
Rechtsextreme an der Berliner Uni vor 1933:
Dr. cand. radau
Von Christian Saehrendt
Jungle World 6 v.
09.02.2005
Weit vor dem großen Jubiläum der Humboldt-Universität
beauftragte der Akademische Senat eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema
befassen sollte: "Die Berliner Universität und die NS-Zeit. Verantwortung,
Erinnerung, Gedenken". Ein gleichnamiges Symposium durfte Vorschläge machen,
wie an die "Täter", "Gegner", "Opfer" und "Indifferenten" im
hauptstädtischen Universitätsleben des "Dritten Reiches" erinnert werden
kann. Der Phantasie wurden keine Grenzen gesetzt, kosten, so schickte die
Universitätsleitung voraus, darf es allerdings nichts, bzw. kaum etwas.
Eine kleine Auswahl an Ideen sei hier erwähnt: Preiswert und
sinnvoll ist beispielsweise die Einarbeitung der NS-Geschichte in die
Lehrpläne verschiedenster Fakultäten. Schön, aber teuer wäre die Einrichtung
eines Universitätsmuseums mit thematischen Sonderausstellungen zur
Wissenschaft in der NS-Zeit. Teuer und überflüssig wäre es, PR-Agenturen
damit zu beauftragen, die Erinnerungsarbeit der HU nach außen darzustellen.
Teuer wären auch künstlerische Wettbewerbe und Denkmäler. Da liegt es doch
näher, eine Verbindung der Universität zum Denkmal der Bücherverbrennung zu
schaffen, das auf der anderen Seite der Linden liegt. Hier wäre, so ein
Vorschlag, eine temporäre Lichtbrücke zwischen Universität und Denkmal über
die Straße hinweg zu schaffen.
Dass sich Berliner Studenten an der Bücherverbrennung im Mai
1933 beteiligten, wird immer noch als Kulturschock empfunden. Die Tat war
jedoch keine Überraschung, sondern fast logische Konsequenz der
Rechtsradikalisierung der Berliner Studenten während der Weimarer Republik.
Lange Zeit vernachlässigte die historische Forschung den Antisemitismus und
extremen Nationalismus der Studenten in der Weimarer Republik. Die
Untersuchung des akademischen Milieus ist dabei von besonderem Interesse,
weil es Multiplikatoren hervorbrachte, die Staat und Gesellschaft in
leitenden Positionen beeinflussen konnten. Im folgenden Beitrag soll der
Blick auf die politischen Auseinandersetzungen gelenkt werden, die zwischen
1918 und 1933 an der Berliner Universität stattfanden. Der Befund lautet:
Die Berliner Universität wurde schon weit vor 1933 zu einer Zone innerhalb
der Republik, in der Demokratie und jüdische Emanzipation nur eingeschränkt
galten. Ab Ende der zwanziger Jahre lässt sich von systematischem und
alltäglichem Terror nationalsozialistischer Studenten sprechen. Der Boden
für die Machtübertragung an die NSDAP war hier schon lange vorbereitet.
Alltäglicher Antisemitismus
Schon während des reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsches im März
1920 diente die Universität den Aufrührern als Stützpunkt. Rektor Eduard
Meyer ließ studentischen Aktivisten und Militärs im Universitätsgebäude
freien Lauf. Zunächst kam er der Bitte des studentischen Vertreters nach,
die Schließung der Universität zu verfügen, weil sich angeblich die
Studentenschaft mehrheitlich der Nothilfe (einer Streikbrecherorganisation)
und dem putschistischen Zeitfreiwilligendienst zur Verfügung stellen wollte.
Der Studentenvertreter Biertimpel, vom Vorwärts als "kraftstrotzend und
stimmstark, bewährt im Niederbrüllen pazifistischer Professoren"
charakterisiert, erklärte unterdessen, er stehe auf der Seite der neuen
Regierung. Rektor Meyer ließ eilig die Fahne des Kaiserreichs auf dem
Gebäude hissen. Dieses Verhalten blieb nach dem Zusammenbruch des Putsches
ohne ernsthafte Konsequenzen.
Nach 1919 verschärfte sich die soziale Situation vieler
Studierender, Kriegsheimkehrer und Vertriebener, und der Zustrom von
Studentinnen sorgte für eine überfüllte Universität. Wirtschaftskrise und
staatliche Einstellungsstopps, die sich aus der angespannten Haushaltslage
ergaben, schmälerten die Arbeitsmöglichkeiten der zahlreichen Absolventen,
die nun einem scharfen Wettbewerb ausgesetzt waren. Unter Jungakademikern
wuchs die Enttäuschung und Verunsicherung, sie hatten vom Staat ihre
Existenzsicherung erwartet und lasteten die Misere der Republik an. In
diesem Klima weckten der Fleiß und die Flexibilität vieler jüdischer
Studierender Neid.
Die Gründung der Berliner Universität war mit dem Anspruch
verbunden gewesen, Staat und Wissenschaft zu trennen. Nach Wilhelm von
Humboldt hemmt staatliche Einmischung den wissenschaftlichen Fortschritt.
Laut den Universitätsstatuten von 1816 stand die Hochschule nur unter der
formalen Aufsicht, nicht unter der direkten Leitung des preußischen Staates.
Es entstand eine universitäre Selbstverwaltung mit oligarchischem Charakter
und einer eigenständigen Gerichtsbarkeit.
Die Urteile des Akademischen Senats über Auseinandersetzungen
unter Studenten zeigen, dass der Antisemitismus im akademischen Milieu auch
nach 1918 als Selbstverständlichkeit galt. Zum Beispiel wurde Georg
Dienemann mit einem Verweis und einem consilium abeundi (einer Verwarnung,
die der Exmatrikulation vorausgeht) bestraft, weil er auf eine
antisemitische Provokation reagiert hatte. In der Stadtbahn hatte der
Student Wilhelm Balk laut verkündet: "Unsere Reichshauptstadt wird immer
teurer, schlechter und jüdischer." Dienemann stellte Balk zur Rede und
forderte "studentische Genugtuung", die ihm jener verweigerte, weil
Dienemann Jude sei. Dienemann schlug zu. Der Senat verurteilte sein "überaus
rohes und eines Akademikers unwürdiges Verhalten". Weil Balks Äußerung keine
persönliche Beleidigung gewesen sei, habe Dienemann kein Recht gehabt, eine
Entschuldigung oder gar studentische Genugtuung einzufordern. Er sei
sozusagen selbst schuld, wenn er sich durch die Äußerung beleidigt gefühlt
habe.
Die Ermordung des Außenministers Walther Rathenau schlug auch
an der Friedrich-Wilhelm-Universität hohe Wellen, weil ein Mittäter dort
studiert und agitiert hatte. Willi Günther, wegen Beihilfe zum Mord an
Rathenau verurteilt, hatte zuvor für eine "Vereinigung von
kriegsfreiwilligen, deutsch empfindenden Studierenden der fünf Berliner
Hochschulen" Geldgeber gesucht. Aufgaben dieser Vereinigung seien die
"Organisation von Fünf-Minuten-Rednern" nach dem Vorbild der Linken, von
"Sprengtrupps für gegnerische Versammlungen" und Spitzeldienste gegen die
Linke. Nur so könnten die Studenten künftige Putschversuche à la
Kapp-Lüttwitz besser unterstützen.
In den folgenden Jahren gab es immer wieder Ereignisse, die
die Feindseligkeit der akademischen und proletarischen Milieus der Stadt
veranschaulichen: Als im Januar 1923 kommunistische Umzüge und die
feierliche Rektoratsübergabe gleichzeitig Unter den Linden stattfanden,
versuchten Demonstranten, die Hochschule zu stürmen. Einigen Chargierten
wurden der Wichs und die Fahnen zerrissen.
"Antifaschistische Studentenwehren"
Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft täuschte auch an
der Berliner Universität die lautstarke Propaganda über die tatsächliche
Stärke der Kommunisten, zumal diese Propaganda durch die allgemein
verbreitete Bolschewismusfurcht ungeheuer viel Resonanz bekam. Insgesamt
konnten die kommunistischen Gruppen wohl kaum mehr als 70 Studenten an der
Berliner Universität als aktive Unterstützer mobilisieren. Wegen ihrer
zahlenmäßigen Schwäche fanden viele Veranstaltungen der parteitreuen
Kommunistischen Studentenfraktion und der undogmatischen Roten
Studentengruppe außerhalb der Universität statt, teilweise auch im Schutz
des kommunistischen Milieus – im Rahmen größerer Versammlungen, so z.B. am
15. Februar 1931 während der "Kabarett-Matinee gegen die Kulturreaktion", wo
das Piscator-Kollektiv, Erich Weinert, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn und
Bert Brecht auftraten. Das wichtigste Thema kommunistischer Agitation war
die soziale Lage der Studenten. Hier wurden, analog zum berüchtigten
Berliner BVG-Streik, auch informelle Koalitionen mit dem politischen Feind
geschlossen. So ging aus einer Protestversammlung gegen höhere
Studiengebühren am 10. September 1929, auf der auch die Studentengruppe der
NSDAP zahlreich vertreten war, ein gewählter Kampfausschuss hervor,
bestehend aus einem Nazi, einem Kommunisten, einem Parteilosen und einem
Mitglied der RSG. Der Ausschuss sollte dem Kultusminister eine entsprechende
Resolution überbringen.
Der Aufruf zur Bildung "antifaschistischer Studentenwehren"
in der Zeitschrift Der Rote Student vom November 1931 fand wenig Resonanz,
interessierte aber die Polizei um so mehr. Eine Rundfrage der
Nachrichtensammelstelle im Reichsinnenministerium unter den preußischen
Universitäten zeigte, dass linksradikale und antifaschistische Gruppen
überall klein und randständig geblieben waren.
Alte Burschenherrlichkeit und völkischer Radikalismus
Ab 1926 sammelte der Nationalsozialistische Deutsche
Studentenbund (NSDStB) das völkische Potenzial und präsentierte sich
gegenüber den traditionellen, monarchistischen Korporationen als modernere
und radikalere Bewegung. Wichtige Projekte der studentischen Rechten waren
der Kampf um die Studentenvertretungen und um eine politisch möglichst
autonome Körperschaft, die Studentenschaft, die dem Einfluss der Republik
entzogen war, sowie die Hetze gegen jüdische Kommilitonen und der
Gefallenenkult von Langemarck. "Vorstellungen alter Burschenherrlichkeit"
ließen den Studenten "noch immer einen Typ als Ideal erscheinen, der in der
heutigen Zeit vollkommen wertlos, wenn nicht sogar schädlich ist. Nicht
›bierehrliche‹ Stichfestigkeit, sondern politische Schlagkraft ist jetzt
nötig", forderte Hitler 1927 in den NS-Hochschulbriefen.
Nationalsozialisten zeigten auf folgende Weise Präsenz: "Am
Freitag in der 11-Uhr-Pause war das Vestibül, wie täglich, von vielen
studentischen Verbindungen besetzt, die durch Bildung von Kreisen
Stehkonvente abhalten", schrieb ein Zeuge über den 22. Februar 1929. "Der
Kreis der etwa 25 nationalsozialistischen Studenten versperrte das
rückwärtige Universitätsportal, so dass Studenten, die von dort kamen,
unbedingt durch den Kreis der Nazis hindurch mussten", so der Zeuge. Durch
dieses provokante Verhalten der Musterung und Misshandlung von passierenden
Studenten wurden Tumulte ausgelöst. Diese und weitere Ereignisse zogen
Polizeieinsätze nach sich, gegen die der Rektor protestierte, sich dabei auf
die akademischen Sonderrechte berufend. In den Sophiensälen forderten
kommunistische Studenten, "antifaschistische Studentenstaffeln" zu gründen,
um "dem frechen Terror der faschistischen Studenten den roten Terror des
Proletariats entgegenzusetzen. Keiner der im Saal anwesenden Nazis wagte
auch nur einen Ton zu sagen", berichtete die Rote Fahne, die den
"Judenpogrom in der Universität" verurteilte und statt der "jovialen",
nachsichtigen Polizei die proletarische Selbstjustiz empfahl: "Es ist an der
Zeit, dass ein paar handfeste Metallarbeiter und Rotfront-Kämpfer diese so
genannte Stätte der Wissenschaft ausräuchern."
Mitte November 1930 kam es zu dreitägigen Unruhen, die durch
eine Flugblattaktion des republikanischen Deutschen Studentenbundes
ausgelöst wurden. Bei der reichsweiten Aktion gegen den Vormarsch der Nazis
an den Universitäten sollten 150 000 Flugblätter verteilt werden. Am 11.
November 1930 wurden auf dem Vorhof der Universität Zettelverteiler von
Nazis angegriffen, mehrere Aufzüge rechter und linker Gruppen fanden statt,
die Tumulte setzten sich am Nachmittag fort.
Am 12. November 1930 verstärkten sich die Ansammlungen und
Angriffe der völkischen Studenten. Hunderte Rechte im Gartenhof waren über
Festnahmen empört, mit denen die Angriffe auf die republikanischen
Flugblattverteiler geahndet worden waren. Der Rektor versuchte, die
Studenten durch eine Ansprache zu beruhigen. Zugleich machte er sich ihre
Forderung nach einem Abzug der Polizei zu eigen und erschien zur Rücksprache
mit den Polizeioffizieren an der Spitze einer Menschenmenge. Die Polizei
lehnte den Rückzug ab, mit dem Hinweis, dass die Flugblattverteilung noch
andauere. Daraufhin eskalierte die Situation, weil sich die NS-Studenten von
ihrem Rektor gedeckt glaubten. Chaos und Brutalisierung sprechen aus dem
Bericht des Augenzeugen Heinz Alstede über die Ereignisse vom 12. November
im Vestibül der Universität: "Die sozialistischen Studenten und Studentinnen
standen an ihrem Brett. Sie waren eingeschlossen von einem großen Kreis
nationalsozialistischer Studenten. (…). Dann ertönte auf einmal der Ruf ›SA
sammeln‹ und ungefähr 100 Studenten stürzten sich auf die wenigen
sozialistischen Studenten, die sich kräftig zur Wehr setzten. Mitten in
diesem Getümmel fielen plötzlich zwei Schüsse. Woher sie kamen, bzw. wer sie
abgefeuert hat, kann ich nicht angeben. Bei dieser Schlägerei hat sich
besonders hervorgetan ein Student, der einen in Zeitungspapier gewickelten
Gegenstand in der Hand hatte. Es handelte sich dabei um einen so genannten
Totschläger." Nun hatten sich die Ereignisse so weit herumgesprochen, dass
rechte und linke Gruppen weitere Anhänger mobilisieren konnten. In sicherer
Erwartung, dass sich die Vorgänge vom 11. und 12. wiederholen würden, wurde
das Hauptgebäude am 13. November 1930 von morgens an von Zivilpolizisten
überwacht. Gegen Mittag sammelten sich NS-Studenten im Gartenhof, andere
blockierten den Haupteingang Unter den Linden. Am Gebäudeeingang zum
Gartenhof standen etwa 60 Studenten, die die "Internationale" sangen. Eine
bald darauf beginnende Schlägerei beendeten die Beamten, wobei die Nazis
versuchten, die Polizisten durch Schließen der Gartentore einzukesseln. Der
Student Ernst Dietrich glaubte zu sehen, wie ein Beamter einem seiner
Kommilitonen einen Schlag mit dem Gummiknüppel versetzte. Er schrie: "Die
Nummer dieses Schweins muss festgestellt werden." Im nächsten Augenblick
wurde er selbst festgestellt und bald darauf vom Schnellrichter zu 60
Reichsmark Geldstrafe wegen Beleidigung verurteilt. Am Mittag tauchten
NS-Funktionäre auf, die ihre Anhänger zum Abzug aufriefen, daraufhin
entspannte sich die Lage auf dem Universitätsgelände. Anschließend bildeten
die Nazi-Studenten einen Demonstrationszug in der nördlichen
Friedrichstraße. Während die deutschnationale Presse die Vorfälle
herunterspielte, herrschte in den republikanischen Zeitungen Empörung über
den "Knüppelkomment" der nationalistischen Studenten und ihren Versuch, "die
Vorrechte der aristokratischen Klassenteilung früherer Zeiten"
wiederzugewinnen. Besonderes Aufsehen erweckte der Überfall mehrerer
Studenten auf eine jüdische Kommilitonin, die, schon am Boden liegend, mit
Fußtritten verletzt wurde.
Die Universitätsgremien, Rektor und Senat erklärten sich für
überparteilich, gingen aber de facto gegen republikanische und linke
Aktivitäten schärfer vor. Sie wollten einerseits die Parteipolitik der
Weimarer Republik aus der Universität heraushalten, waren andererseits
ratlos, wie sie dem wachsenden völkischen Druck aus der Studentenschaft
begegnen konnten. Das Beharren der Universitätsvertreter auf ihrem
traditionellen rechtlichen Sonderstatus, auf einer "Exterritorialität", die
die republikanisch geführte Polizei zu respektieren habe, nützte in der
aufgeheizten politischen Atmosphäre den Bestrebungen der Nazis, die
Hochschule zu erobern.
1933: Die nachträgliche Legitimierung der Gewalt
Die 1933 folgenden Erlasse des Kultusministeriums
legitimierten die völkischen Provokationen und Straftaten im Nachhinein. So
wurden im April 1933 alle akademischen Strafen, die über Studierende wegen
politischer Handlungen verhängt worden waren, kassiert, sofern diese
Handlungen "aus nationalen Beweggründen" begangen worden waren. Das "Gesetz
gegen die Überfüllung der deutschen Hochschulen" führte eine
Zulassungssperre für jüdische Studienbewerber ein. Kommunistische Gruppen
wurden verboten und ihre Anhänger nachträglich bestraft: "Alle Studierenden
in preußischen Hochschulen, die sich in den vergangenen Jahren nachweislich
im kommunistischen Sinne betätigt haben (auch ohne Mitglied der KPD zu
sein), sind mit sofortiger Wirkung vom Universitätsstudium auszuschließen.
(…) Zur Feststellung der betreffenden Studierenden ist die Mitarbeit der
örtlichen Studentenschaften heranzuziehen." Der Denunziation waren damit Tür
und Tor geöffnet. Studentische Hilfspolizisten fahndeten nun nach linken
Aktivisten, die ihnen aus den Auseinandersetzungen vor 1933 häufig noch gut
bekannt waren.
hagalil.com
22-02-2005 |