 (5. 3., 6., 14. 4. 41).
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15-03-2005 |