
Zum Umgang mit der NPD:
Das Gespenst des Neonazismus
Der Erfolg der NPD beruht zu einem
gut Teil auf der Unfähigkeit der etablierten Politik, sie zu
bekämpfen. Wirksam ist die gesellschaftliche Ächtung rassistischer
Gewalt
Von Stefan Reinecke
Die NPD in Sachsen scheint in der Geschichte des
Rechtextremismus etwas Neues darzustellen. Und etwas sehr
Bedrohliches. Stimmt das?
Um die Chancen der NPD realistisch zu beurteilen,
muss man genauer hinschauen. Bislang scheiterten Rechtsextreme stets
in den Parlamenten - von den Republikanern über die Schill-Partei
bis zur DVU. Die Landtagsfraktionen zerlegten sich verlässlich
selbst und ihre Mitglieder überzogen sich mit Prozessen und
Ausschlussverfahren.
Der NPD in Sachsen scheint es gelungen zu sein, dieses Muster zu
überwinden. Auch wenn ein paar hundert Parteimitglieder eine eher
schmale Basis sind, erweckt sie den Eindruck, dass sie in die
soziale Mitte der Gesellschaft eingedrungen ist. Zudem zieht der
Erfolg der NPD offenbar versprengte Reste rechtsextremer Parteien
an.
Die NPD hat sich in den 90ern in eine aggressive Partei verwandelt,
die offen für neonazistische Jugendsubkulturen ist. Auch darauf
basiert ihr Erfolg. Sie war anschlussfähig an die
Anti-Hartz-IV-Proteste und scheint die neurotische Fixierung der
Rechtsextremen, den Zweiten Weltkrieg doch noch zu gewinnen, nach
hinten gerückt zu haben.
All das ist richtig - aber nur eine Momentaufnahme. Die NPD mag wie
ein Magnet Reste anderer Splittergruppen anziehen, doch ob diese
rechtsextreme Begeisterung Wahlschlappen in Schleswig-Holstein und
Nordrhein-Westfalen überstehen wird, ist offen. In die
Anti-Hartz-IV-Kampagne hat sich die NPD nur parasitär eingeklinkt.
Nichts deutet darauf hin, dass sie in der Lage wäre, eigenständig
eine soziale Protestbewegung zu initiieren und zu kontrollieren.
Vor allem aber ist das von der NPD lauthals verkündete Projekt, eine
rechtsextreme Volksfront zu bilden, höchst widersprüchlich. Die
rechte Junge Freiheit, der man ansonsten selten zustimmen mag,
schreibt, dass die NPDler "in ihrem harten Kern ein
Transmissionsriemen einer bizarren neonationalsozialistischen
Subkultur ist. Ihre Nähe zum Dritten Reich muss man nicht entlarven,
sie bekennen sich offen dazu."
Die NPD ist das Gegenteil des Modells Fini, der die italienischen
Neofaschisten in Richtung einer etablierten rechtsbürgerlichen
Regierungspartei entwickelt hat. Sie ist eindeutig antidemokratisch,
antisemitisch und antibürgerlich. Auch wenn die NPD in Sachsen hier
und dort stadtbekannte Fahrlehrer oder Ärzte zu ihren Funktionären
zählt - der Spagat zwischen Neonazischlägern und bürgerlicher
Klientel wird schwierig. Die "Neue Rechte" jedenfalls kommt ihrem
grau gewordenen Traum von einer deutschnationalen Partei, die den
Weg der Grünen von rechts nachahmen könnte, mit der NPD nicht näher.
Womöglich steht sie ihm sogar im Weg.
Nun mag die Idee, erst mal abzuwarten, ob die NPD nicht irgendwann
an ihren Widersprüchen zwischen Militanz und Mitte zerbricht, wenig
überzeugend sein. Aber mit etwas mehr Zurückhaltung kann man
zumindest die Falle umgehen, die Partei bei jeder Gelegenheit zu
etwas ungemein Wichtigem zu stilisieren. Und sie zu ignorieren ist
zeitweise klüger, als bei jeder angekündigten NPD-Demo einen
Krisenstab zu bilden, ein neues Versammlungsgesetz zu debattieren
oder die aussichtslose Idee zu propagieren, dass man einer legalen
Partei die Parteienfinanzierung entziehen kann. Der Erfolg der NPD
beruht zum gut Teil auf der Unfähigkeit, sie zu bekämpfen.
Warum aber wirkt die politische Klasse derzeit so hyperventilierend?
Manche scheinen von der Selbstermächtigungsfantasie mediokrer
NPD-Funktionäre, die von "Sachsen als Keimzelle der Bewegung"
faseln, angesteckt zu sein. Wäre es nicht besser abzuwarten, ob die
NPD in Schleswig-Holstein über ein, zwei Prozent kommt? Warum diese
Mischung aus entsetztem Stottern und Aktionismus?
Offenkundig trifft die NPD-Mixtur aus SA-Sozialismus und
Geschichtsrevisionismus das Selbstverständnis der Republik.
Vielleicht hat Stoiber "1932" nicht nur als Dramatisierungsfloskel
benutzt, um der SPD zu schaden. Womöglich glaubt er wirklich, dass
mit "1932" das Heute beschreibbar ist - das wäre noch schlimmer. Es
zeigt, wie tief die Verunsicherung reicht.
Zum Selbstbild der Bundesrepublik gehört die fundamentale
Erkenntnis, in der NS-Zeit Täter gewesen zu sein. Das Bewusstsein,
ein schuldhaftes Erbe zu tragen, ist ein paradoxer Teil der
nationalen Identität geworden - paradox, weil es eine Art negativer
Identität stiftet, die im Holocaust-Mahnmal ihren Ausdruck findet.
Die NPD greift diesen Konsens an. Neu ist dabei nichts: Hitler war
ein "großer Staatsmann", Auschwitz nicht schlimm, die "Reeducation"
eine jüdische Verschwörung; die Deutschen sind die wahren Opfer, die
Ausländer schuld. All das ist Irrsinn, aller Abscheu würdig - und
das seit 60 Jahren.
Doch offenbar wirkt es heute anders. Das mag damit zu tun haben,
dass das Thema "Deutsche als Opfer" diskursfähig geworden ist.
Tatsache ist: Der NPD gelingt es, die Frage, wie stabil unser
nationales Selbstbild ist, zu dramatisieren und damit Aufmerksamkeit
zu gewinnen. Nicht die NPD ist das zentrale Problem - es sind eher
die Unsicherheiten, die sie provoziert.
Hinzu kommt: Die NPD ist ein Feind dieser Republik. Auch das
verstört. Demokraten sind es gewohnt, Konflikte weitgehend ohne
Feinderklärungen mit Kompromissen zu lösen. Wäre es also nicht
besser, die NPD doch zu verbieten?
Nein - und zwar unabhängig von den faktischen Problemen eines
Verbotsantrages und den zwiespältigen Wirkungen der Illegalisierung.
Ein Verbot wäre eine Kapitulation der demokratischen Öffentlichkeit
vor einer Hand voll von Allmachtsfantasien angetriebenen
Extremisten. Es wäre der Verzicht auf die Auseinandersetzung mit
einem Feind - vielleicht lernt man politisch am effektivsten von
dem, was man am heftigsten ablehnt.
Zu lernen wären sechs Basis-Regeln für den Umgang mit der NPD:
Demokraten dürfen die NPD nicht als Waffe im parteipolitischen Zwist
benutzen. Über die NPD reden soll bitte nur, wer Sinnvolles beiträgt
und nicht bloß empört mit den Armen rudert. Verbote sind die Ultima
Ratio politischer Konflikte - Verbotsdebatten täuschen nur vor, dass
man ganz doll aktiv ist. Wichtiger, als sich auf das
geschichtsrevisionistische Provo-Spiel der NPD einzulassen, ist es
klar zu machen, dass die gegen EU und Weltmarkt gerichtete
ökonomische Abschottungspolitik der NPD wirtschaftlich verheerend
wäre. Mehr als Medienhysterie hilft die konsequente
gesellschaftliche Ächtung und juristische Ahndung rassistischer
Gewalt. Und: Abgeordnete, die mit der NPD stimmen, werden sofort aus
Partei und Fraktion ausgeschlossen.
Lernprozesse, wie wir wirksam gegen unsere Feinde vorgehen, sind
möglich. Ein Verbot würde die NPD nicht nur mit unverdientem
Outlaw-Image adeln - es würde diese Lernprozesse abschneiden. So
schwach, dass sie das nötig hat, ist diese Republik nicht.
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29-01-2005 |