Ausgrenzende Integration:
Die Dekade erklärt die Roma zum Problem
Von Rudko Kawczynski
Jungle World 5 v.
02.02.2005
Es ist bezeichnend: Schon bei der Planung der Dekade der
Roma-Integration hat man die Roma und ihre Vertretungen ausgegrenzt. Roma
und Sinti sind bis heute nur am Rande als Ausschmückung beteiligt. Man hat
sie wie so oft als Objekte behandelt. Meine Befürchtung ist deshalb, dass
wir es weniger mit einer Dekade der Roma-Partizipation zu tun haben als
vielmehr mit einer Dekade der forcierten Assimilation zur Lösung des
"Roma-Problems". Dieses ganze Brimborium der Romadekade hat wenig Substanz.
Es ist nicht viel mehr als eine politische Absichtserklärung. Ich befürchte,
dass die acht an der Dekade beteiligten Staaten die Weltbank eher als eine
Einnahmequelle angesehen haben und nur den Anschein erwecken, dass sie etwas
im Sinne der Roma ändern wollen.
Wir wissen längst, dass wir es mit einem europäischen Antiziganismus, einer
Art Apartheid, zu tun haben, in der die Roma die Outlaws sind. Man kann den
Antiziganismus nicht dadurch bekämpfen, dass man an den Opfern herumdoktert.
Eine Romadekade müsste bedeuten, die zivile Gesellschaft zu stärken, die
Roma an den Entscheidungsprozessen partizipieren zu lassen und sich mit dem
Antiziganismus der Mehrheitsbevölkerung auseinanderzusetzen. Man kann auch
nicht Antisemitismus bekämpfen, indem man bessere Wohnungen für Juden baut.
Sicher geht es auch darum, die sozialen Missstände für Roma abzuschaffen,
doch das sind nur Symptome. Vor allem muss das Grundübel bekämpft werden,
der Antiziganismus. Diese Staaten müssen sich verändern, die
Mehrheitsgesellschaften müssen beginnen, ihre Anti-Roma-Traditionen
abzubauen. Doch bei dieser Dekade werden die Roma zum Problem erklärt, um
die vermeintliche Integration – sprich Assimilierung – voranzubringen.
Ein konstruktiver Ansatz ist hingegen das "European Roma and Travellers
Forum". Dort sind Roma-Organisationen aktiv beteiligt, legitimiert und
gewählt. Das Forum ist eine Vertretung der Roma im Europarat. In den
nächsten Monaten werden in den 46 Mitgliedsstaaten des Europarates zum
ersten Mal in der europäischen Geschichte Roma und Traveller eigene Wahlen
durchführen und jeweils ihre Delegierten wählen, die dann die erste
legitimierte Vertretung bilden.
Wir haben ein spezielles Partnerschaftsabkommen mit dem Europarat
abgeschlossen, so dass die Roma künftig an allen Entscheidungsprozessen
beteiligt sein werden. Das ist der richtige Weg: die Betroffenen selbst zu
beteiligen, den Roma eine Stimme zu geben. Die Initiative kam von den Roma
und der finnischen Präsidentin, Tarja Halononen. Während die Dekade von oben
nach unten organisiert ist, ist das Forum demokratisch von unten nach oben
strukturiert.
Und es geht uns auch nicht nur um acht osteuropäische Staaten. Der
Antiziganismus ist im Westen ebenso traditioneller Bestandteil des
kulturellen Kodex wie in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Es ist nur
diese irrationale Angst, dass riesige Ströme von Roma nach Westen
marschieren, weshalb man die Staaten des ehemaligen Ostblocks als besondere
Problemstaaten definieren will.
Der Antiziganismus ist wie der Antisemitismus aber ein gesamteuropäisches
Problem. Ob diese Dekade ihren Beitrag zur Bekämpfung des Antiziganismus
leisten wird, kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Eines will ich aber der
Initiative bereits jetzt zugute halten: Sie wird uns alle in der nächsten
Zeit beschäftigen und eine Diskussion über die Beteiligung der Roma an
gesellschaftlichen und politischen Prozessen in Europa anregen.
Rudko Kawczynski ist Sprecher des Roma National Congress
(RNC) und Präsident des European Roma and Traveller Forums
hagalil.com 04-02-2005 |