Letztes Interview mit dem verstorbenen Schriftsteller Ephraim Kishon:
"Wiedergutmachung ist unmöglich"
Stuttgarter Nachrichten (ots) - Nur widerwillig und sehr selten hatte sich
der israelische Schriftsteller Ephraim Kishon zu politischen Themen
geäußert. In seinem letzten Interview vor seinem Tod Ende Januar (So.
30-01-2005) aber hatte er am Freitagabend davor im Gespräch mit den
Stuttgarter Nachrichten mit dieser Regel gebrochen.
Er nahm Stellung zur Israel-Reise von Bundespräsident Horst Köhler und
dessen geplanten Rede vor der israelischen Knesset, zum israelisch-
palästinensischen Konflikt, speziell zur umstrittenen Siedlungspolitik Ariel
Scharons und zum deutsch israelischen Verhältnis nach dem Holocaust.
Die Stuttgarter Nachrichten druckten das gesamte Interview Ende Januar. Sie
erhalten hiermit zunächst den Wortlaut des politischen Teils des Interviews.
Es folgen später weitere Zitate zu anderen Bereichen.
Herr Kishon, sollte Bundespräsident Horst Köhler anlässlich seiner Rede am
40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland
und Israel Deutsch sprechen – obgleich einige Knesset-Abgeordnete aus
Protest das Parlament verlassen wollen?
Kishon: Sie stellen eine delikate Frage. Sie haben die Judenvernichtung
nicht erlebt, und ich bin leben geblieben. Der Erste, der im israelischen
Parlament Deutsch sprechen durfte, war Axel Springer. Niemand hat den Saal
verlassen, weil Springer für seine außerordentliche Sympathie für unser Land
geschätzt wurde. Heute sind nach ihm Straßen benannt, wie auch nach Oskar
Schindler.
Ich kann mich damit anfreunden, dass auch Horst Köhler Deutsch spricht – vor
allem nachdem er beim Gedenken in Auschwitz seine tiefen Gefühle gezeigt
hat. Der gute Mann sollte nicht beleidigt werden. Als Ägyptens Präsident
Saddat nach zwei blutigen Kriegen mit Israel die Knesset besuchte und auf
Arabisch sprach, ist auch niemand hinausgegangen.
Ist das tatsächlich vergleichbar?
Ich kann nicht sagen: Pfeift auf die, die beim Besuch Köhlers hinausgehen.
Denn es könnte sein, dass sie damit ihre tiefen Gefühle ausdrücken wollen.
Aber es kann auch sein, dass ein paar Idioten darauf spekulieren: Wer sich
am gröbsten verhält, wer den Gast möglicherweise beschimpft, bekommt die
größten Schlagzeilen. Das funktioniert in Israel so wie in Deutschland und
wie überall auf der Welt. Der Präsident hat meine größte Sympathie als
Mensch und als Präsident, der das brutale Benehmen der Nazis verurteilt.
Auch Dschingis Khan hat Millionen Menschen massakriert. Aber er hat seinen
Feinden nicht verboten, dass sie zu Hause Milch trinken oder einen
Kanarienvogel halten. Die Nazis haben nicht nur die Kamine von Auschwitz
befeuert.
Gilt denn dem politischen Israel die deutsche Sprache noch immer als
Tätersprache?
Deutsch ist die Sprache, in der den Juden die größten Beleidigungen und
Erniedrigungen widerfahren sind. Der israelische Parlamentspräsident wird
den Bundespräsidenten wahrscheinlich auf Englisch begrüßen. Ich rate Herrn
Köhler, eine kleine Rede auf Hebräisch vorzubereiten, in der er seinen
Respekt vor der Sprache der Bibel und Jesus Christus bekundet. Dann sollte
er um Verzeihung bitten, dass er in seiner Sprache fortfährt, obwohl das
Deutsch die Bestialitäten der Nazis an Juden begleitet hat. So kann er eine
Rede auf sehr hohem Niveau halten.
Neben der Form, der Wahl der Sprache – was möchten Sie von Köhler inhaltlich
hören?
Er sollte sein Mitgefühl äußern, und er sollte um Entschuldigung dafür
bitten, was dem jüdischen Volk angetan worden ist. Das ist keine leichte
Rolle für ihn, denn er ist persönlich gar nicht verantwortlich, dafür ist er
viel zu jung. Erlauben Sie mir eine Bemerkung: Heute sind ein Drittel der
Nobelpreisträger Juden. Unter den sechs Millionen von Nazis ermordeten Juden
waren die Elite des Judentums, die Einsteine. Wenn ich Deutscher wäre, würde
ich dafür um Entschuldigung bitten. Denn Wiedergutmachung ist unmöglich.
David Ben Gurion und Konrad Adenauer haben vor 40 Jahren Wiedergutmachung
versucht . . .
. . . viele meinen sogar, dass Israel dadurch erst in die Lage versetzt
wurde, seine schrecklichen Kriege durchzuführen. Die metaphorische Änderung
der deutschen Politik, die mit dem Dialog zwischen Adenauer und Ben Gurion
begonnen hat, zeigt sich auch darin, dass Deutschland hinter den USA das
Land ist, aus dem die meisten Besucher nach Israel reisen. Sie sind als
Freunde unseres Volks zurückgekommen. Und es sind deutsche Regierungen, die
Synagogen wieder aufgebaut und Denkmäler errichtet haben. Die Botschaft all
dessen lautet: Nichts wird geleugnet, Israel wird nicht gehasst, sondern als
Land geschätzt, in dem die Überlebenden des Holocaust leben.
Können Köhler und Scharon an Ben Gurion und Adenauer anknüpfen?
Nein. Adenauer war angefüllt mit Scham und dem guten Willen zu zeigen, dass
Deutschland etwas für den jungen israelischen Staat tun kann. Ariel Scharon
ist nicht ohne Gefühle, aber er ist ein großer Feldherr. Aber wie er heute
in Israel agiert, hat mit Tapferkeit nicht mehr viel zu tun. Er wird sehr
nett und höflich zu Horst Köhler sein. Der Bundespräsident muss vor
israelischen Journalisten darauf achten, was er sagt, damit sie einzelne
Aussagen nicht zerpflücken und entsprechend ausgelegen.
Stichwort Auslegen: Warum legt Scharon jede Kritik an seiner
Siedlungspolitik als Antisemitismus aus?
Tatsächlich hat Ariel Scharon gesagt: Wer jüdische Siedler hasst und
ankündigt, er wolle ihre Siedlungen ausradieren, der denkt antisemitisch.
Diese Siedler haben sehr lebendige Regionen aufgebaut; aber es sind zu
viele, als dass sie alle zurückgegeben werden können. Ich schätze Scharon
dafür, dass er einen Kompromiss mit den Palästinensern finden will –
schließlich hat er diese Siedlungen gebaut. Wir kämpfen nicht gegen die
Palästinenser, wir kämpfen gegen die Berichterstattung über die israelische
Politik. Israel lebt in einer Welt, in der Hitler und Nazi-Deutschland nur
dank militärischer Überlegenheit besiegt wurden – nicht aber von innen
heraus.
ots-Originaltext: Stuttgarter Nachrichten
Efraim Kischon:
Der
Münchhausen Israels
Wie kein anderer traf er mit seinen
Satiren die Schwächen und Verrücktheiten der Israelis. Daraus wurden
schließlich über 50 Bücher, ins Deutsche übersetzt durch den Wiener
Literaten Friedrich Torberg...
Der 1924 in Ungarn geborene Erfolgsautor Ephraim
Kishon ist am Sonntag Nachmittag 30-01-2005 nach einem Herzinfarkt im
Alter von 81 Jahren in der Schweiz gestorben. Kishon überlebte deutsche,
ungarische und russische Arbeitslager und floh 1949 nach Israel. Dort lernte
er mit größter Energie Hebräisch. Seine ersten Werke erschienen schon in den
50er Jahren (Salah Shabati), ein starker ungarischer Akzent ist ihm stets
geblieben.
hagalil.com
18-02-2005 |