von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 17. Februar 2005
"Was hat die israelische Armee noch zu tun, sowie der
Friede ausbricht." Diese Frage wurde dem Forscher Eyal Ben Ari nach dem
Rückzug aus Südlibanon im Mai 2000 gestellt. Sein Team dachte über die
Beteiligung an "Friedenstruppen" nach. Im Sommer 2000 glaubten sie, dass in
Camp David nur noch der letzte Aufwisch für einen endgültigen Frieden
zwischen Israelis und Palästinensern gemacht werde.
Doch schon ab Oktober 2000 wurden die Militärforscher des "Harry S. Truman
Forschungsinstitut für die Förderung des Friedens" der Hebräischen
Universität von Jerusalem unfreiwillig gefordert, statt über eine Armee in
Friedenszeiten zu forschen, die Feinheiten einer Armee in einem "niedrig
intensiven Konflikt" zu erkunden. Die Intifada ist kein richtiger Krieg.
Dennoch werden die Soldaten wie in einem Krieg eingesetzt, vor allem die
Scharfschützen.
Die Konrad Adenauer Stiftung veranstaltete zusammen mit der El Kuds
Universität und dem Truman-Institut eine akademische Diskussion unter
Ausschluss der Presse. Professor Ben Ari stellte dabei seine noch
unveröffentlichte Forschungsarbeit über israelische Scharfschützen vor.
Seit der ersten Intifada ab 1987 seien die israelischen Militäraktionen
"zunehmend durchsichtiger" geworden. Menschenrechtsorganisationen, die
Presse und Politiker beobachten immer genauer, was die Soldaten im Felde
tun. "Welchen Einfluss haben die verstärkten Diskussionen um Menschenrechte
im öffentlichen Diskurs auf das Verhalten der Soldaten in den Kampfzonen",
fragten sich die Forscher. In der israelischen Armee sei vermehrt über
"Menschenwürde" diskutiert wurden, meistens über den Umgang mit Rekruten und
Untergebenen, aber auch vergewaltigten Soldatinnen. Nur beiläufig wurde über
den Umgang mit dem "Feind", der palästinensischen Zivilbevölkerung und
"Terroristen" debattiert.
Das Problem des "Kollateralschadens", also unschuldiger Opfer infolge
militärischer Aktionen, sei bei den Amerikanern im Zusammenhang mit dem
Einsatz von Nuklearwaffen während des Kalten Krieges aufgekommen. Die
Diskussionen führten zu dem Konzept "chirurgischer" Eingriffe bei "low-tech"
(konventionellen) Konflikten. "Die Militärs liebten diese Idee", sagte Ben
Ari.
Für seine Forschungsarbeit befragte Ben Ari 170 Offiziere, darunter 31
Scharfschützen. Zu seiner Überraschung bemerkte er beim Durchgehen der
Interviews, dass sie davon redeten "einen Menschen" getötet zu haben, also
nicht einen "Araber", einen "Feind" oder einen "Terroristen". Die gesamte
psychologische Literatur, so Ben Ari, gebe vor, dass zum Töten gezwungene
Menschen ihr eigenes Gewissen erleichtern, indem sie ihre Opfer
"entweder entmenschlichen oder dämonisieren". Bei den israelischen Soldaten
habe er das "fast gar nicht" vorgefunden.
"Das Einschussloch ist winzig, aber das Gehirn explodiert und der halbe Kopf
fehlt", zitiert Ben Ari einen befragten Scharfschützen. "Das erste Mal ist
sehr schwer. Aber wenn wir das nicht tun, würden sie unsere Frauen und
Kinder umbringen. Wir müssen diesen Job tun", folgte als Rechtfertigung.
Manche Schützen berichteten, dass sie sich wie "Gott im Schlachtfeld"
fühlten, als "Herren über Leben und Tod". Andere genossen "professionelle
Befriedigung" bei erfolgreicher Pflichterfüllung.
Das Töten sei für israelische Scharfschützen "weder banal noch traumatisch",
fasst Ben Ari seine Erkenntnisse zusammen. Er bemerkte bei manchen Soldaten
eine "psychologische Distanzierung". Bekanntlich falle das Töten
Bomberpiloten und Artilleristen leichter als Panzersoldaten oder
Infanteristen, da sie ihr Opfer nicht "direkt sehen" könnten. Um sich zu
distanzieren, erzählten einige Scharfschützen, dass sie ihr Zielfernrohr
"wie ein Computerspiel" betrachteten.
Ben Ari bemerkte nur "sehr seltene Fälle" von Dämonisierung des Feindes,
zumal die anderen Soldaten und die Gesellschaft das gezielte Töten der
Scharfschützen voll mittragen. Einfache Soldaten bezeichneten die
Scharfschützen als "sehr wichtig". Die israelische Gesellschaft betrachte
das gezielte Töten als "notwendig"- um sich zu schützen und gleichzeitig den
Tod von Unschuldigen zu vermeiden. Deshalb sei ein Prozess der
"Dämonisierung" überflüssig, meint der Forscher.
Die Scharfschützen hätten die Aufgabe, die "Feinde" auszuschalten, oft durch
gezielte Schüsse in die Waden und nicht mit tödlichen Schüssen, sagte Ben
Ari. Die Alternative sei der Einsatz eines Maschinengewehrs. Doch das
bedeute viele unschuldige Opfer, ohne Garantie, allein jenen zu treffen, von
dem die Gefahr ausgehe.
Israelische Scharfschützen:
Originalzitate
Die Studie über Scharfschützen und ihren Umgang mit dem Töten wurde "unter
Ausschluss der Presse" vorgestellt. Die Zitate werden hier mit seiner
Genehmigung zum ersten Mal veröffentlicht...