
Anschlag auf Jüdisches Zentrum:
Der V-Mann ohne Ethik
Im Prozess gegen die Kameradschaft Süd
belastet der V-Mann Didier Magnien den Hauptverdächtigen. Von Plänen für
einen Anschlag auf das jüdische Zentrum will er nichts gewusst haben.
Von Magnus Bosch
Jungle World 8 v.
23.02.2005
Man müsse sich darüber klar sein, dass ein V-Mann nicht
die "ethische Klarheit" habe, "die ich von einem Kardinal oder einem Bischof
erwarte, sondern er ist jemand, der in der Szene mitschwimmt". So
verteidigte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) im vorigen Jahr in
der Sendung Report Mainz die Tätigkeit des Spitzels Didier Magnien.
Dieser hatte im Auftrag des bayerischen Verfassungsschutzes
die neonazistische Kameradschaft Süd ausgekundschaftet. Vor dem Prozess um
die mutmaßlichen Pläne, einen Anschlag auf die Grundsteinlegung des
Jüdischen Zentrums am 9. November 2003 zu verüben, hatte die frühere
Verteidigerin des Hauptangeklagten Martin Wiese behauptet, dass Magnien
ihren Mandanten "inspiriert und geprägt" habe. Aber welche Rolle spielte der
V-Mann tatsächlich? War er Führungsfigur, Anstifter oder lediglich ein
"normaler" Informant?
Vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht, wo seit Ende November der
Prozess gegen Wiese und drei weitere Mitglieder der Kameradschaft Süd läuft,
erschien der 35jährige Franzose in der vergangenen Woche als Zeuge. Zu
etwaigen Plänen für einen Anschlag der Kameradschaft sagte er: "In meiner
Anwesenheit wurde davon nicht gesprochen." Wiese habe lediglich gewollt,
dass Magnien einen Brief auf Arabisch verfasse, um diesen dem "Judenrat" zu
schicken und so "die Leute zu erschrecken". Ansonsten wisse er nur von
Gesprächen darüber, eventuell auf dem Jakobsplatz Schweineblut zu
verspritzen.
Magnien schilderte, dass die "Schutzgruppe", der innere Kreis der
Kameradschaft, sich zum Ziel gesetzt habe, die Demokratie zu beseitigen und
einen nationalsozialistischen Staat per Revolution herbeizuführen. "Eine
gründliche, körperliche Beseitigung des aktuellen Systems", wie der V-Mann
es nannte. Er selbst habe in der Gruppe stets zur Zurückhaltung aufgerufen,
wenn es um den Gebrauch von Waffen gegangen sei, beteuerte er. "Wenn sich
die Umstände geändert haben, kann man zu Waffen greifen", habe er zur Gruppe
gesagt.
Allerdings sei es ihm nicht gelungen, Wiese zu überzeugen. Auf die Frage, ob
es dieser mit seinen Plänen ernst gemeint habe, sagte Magnien: "Ja,
natürlich, daran besteht kein Zweifel." Die Mitglieder der "Schutzgruppe"
schätzte der Zeuge so ein: "Sie kennen ihr Ziel. Sie wissen, um was es
geht." Er selbst habe den Auftrag gehabt, nur zu beobachten und nichts zu
initiieren oder zu provozieren.
Als Wiese und der Mitangeklagte Alexander Maetzing sich im Frühjahr 2003
nach Brandenburg aufmachten und dort sechs Faustfeuerwaffen besorgten, saß
der V-Mann der Anklageschrift zufolge mit im Auto, was Magnien auch
bestätigte. Allerdings habe er von dem Waffenkauf erst auf der Fahrt
erfahren. Zunächst habe es geheißen, man fahre zu einer Demonstration.
Auf dem Rückweg habe Wiese laut Magnien davon gesprochen, eine Pistole
scharf zu machen, um bei einer möglichen Verkehrskontrolle "Polizisten
umzublasen". Anschließend habe ihm der Verfassungsschutz aufgetragen,
Abstand von Wiese zu nehmen. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge
wurde nach Wieses Verhaftung gegen Magnien ein Verfahren wegen Beihilfe zum
unerlaubten Erwerb von Schusswaffen und Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung eingeleitet.
Magnien, der nach eigenen Angaben von Beruf Computertechniker ist, brachte
sich offenbar auch anderweitig ein und sprach in der Gruppe von der
Möglichkeit, ein Selbstmordattentat durchzuführen. "Wenn ich über den
Marienplatz gehe, dann stelle ich mir vor, wie toll es wäre, wenn so ein
Ding hochgeht und 2 000 Leute draufgehen", soll er einmal gegenüber einem
Mitglied der Gruppe geäußert haben. Mit diesem Zitat konfrontiert,
behauptete Magnien im Prozess, dass er dies nur so dahingesagt habe, um
akzeptiert zu werden. Als V-Mann müsse man mitreden und auch mal "gegen das
Gesetz verstoßen". Im Übrigen habe in der Szene niemand die Fähigkeit und
den Mut, ein Selbstmordattentat auszuführen.
Zu Wiese hatte er nach eigener Aussage ein "freundliches Verhältnis". Durch
den engen Kontakt zu ihm, dem er nach eigener Aussage ein
Verschlüsselungsprogramm auf dem Computer einrichtete, kam Magnien an seine
Informationen. "Wenn ich weiß, was der Kopf der Gruppe macht, weiß ich auch,
was der Rest der Gruppe macht."
Nach Angaben des V-Manns, der gut bewacht durch einen Nebeneingang in den
Gerichtssaal geführt wurde, debattierte die Kameradschaft u.a. über die
Ermordung von Politikern. Konkrete Planungen dafür habe es jedoch nicht
gegeben. Er selbst habe sich an paramilitärischen Übungen und an der
Ausspähung des politischen Gegners beteiligt. Er bestritt jedoch, die "graue
Eminenz" der Gruppe gewesen zu sein.
Über Erfahrung im rechtsextremen Milieu verfügt Magnien jedenfalls zuhauf.
Wie die Zeitschrift Konkret berichtete, nahm der spätere V-Mann 1998 an
einer Veranstaltung der NPD in Passau teil. Im Jahr zuvor sei er auf dem 4.
Europäischen Kongress der Jugend in Fürth aufgetaucht, wo er von Holger
Apfel begrüßt wurde, dem jetzigen Fraktionsvorsitzenden der NPD im
sächsischen Landtag. Magnien habe dort im Namen des Front Européen de
Libération (FEL) gesprochen. Darüber hinaus sei er Funktionär des Parti
Nationaliste Français et Européen (PNFE) in der Region Île de France
gewesen.
"Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es gilt, das System zu zerstören, bevor
es uns total zerstört hat; um dies zu tun, müssen wir uns auf europäischem
Niveau von Galway bis Wladiwostok organisieren." Mit diesen Worten soll
Magnien Konkret zufolge in Fürth die deutschen Kameraden agitiert haben.
Die markigen Reden und seine grenzübergreifenden Kontakte zur Szene scheinen
den Franzosen für die Tätigkeit beim bayerischen Verfassungsschutz
qualifiziert zu haben. "Wir haben von ihm wichtige Hinweise bekommen, die
dazu beigetragen haben, und ich sage, ganz entscheidend dazu beigetragen
haben, dass der Anschlag verhindert worden ist", rechtfertigte Innenminister
Beckstein in Report Mainz den Einsatz Magniens. Der Hauptangeklagte Wiese
kündigte im Prozess an, am 8. März eine Erklärung abzugeben.
hagalil.com
24-02-2005 |