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Ausgefranste Demokratie:
Was zum Teufel ist Leitkultur?

Von Irene Runge
antifa - Magazin für antifaschistische Politik und Kultur

Seit der vorvorjährigen Aufregung habe ich nicht verstanden, warum eine Leitkultur zu erbitterter, auch feindseliger, zeitweise bösartiger politischer Unterstellung führen musste. Vielleicht habe ich missverstanden, dass die Spaßgesellschaft ihre zynische Seite vorkehrte? Mich hat diese Leitkultur auch damals interessiert. Was genau war damit gemeint?

Dass so viele deutsche Menschen Probleme mit ihres und anders Gleichen haben, war ein flüchtiger Gedanke, auch Identitätsmangel oder unverarbeitete, weil kaum zu verarbeitende deutsche Geschichte drängten sich auf. Woher kommt die Schwerfälligkeit, sich als Teil des gesellschaftlichen Ganzen zu fügen? Ist es, weil im letzten Jahrhundert alle Leitfunktionen missbraucht worden sind? Der CDU-Versuch, rhetorisch in die Leere zu greifen, war so piefig, wie sich die leitbildsuchenden Christlich-Demokraten im Allgemeinen präsentieren.

So würden sie fast Opfer ihrer eigenen Demagogie sein, ohne sich der Sorge entledigen zu können, wie wertgesättigte Direktiven direkt ins Tagesbewusstsein implantiert werden könnten. Da suchen sie im Abendland nach christlicher Ethik, erweitern das Bild politisch wie kulturell korrekt durch das nicht genauer gefasste Jüdische. Doch für eine gemeinsame Bastion gegen die fiktive, nichts desto trotz angstbesetzte Ritterschar aus dem Morgenland reicht das alles nicht.

Vielleicht hätten die Herren Merz und Koch sich bei Klassikern wie Mehring oder Luxemburg umlesen sollen? Selbst den revolutionären Lenin trieb schließlich die Frage der zwei Kulturen an. Für Deutschland reichte seine Klassenfragen-Antwort zwar so wenig wie der Zusatz, in jeder Nation gäbe es auch bürgerliche, erzreaktionäre und klerikale Kultur, da aber Lenin ganz sicher keine Quelle der Inspiration neudeutscher Nachdenklichkeit war, musste sich auch die christliche Politprominenz um andere Deutungen mühen. Hilflos ruderten sie medial angefeuert durch das Elend der Unkenntnis, suchten nach Elementartugenden aus dem industriellen Zeitalter, als würde sie das Massenchronometer neu zu erfinden haben. Natürlich entdeckten sie rückblickend die Tugend der eingeschliffenen Pünktlichkeit, präzisierende Genauigkeit, sachlogisches Denken - kurzum: deutsches Ingenieur- und Facharbeiterhandwerk, das übermorgen keinen Pfifferling mehr wert sein könnte.

Um 1900 stülpte die damalige Zeitenwende mit riesigen Fabriken, Eisenbahnen, Börsengewinnen, mit den noch nicht eroberten und schon fast verlorenen Kolonien und auch durch die Erfindung der Kaufhäuser das bislang Eingewöhnte radikal um. Sie haben damals heftig über den Verlust der Werte geklagt und sollen vom Eintritt in die Moderne gesprochen haben. Für den sahen die bürgerlichen wie die proletarischen Denker die Geburt des neuen Menschen voraus. Leitbild nannte man das nicht, aber in den Alltag brachen mit den neuen Menschen auch neue Sitten ein.

Heute scheint sich ähnliches Unbehagen einzunisten. Seismographisch begabte Politiker entflammen, die Rot-Grünen erklären fremdelnd die Kopftuchfrage zum Hauptproblem und lösen es per Administration. Die Demokratie franst derweil an ihren Rändern aus. Wir merken plötzlich, was sich hier zu Leitkulturen gefügt hat: Eine antideutsche "Antifa" befreit sich sprühend von geweißten Häuserwänden, die deutschnationale Anti-Antifa will fremdenfreie Zonen. Der eher mittigen Leitkultur verdanken wir die Voraussetzungen für Korruption, Schönfärberei, Vetternwirtschaft, Gleichgültigkeit, Parteienfilz und jenes Lügengespinst, mit dem das Land nicht nur alle vier Jahre von rechts bis links überzogen wird. Geiz und Vorteilsnahme, Eigennutz gegen Gemeinsinn, privat vor Katastrophe - endlich hat jemand den ersten Stein in diesen Sumpf geworfen.

Um eine menschliche Leitkultur in Deutschland muss einem übrigens nicht bange sein. Sie scheint so altmodische Worte wie Solidarität, Akzeptanz des Anderen, Mitgefühl und Widerspruch, selbst Heimatliebe für jene zu bewahren, die sich darin wiederfinden. Vieles andere ist Variation. Und damit lässt sich meines Erachtens gut leben.

Dr. Irene Runge, Soziologin und Publizistin, 1942 in New York als Tochter deutsch-jüdischer Emigranten geboren, ist 1. Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins in Berlin.

hagalil.com 04-02-2005

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